«Der 16. Oktober ist für Rom eine tragische, eine dunkle, eine unheilbare Stunde», erklärte Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia und Wahlsiegerin vom vergangenen September, am Gedenktag der Verhaftung und anschliessenden Deportation von über tausend römischen Juden. Diese «feige und unmenschliche Furie der Nazifaschisten» müsse für immer als Warnung dienen, damit sich ein solcher Horror niemals wiederhole.
Am 16. Oktober 1943 hatten die deutsche Gestapo und faschistische italienische Soldaten das Römer Ghetto umstellt, durchsucht und mindestens 1022 Jüdinnen und Juden, darunter auch über 200 Kinder, verhaftet. Zwei Tage später wurden die Festgenommenen in 18 Viehwaggons gepfercht und direkt nach Auschwitz transportiert. Nur 15 von ihnen überlebten das Vernichtungslager.
Bemerkenswert an Melonis Aussage ist nicht die – selbstverständliche – Verurteilung der Deportationen als solche, sondern dass sie dabei den Ausdruck «Nazifaschisten» verwendete. Dazu muss man wissen, dass laut dem Narrativ der italienischen Rechten die Verfolgung und Deportation der italienischen Juden während des Zweiten Weltkriegs in erster Linie ein Werk der Nazi-Besatzer waren; dass daran auch die Schergen des faschistischen Diktators Benito Mussolini beteiligt waren, wird gerne verdrängt und verschwiegen.
Meloni bezichtigt nun erstmals auch die italienischen Faschisten der Mittäterschaft, was als (weiterer) Versuch von ihr zu werten ist, sich im In- und Ausland als moderate Politikerin zu profilieren und den ihrer Partei nach wie vor anhaftenden Stallgeruch des «ventennio», der zwanzigjährigen Gewaltherrschaft des Duce, loszuwerden.
Bloss: Aus Rom kommen diesbezüglich nach wie vor widersprüchliche Signale. Unter anderem hatte Meloni letzte Woche ihren Parteifreund und politischen Mentor Ignazio La Russa zum Senatspräsidenten wählen lassen; ein Mann, der in seiner Wohnung eine Sammlung von Mussolini-Büsten aufbewahrt.
Für die 91-jährige italienische Holocaust-Überlebende und Buchautorin Lia Levi bleiben denn auch noch Zweifel. «Natürlich ist Melonis Erklärung einwandfrei, und wir dürfen uns auch nicht wegen ihrer politischen Herkunft von Vorurteilen leiten lassen: Was zählt ist das, was sie heute sagt. Aber eines ist klar: Wir dürfen in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen», betonte Levi im «Corriere della Sera».
Beim extremistischen Teil ihrer Wählerschaft – und das sind kaum mehr als 3 Prozent der 26 Prozent der Wähler, die am 25. September für die Fratelli d'Italia gestimmt haben – hat die Aussage Melonis Wut ausgelöst: Neofaschistische Gruppen wie Forza Nuova oder Italia Libera erklären schon lange, dass sie sich «von Giorgia Meloni nicht mehr repräsentiert fühlen». (aargauerzeitung.ch)
Der Aussage kann ich nichts weiter hinzufügen. Sie ist wohl eine der letzten Zeitzeuginnen. Auch deshalb wünsche ich Frau Levi noch viele Lebensjahre bei hoffentlich guter Gesundheit.