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Wie Israel seit Jahren ESC-Stimmen organisiert – auch für Yuval Raphael

BASEL - Yuval Raphael for Israel during the flag parade ahead of the second dress rehearsal for the Eurovision Song Contest final. ANP SANDER KONING netherlands out - belgium out PUBLICATIONxINxGERxSU ...
Wurde Zweite: Israels ESC-Act Yuval Raphael. Bild: www.imago-images.de
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Wie Israel seit Jahren Stimmen beim ESC organisiert

Israel landete beim ESC auf Platz zwei – dank des Publikums. Die Jury wählte den Song von Yuval Raphael nur auf Rang 14. Diese Diskrepanz hat einen Grund.
19.05.2025, 17:1319.05.2025, 17:42
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Es war eine der grossen Überraschungen des Abends: Israels ESC-Künstlerin Yuval Raphael holte bei der Jury nur 60 Punkte – doch das Publikum wählte sie mit 297 Punkten auf Platz eins. In der Gesamtwertung katapultierte sie sich damit auf den zweiten Platz.

Die grosse Diskrepanz zwischen Jury- und Publikumswertung wirft Fragen auf: War das Televoting Ausdruck spontaner Unterstützung mit Israel? Oder das Resultat einer strategisch orchestrierten Mobilisierung?

In den sozialen Medien wird wild spekuliert: Von gezielter Einflussnahme bis zur grossen Verschwörung ist alles dabei.

Ex-EBU-Direktor erhebt Vorwürfe

Überzeugt davon, dass «es eine von Israel gelenkte politische Aktivierung gab», ist Ignasi Guardans. Im spanischen Radiosender Cadena SER äussert sich der ehemalige Direktor der Europäischen Rundfunkunion (EBU) am Montag mit deutlicher Kritik:

«Es gab eine politische Aktivierung, um wählen zu gehen – gesteuert von Botschaften, pro-israelischen Gemeinschaften und der extremen Rechten.»

Das Voting-System beim ESC sei kein demokratisches Verfahren im klassischen Sinn, so Guardans weiter. Weil von einem Gerät aus bis zu 20 Stimmen abgegeben werden können, sei das System «instrumentalisierbar» – und genau das sei bei Israel geschehen. Zwar gebe es keine Hinweise auf Bots oder technische Manipulationen, doch eine politisch orchestrierte Mobilisierung sei sehr wohl erfolgt, ist der ehemalige EBU-Direktor überzeugt.

Was ist die EBU?
Die EBU (Europäische Rundfunkunion) ist Veranstalterin des Eurovision Song Contest. Sie koordiniert die Teilnahme der Mitgliedsländer, legt die Regeln fest – und ist für die Durchführung und das Voting-System verantwortlich.

Für das Jahr 2025 gibt es keine offizielle Bestätigung, dass Israel staatliche Mittel einsetzte, um das Publikumsvoting zu beeinflussen. Der offizielle Israel-Account auf X veröffentlichte jedoch eine Plakatwerbung auf dem ikonischen Times Square in New York – um sogar US-Zuschauerinnen zur Abstimmung zu motivieren.

Israel ESC
Werbung auf dem Times Square: für Israels ESC-Act.screenshot X/@israel

Fest steht: Israel hat in der Vergangenheit bereits staatlich gestützte Abstimmungskampagnen durchgeführt – und das auch bestätigt.

«Zum Wählen motivieren»

2024 mobilisierte Israel laut offiziellen Aussagen gezielt ESC-Zuschauende in ganz Europa – mit staatlicher Rückendeckung und viel Geld. David Saranga, Direktor des Büros für digitale Diplomatie im israelischen Aussenministerium, sagte gegenüber der Zeitung Times of Israel:

«Wir haben in unserem Sinne gesinnte Zuschauende gezielt angesprochen, um zum Wählen zu motivieren.»

Die Kampagne, koordiniert vom Aussenministerium und der staatlichen Werbeagentur LAPAM, umfasste Social-Media-Videos in über zehn Sprachen – mit der damaligen israelischen ESC-Teilnehmerin Eden Golan als Gesicht. Vor dem Finale verzeichneten die Clips über 14 Millionen Aufrufe. Die Zielgruppen wurden laut dem israelischen Newsportal Ynet auf Basis früherer Abstimmungsmuster analysiert: LGBTIQ+-Communities, Fanclubs, ESC-Journalisten – und auch Menschen, die den Wettbewerb sonst gar nicht verfolgen.

Laut Ynet und «Times of Israel» forderte das Aussenministerium israelische Botschaften aktiv auf, zum Abstimmen zu ermuntern. Die Kampagne führte schliesslich zu 323 Punkten im Televoting – Platz zwei im Publikum, Platz fünf gesamt.

Bereits 2023 eine Kampagne

Auch ein Jahr zuvor gab es eine von Israel koordinierte Kampagne – damals für Noa Kirel mit dem Song Unicorn. Laut Ynet wandte sich Kirel in mehreren europäischen Sprachen an das Publikum. Zielgruppe waren erneut Fankreise, LGBTIQ+-Communities und Meinungsführerinnen. Der verantwortliche Diplomat David Saranga sagte damals gegenüber Ynet:

«Unser Ziel ist es, den ESC nächstes Jahr nach Israel zu holen. Gerade in diesen schwierigen Tagen ist es wichtig, den Israelis Freude und Stolz zu bringen.»

Die Kampagne erreichte gemäss offiziellen Angaben über 9 Millionen Views und 5 Millionen Interaktionen.

Auch andere Länder erleben beim ESC regelmässig starke Televoting-Ergebnisse: Die Ukraine erhielt 2022 fast durchgängig die Höchstwertung – Ausdruck weltweiter Solidarität. Und auch Polen, Serbien oder Armenien profitieren von starker Diaspora. Aserbaidschan wurde in der Vergangenheit immer wieder verdächtigt, in Voting-Manipulation involviert zu sein. Konkrete Beweise gibt es allerdings keine, und das Land weist die Vorwürfe zurück.

Was Israel unterscheidet: Der Staat bestätigt, selbst strategisch in den Prozess eingegriffen zu haben. Mit klarer Kampagnenführung, diplomatischer Koordination und aufbereiteter Zielgruppenanalyse. Offiziell ist das nicht verboten.

Dass Israel 2025 das Publikumsvoting gewann, ist Ausdruck von Unterstützung – aber auch Ergebnis gezielter diplomatischer Mobilisierung.

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    Andi Weibel
    19.05.2025 17:47registriert März 2018
    Besonders interessant finde ich Kommentare im Sinne von: "Es ist eine Schande, wie die Palästinenser den ESC verpolitisieren. Ich selbst werde selbstverständlich alle meine Stimmen für Israel abgeben, auch wenn mir das Lied nicht gefällt."

    Diese Doppelmoral ist ohnehin bezeichnend für die Position viele Menschen im Westen in Bezug auf den Nahost-Konflikt.
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    nature
    19.05.2025 17:34registriert November 2021
    Ich danke Watson, dass nun kritisch hingeschaut wird. Es ist wichtig, dass geprüft wird, ob dieser Vorwurf stimmt. Es darf nicht sein, dass das Voting beim ESC manipuliert wird. Dies ist gegenüber den Kandidaten nicht fair. Es muss geprüft werden, inwiefern man so etwas verhindern kann. Wenn sich diese Vorwürfe bezüglich Israel bewahrheiten, braucht es eine Sanktion in Form einer Sperre.
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    Johny56
    19.05.2025 17:44registriert März 2025
    Dieses System lädt ja geradezu ein, Stimmen zu manipulieren.
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