Nach wochenlanger Blockade hat die Europäische Union doch noch Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Wahlbetrug und Gewalt in Belarus auf den Weg gebracht.
Zypern zog in der Nacht zum Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel sein Veto zurück und erhielt dafür Zugeständnisse mit Blick auf den Rivalen Türkei: Die EU droht weiter mit Sanktionen gegen Ankara. Gleichwohl sucht sie auch den Dialog. Dafür hatte auch die Deutsche Kanzlerin Angela Merkel geworben.
Den Beschlüssen vorausgegangen war beim Gipfel stundenlanger Streit über die Türkei-Politik. Ankara lässt im östlichen Mittelmeer in von Griechenland und Zypern beanspruchten Meeresgebieten Erdgasfelder erforschen. Die EU hatte der Türkei deshalb Ende August ein Ultimatum gesetzt und mit zusätzlichen Sanktionen gedroht.
Im Verhältnis zu Griechenland zeichnete sich danach etwas Entspannung ab, nicht aber mit Zypern. Zypern forderte die Strafmassnahmen nun ein und wollte die Belarus-Sanktionen nur unter dieser Bedingung mittragen. Nach langem Hin und Her lenkte Zypern ein.
Merkel begrüsste die Beschlüsse zu Belarus und der Türkei als «grossen Fortschritt». Die Sanktionen gegen Unterstützer des umstrittenen belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko seien «ein sehr wichtiges Signal», sagte die CDU-Politikerin.
Zur Türkei-Politik der EU habe es eine «lange, schwierige Diskussion» mit Zypern und Griechenland gegeben. Man wolle nun trotzdem eine «konstruktive Agenda mit der Türkei aufrufen – vorausgesetzt, dass die Bemühungen um die Abnahme der Spannungen auch vorangehen».
Sie hoffe, dass es nun wieder «Verhandlungsdynamik» mit der Türkei auch mit Blick auf die Flüchtlingspolitik und die Zollunion mit der EU geben werde, betonte Merkel. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, die Türkei müsse beweisen, dass sie den konstruktiven Weg mitgehen wolle.
Spätestens beim Dezember-Gipfel soll erneut über die Lage im östlichen Mittelmeer gesprochen und entschieden werden, wie es weiter geht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, für den Fall, dass der Dialog nicht fortgesetzt werde, seien dann restriktive Massnahmen vorgesehen. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz hatte schon jetzt für eine härtere Linie plädiert und Sanktionen sowie den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gefordert.
Von der Leyen und Ratschef Charles Michel zeigten sich erleichtert, dass die seit Wochen auf Eis liegenden Belarus-Sanktionen nun kommen. Sie sollen nach Michels Worten nach einem schriftlichen Verfahren sofort in Kraft gesetzt werden. Dies sei ein klares Signal der Glaubwürdigkeit der EU, sagte Michel.
Mit den Strafmassnahmen will die EU zusätzlichen Druck auf die Führung in Belarus (Weissrussland) aufbauen und ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in dem Land setzen. In der ehemaligen Sowjetrepublik gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August Proteste und Streiks gegen Lukaschenko, der bereits 26 Jahre an der Macht ist.
Die EU-Sanktionen sollen nach dem derzeitigen Planungsstand 40 Personen treffen, denen eine Beteiligung an Wahlfälschungen oder der gewaltsamen Niederschlagung von friedlichen Protesten vorgeworfen wird. Lukaschenko selbst soll zunächst nicht darunter sein. Denn man will diplomatischen Optionen zur Beilegung des Konflikts offen halten und den Kurs notfalls später noch einmal verschärfen.
EU-Ratschef Michel hatte den zweitägigen Sondergipfel einberufen, um die EU als einige Gemeinschaft und als starken Akteur auf der Weltbühne zu präsentieren. Mit der Türkei und Belarus standen auch die Beziehungen zu China auf der Tagesordnung. Der Gipfel verurteilte offiziell die Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny in Russland, insbesondere wegen der Nutzung chemischer Waffen. Darüber hinaus forderten die Staats- und Regierungschef einhellig ein sofortiges Ende der Gewalt in der Konfliktregion Berg-Karabach im Süden des Kaukasus.
Am zweiten Tag des Gipfels soll es am Freitag unter anderem um «Strategische Autonomie» der EU gehen bei wichtigen Gütern wie Medikamenten, aber auch bei digitaler Infrastruktur. Ziel sind zum Beispiel eigene europäische Computer-Clouds sowie ein einheitliches europäisches System zur elektronischen Identifizierung - genannt e-ID. Am Rande soll der Gipfel auch den Stand beim Brexit beraten. (sda/dpa)