USA planen totale Überwachung von Social Media – das solltest du wissen
Die amerikanische Einwanderungs- und Zollbehörde ICE baut ein umfassendes Überwachungssystem auf, das die Online-Aktivitäten von Millionen Menschen nachverfolgen soll. Und dies quasi in Echtzeit.
Im Internet veröffentlichte Unterlagen zum Beschaffungsvorhaben zeigen, dass ICE 5,7 Millionen US-Dollar bezahlt, um eine KI-gestützte Social-Media-Monitoring-Plattform zu lizenzieren. Es handelt sich um eine Software des US-Unternehmens Zignal Labs.
Das 2011 im Silicon Valley gegründete Unternehmen mit Sitz in San Francisco spezialisierte sich ursprünglich auf die Echtzeit-Verarbeitung von Informationen über politische Kandidaten. Dann entdeckten die Verantwortlichen den äusserst lukrativen Rüstungsmarkt und entwickelten ihre Software für militärische und geheimdienstliche Zwecke weiter. Zur Kundschaft gehört denn unter anderem auch die israelische Armee, wie das US-Investigativmedium The Lever letzte Woche berichtete.
Es handelt sich um das neueste Tool in einem wachsenden Arsenal an Social-Media-Überwachungswerkzeugen von ICE. Viele dieser Tools nutzen künstliche Intelligenz, um Hinweise zu generieren und «Bedrohungen» aus riesigen Online-Datenmengen zu identifizieren.
Was ist genau geplant?
Die US-Behörde hält sich bedeckt.
Gemäss Bericht hat ICE nun einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen. Die Social-Media-Überwachungssoftware von Zignal Labs soll dabei helfen, illegale Migrantinnen und Migranten in den USA zu jagen. In der Ausschreibung der Behörde ist von «Echtzeit-Datenanalysen für strafrechtliche Ermittlungen» die Rede.
Wie das unabhängige US-Investigativ-Medium The Lever berichtet, sollen die ICE-Beamten im Einsatz mit möglichst viel Informationen versorgt werden.
Unabhängige Fachleute zeigen sich entsetzt. So warnt etwa die gemeinnützige Organisation Surveillance Technology Oversight Project (STOP) in New York:
Die Plattform von Zignal Labs kann angeblich gewaltige Mengen an öffentlich zugänglichen Daten – etwa Social-Media-Beiträge – aufnehmen und analysieren.
In einer geleakten Werbebroschüre erklärt das Unternehmen, es nutze künstliche Intelligenz (KI), respektive Machine Learning, um täglich mehr als 8 Milliarden Beiträge in über 100 Sprachen zu verarbeiten.
Die aus Kundensicht relevanten Daten werden in sogenannten «Erkennungs-Feeds» sortiert. Die ICE-Beamten könnten die Plattform wohl auch dafür verwenden, um Personen für eine Abschiebung zu markieren.
Zu den Stärken von Zignal Labs gehört laut Broschüre die blitzschnelle Verarbeitung von Bildinhalten. In der Werbeboschüre werden zwei Beispiele genannt:
- Ein Nutzer des Messenger-Dienstes Telegram filmte im Gazastreifen mit dem Handy aus einem Wohnhaus und veröffentlichte ein Video sowie den genauen Standort einer laufenden Militäroperation. Nach der automatischen Erkennung des Videos durch Zignal Labs wurden Aufnahmen von Überwachungskameras in der Nähe beigezogen, um die Akteure zu identifizieren.
- Die Überwachungssoftware von Zignal Labs entdeckte im Juli 2023 angeblich einen Tweet, der ein Foto des US-Richters Brett Kavanaugh in der Mall of America zeigte. Einige Antworten auf der Social-Media-Plattform hätten daraufhin vermuten lassen, dass es zu Übergriffen kommen könnte gegen das von Präsident Donald Trump ernannte Mitglied des obersten US-Gerichtshofs. Daraufhin sei sofort das in der Nähe befindliche Sicherheitspersonal alarmiert worden.
Das Heimatschutzministerium, die Dachbehörde des ICE, hat laut Recherchen in der Vergangenheit Zignal-Lizenzen für den US-Geheimdienst beschafft und 2019 seinen ersten Vertrag für die Software unterzeichnet. Das Unternehmen habe auch Verträge mit dem Verteidigungsministerium und dem Verkehrsministerium.
Mitte Oktober reichten mehrere Gewerkschaften Klage gegen die Trump-Regierung ein, weil sie zunehmend Social Media überwacht, um Einwanderer aufgrund ihrer politischen Äusserungen ins Visier zu nehmen.
