
Liess sich zuerst freiwillig und dann mutmasslich nicht mehr freiwillig misshandeln: Der Streamer Raphaël Graven ist tot. Bild: instagram/jeanpormanove
Wiederholt wird ein französischer Streamer während seiner Übertragungen misshandelt. Dann stirbt er, während Zuschauer live zusehen. Der Fall schockiert Frankreich.
20.08.2025, 04:0420.08.2025, 08:14
Anna-Lena Janzen / t-online
Ein Artikel von

In Frankreich gibt es nach dem Tod eines bekannten Influencers vor laufender Kamera Misshandlungsvorwürfe sowie Empörung in der Politik. «Der Tod von Jean Pormanove und die Gewalt, die er erlitten hat, sind absolut schrecklich», schrieb Frankreichs beigeordnete Ministerin für Digitalisierung und KI, Clara Chappaz. Jean Pormanove – so der Künstlername des Mannes – sei monatelang live auf der Plattform Kick gedemütigt und misshandelt worden.
Der französische Streamer, der bürgerlich Raphaël Graven heisst, war am Montagmorgen in seiner Wohnung in Nizza tot aufgefunden worden – nachdem sein Tod zuvor live im Internet in einem über 298 Stunden dauernden Livestream zu sehen war. Der 46-Jährige brach reglos zusammen, die Übertragung endete abrupt. Laut einem Bericht von «Le Monde», bemerkten die anderen Teilnehmer des Streams seinen Tod und schalteten die Übertragung daraufhin ab. Die Todesursache ist bislang unklar, eine Autopsie soll nun Aufschluss geben.
Wie das Enthüllungsmedium «Mediapart» berichtete, war der Mann wenige Stunden vor seinem Tod erneut Opfer von Gewalt geworden. Ein als Batman verkleideter Streamer und weitere Anwesende während der Live-Übertragung hätten auf Pormanove eingeschlagen. Zuschauer, die den Stream später weiter verfolgt hätten, hätten beobachtet, wie Pormanove im Schlaf einen Erstickungsanfall erlitten und sich nicht mehr gerührt habe.
Horrende Herausforderungen für Klicks
Mehr als 1,2 Millionen Menschen folgten Pormanove auf TikTok und Twitch. Er nutzte verschiedene soziale Plattformen für Gaming-Übertragungen, unterzog sich dort aber auch freiwillig wiederholt extremen Herausforderungen, wie der Sender BFMTV berichtete.
Unter anderem liess er sich giftige Substanzen verabreichen, unterzog sich Schlafentzug über mehrere Tage oder liess Misshandlungen wie Schläge oder Waterboarding über sich ergehen. Diese Grenzüberschreitungen machten ihn berüchtigt – und zugleich zu einer Reizfigur in der Streaming-Szene.
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Der Sender Europe1 verbreitete ein Video, auf dem andere Streamer Jean Pormanove unvermittelt an Armen und Beinen festhalten und ihm während zwei Minuten die Atemröhre zudrücken, vorgeblich um einen neuen Rekord aufzustellen. Auch von Zuschauern wurde er demnach im Stream gedemütigt.
Am Ende aber gingen diese «Challenges» ihm wohl selbst zu weit. «Ich habe es satt, ich will weg», schrieb er laut dem Sender in einer Nachricht an seine Mutter. Aber er werde von den anderen festgehalten.
In seinen Inhalten erschien der 40-Jährige regelmässig neben anderen Streamern, vorwiegend die beiden unter den Pseudonymen bekannten Personen «Naruto» und «Safine» . Die beiden Männer waren im Januar vergangenen Jahres im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf Gewalt gegen schutzbedürftige Personen festgenommen worden.
«Mein Mandant trägt keine Verantwortung für diesen Tod» und «steht den Ermittlern zur Verfügung» , sagte «Narutos» Anwalt Yassin Sadouni bereits gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. In einer Erklärung kündigte er an, Anzeige wegen einer «Cybermobbing-Kampagne» erstatten zu wollen, der sein Mandant im Zuge dieser Affäre nun angeblich ausgesetzt sei.
«Wie kann es sein, dass 2025 solche Streams erlaubt sind?»
Die Staatsanwaltschaft in Nizza leitete ein Verfahren zur Ermittlung der Todesursache des 46-Jährigen ein und ordnete eine Obduktion an. Seit Ende vergangenen Jahres werde bereits wegen öffentlicher Aufforderung zu Hass oder Gewalt sowie vorsätzlicher Gewalt ermittelt sowie wegen der Verbreitung von Bildaufnahmen von Straftaten, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
In den sozialen Medien mischen sich Schock und Empörung. Unter den Hashtags «RIP JP» und «Justice for Jean» kursieren Tausende Nachrichten: von Beileidsbekundungen bis zu wütenden Vorwürfen gegen Mitstreiter und Plattformbetreiber. «Wie kann es sein, dass 2025 solche Streams erlaubt sind?», schrieb etwa ein Nutzer.
Der Fall Pormanove dürfte die Debatte über Kontrolle und Verantwortung in sozialen Medien weiter anheizen: Kritiker werfen Kick vor, mit riskanten Inhalten Reichweite und Klicks zu fördern – auf Kosten der Beteiligten.
Die Streamingplattform erklärte in einer Stellungnahme, dass sie den Tod des Streamers bedauert. Man untersuche die Umstände des Todes mit höchster Dringlichkeit und arbeite mit den Behörden zusammen. «Die Community-Richtlinien von Kick dienen dem Schutz der Medienschaffenden, und wir sind weiterhin bestrebt, diese Standards auf unserer gesamten Plattform aufrechtzuerhalten», hiess es.
Ministerin Chappaz betonte auf X, sie habe die Rundfunkaufsicht sowie die staatliche Meldestelle für illegale Inhalte im Internet eingeschaltet. Die Online-Plattform trage die Verantwortung für die Verbreitung illegaler Inhalte.
Quellen
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