Unter dem Eindruck neuer Truppenverlegungen der USA und Russlands nehmen im Ukraine-Konflikt auch die Bemühungen um eine diplomatische Lösung wieder zu. Begleitet von grossen Sorgen um die Sicherheit in Europa trifft Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Montag in Washington US-Präsident Joe Biden. Parallel dazu bemüht sich Frankreichs Staatschef bei Wladimir Putin im Kreml um einen Abbau der Spannungen. Zuvor verstärkte Russland allerdings nochmals seine Truppen in der Nähe der Ukraine, und die ersten zusätzlichen US-Soldaten für Europa bezogen Stellung.
In der Ukraine - einer ehemaligen Sowjetrepublik - gibt es grosse Sorgen vor einem russischen Einmarsch. Moskau bestreitet solche Pläne. In den nächsten Tagen soll es nun eine ganze Reihe von Gesprächen geben. Von dem Treffen zwischen Scholz und Biden wird nochmals ein Signal erwartet, dass sich der Westen einig ist. Putin und Macron hatten in den vergangenen Tagen bereits drei Mal am Telefon Krisengespräche geführt. Zudem wird am Montag auch Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Kiew erwartet. Die Ukraine hofft auf Waffenlieferungen aus Deutschland.
Russland, das von den USA und der Nato eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa fordert, setzte die Verlegung von Truppen ins Nachbarland Belarus fort - in die Region Brest nahe der Grenze zu Polen und zur Ukraine. Dort beginnt am Donnerstag ein grosses Militärmanöver. Verlegt wurden auch Kampfflugzeuge des Typs Suchoi Su-25SM. Zudem stiegen zwei Kampfbomber vom Typ Tu-22M3 zu Patrouillenflügen auf. Die Militärs betonen, die Übungen seien für niemanden eine Bedrohung und im Einklang mit dem Völkerrecht.
Der Aufmarsch nahe der Ukraine gilt aus Moskauer Sicht als Drohkulisse, um vom Westen Zugeständnisse in Sicherheitsfragen zu erwirken. Als Reaktion landeten am Wochenende nun auch die ersten von 2000 angekündigten zusätzlichen US-Soldaten in Deutschland und Polen. Davon sollen 300 Soldaten nach Deutschland. Aus Deutschland wiederum sollen 1000 US-Soldaten nach Rumänien verlegt werden. Erklärtes Ziel ist, die Ostflanke der Nato zu stärken.
Putin dürfte bei seinem Treffen mit Macron einmal mehr deutlich machen, dass Russland eine weitere Ausdehnung der Nato nicht widerstandslos hinnehmen wird - insbesondere eine Aufnahme der Ukraine ins westliche Militärbündnis nicht. Russlands Forderungen nach Garantien des Westens für seine eigene Sicherheit haben inzwischen eine breite Debatte in Europa angestossen. Nach dem Termin im Kreml will Macron am Dienstag in die Ukraine reisen und dann auch nach Berlin.
Scholz wiederum wird nach der Rückkehr aus den USA kommende Woche in Kiew und dann im Kreml erwartet. Dem Kanzler wird von osteuropäischen Nato-Partnern - aber auch aus den USA - vorgeworfen, Russland zu wenig unter Druck zu setzen. In der Ukraine und bei östlichen Nato-Partnern wird ihm übel genommen, dass Berlin Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt. Das US-Verteidigungsministerium erklärte, Russland werde ein Weg weg von der Krise hin zu mehr Sicherheit aufgezeigt. «Es ist noch immer Zeit und Raum für Diplomatie», so Verteidigungsminister Lloyd J. Austin bei Twitter.
In der Ukraine trainierte das Militär nun auch in der radioaktiv verseuchten Zone um das frühere AKW Tschernobyl den Häuserkampf. Als eines der Szenarien wird immer wieder ein Einmarsch aus dem nördlich gelegenen Belarus durch das radioaktiv belastete Gebiet um das 1986 havarierte Atomkraftwerk genannt. Die ukrainische Hauptstadt Kiew liegt nur knapp 70 Kilometer von der Sperrzone und etwas mehr als 80 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt.
Vertreter der US-Regierung gehen nach einem Medienbericht von hohen Opferzahlen im Falle einer Invasion aus. Allein in der ukrainischen Zivilbevölkerung könnten zwischen 25 000 und 50 000 Menschen sterben, berichtete die «New York Times» unter Berufung auf nicht namentlich genannte US-Regierungsbeamte. Russische Politiker wiederum warfen dem Westen vor, einen Wettbewerb in der Produktion von Falschmeldungen in Endlosschleife zu veranstalten. Für Empörung sorgte in Moskau die Meldung eines US-Mediums, wonach ein Einmarsch schon begonnen habe. Das US-Medium entschuldigte sich und sprach von einem Versehen. (sda/dpa)