Was ist neu an der Massenüberwachung?
Dass die US-Geheimdienste, allen voran die National Security Agency (NSA), eine praktisch weltweite digitale Massenüberwachung betreiben, ist bekannt.
Doch nun baut Trumps Lieblings-Polizeibehörde ICE dank eines zweistelligen Milliarden-Budgets eine ganze Palette von Überwachungstools auf, die nicht nur landesweit zu Festnahmen und Abschiebungen führen sollen, sondern alle Trump-Kritiker unter Druck setzen.
Anwälte der Bürgerrechtsgruppe Electronic Freedom Foundation und der Media Freedom and Information Access Clinic der Yale-Universität halten fest:
Anfang Oktober machte «Wired» publik, dass ICE an die 30 Mitarbeitende einstellen will, um Inhalte auf Facebook, Instagram, TikTok, X, YouTube und anderen Plattformen zu durchforsten, um Leute ausfindig zu machen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellen «und/oder anderweitig dem Strafverfolgungsauftrag von ICE entsprechen».
Gemäss den Regierungsplänen sollen wohl auch Daten über Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde oder Arbeitskolleginnen und -kollegen eines Zielobjekts angefordert werden, um dessen Aufenthaltsort für die ICE-Beamtinnen und -Beamte zu bestimmen.
David Greene, Direktor für Bürgerrechte bei der Electronic Frontier Foundation, erklärte gegenüber dem US-Medium The Verge, dass automatisierte und KI-gestützte Überwachungswerkzeuge der Trump-Regierung ermöglichen, «Social Media in einem Ausmass auf unerwünschte Meinungen zu überwachen, das mit reiner menschlicher Sichtung nie möglich gewesen wäre». Der Bürgerrechts-Anwalt ergänzt: «Das Ausmass dieser Überwachung wird von einem ebenso massiven Abschreckungseffekt auf die freie Meinungsäusserung begleitet.»
Im vergangenen Frühjahr hatte das unabhängige Online-Medium 404 Media über ein mächtiges Tool namens «ShadowDragon» berichtet, das ein Auftragnehmer der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) und zahlreicher anderer US-Behörden entwickelt habe. ShadowDragon ermögliche es Analysten, einfacher auf öffentlich zugängliche Daten einer Zielperson zuzugreifen. So könnten die Überwacher Aktivitäten, Bewegungen und Beziehungen einer Person nachvollziehen.
Zur Erinnerung: im Frühjahr 2025 startete die US-Regierung unter Aussenminister Marco Rubio eine KI-gestützte «Catch and Revoke»-Initiative. Erklärtes Ziel ist es, die Social-Media-Konten von Zehntausenden von Inhabern eines amerikanischen Studentenvisums zu scannen und nach Ausländern zu suchen, die die Hamas oder andere ausgewiesene Terrorgruppen unterstützen.
Die Verantwortlichen hinter ShadowDragon verrieten in einsehbaren Marketing-Materialien, dass ihre Software zur Überwachung von politischen Protesten eingesetzt werden könne und dies auch schon 2023 passiert sei. Demonstranten sollten sich nicht wundern, wenn ihnen in der Folge das Leben schwer gemacht werde.
Der Zoll- und Grenzschutz (CBP) verwendet ebenfalls seit Jahren ein weitreichendes, KI-gestütztes Überwachungstool zur Überprüfung von Reisenden, darunter US-Bürger, Flüchtlinge und Asylsuchende.
Das System namens Babel X ermöglicht es gemäss einer «Vice»-Recherche aus dem Jahr 2023, Informationen über eine Zielperson einzugeben – Name, E-Mail-Adresse oder Telefonnummer – und daraufhin spuckt der Computer eine Vielzahl von Daten aus, wie Social-Media-Postings, frühere Beschäftigungen und eindeutige Standortdaten des entsprechenden Handys.
Die Verwendung von Babel X sei durch ESTA abgedeckt, das elektronische Reisegenehmigungssystem für Ausländerinnen und Ausländer, die in die USA einreisen.
Weiter hiess es in einem Dokument der Bundesbehörde, dass die Ergebnisse von Babel X während 75 Jahren in anderen CBP-Systemen gespeichert werden.
Quellen
- theverge.com: ICE is building a social media panopticon (25. Okt.)
- levernews.com: ICE Just Bought A Social Media Surveillance Bot (23. Okt.)
- vice.com: Homeland Security Uses AI Tool to Analyze Social Media of U.S. Citizens and Refugees (2023)
