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Russland fordert Ukraine zum Dialog mit Separatisten auf

Russland bekennt sich im Dialog mit der Ukraine zur Waffenruhe – und setzt Aufmarsch fort

27.01.2022, 01:3527.01.2022, 03:22
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Bei den Verhandlungen zur Lösung des Ukraine-Konflikts haben sich die Konfliktparteien in Paris erstmals seit Ende 2019 auf eine gemeinsame Erklärung und ein Bekenntnis zu der 2020 vereinbarten Waffenruhe verständigt. Man unterstütze die bedingungslose Einhaltung des Waffenstillstands, hiess es nach den Beratungen von Russland und der Ukraine unter der Moderation von Deutschland und Frankreich am Mittwoch in Paris im sogenannten Normandie-Format in einer vom Élyséepalast veröffentlichten Erklärung.

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Russland rief zum Dialog auf.Bild: keystone

Russland rief die Regierung in Kiew zum Dialog mit den Kräften im Krisengebiet Donbass auf. Der Moskauer Unterhändler Dmitri Kosak sagte am Mittwoch in Paris nach den achteinhalbstündigen Krisengesprächen, dass Kiew nun zwei Wochen Zeit habe, eine Position zu erarbeiten. Dann solle es ein Nachfolgetreffen in Berlin geben, ebenfalls auf Beraterebene. Kosak, der Beauftragte des russischen Präsidenten Wladimir Putin, für den Ukraine-Konflikt, beklagte, dass die Regierung in Kiew etwa auch auf humanitäre Anfragen und anderen Kontaktversuche aus der Ostukraine ablehnend oder gar nicht reagiere.

«Nirgends eine klare Position»

Der Kremlbeamte sagte, dass die ukrainische Regierung bis heute auch keine Perspektive für die umkämpften Teile der Regionen Luhansk und Donezk vorgelegt habe. Das laufe allen Erfahrungen bei der Lösung von Konflikten zuwider. «Sie finden nirgends eine klare Position», sagte Kosak resigniert. Ein neuer Gipfel unter deutsch-französischer Vermittlung mit der Ukraine und Russland werde nur möglich sein, wenn es vorher Einigung über den geplanten rechtlichen Status des Donbass und über die Abhaltung von Wahlen dort gebe.

Kosak beklagte, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf den Minsker Friedensplan gebe. Eine Umsetzung der Beschlüsse von Minsk sei aber die Voraussetzung für die gewaltfreie Lösung des Konflikts. Der Kiewer Unterhändler Andrij Jermak bestätigte, dass es erhebliche Meinungsunterschiede zwischen Moskau und Kiew gebe. Zugleich begrüsste er: «Wir sehen, dass die Waffenruhe funktioniert, es gibt ein paar Provokationen, aber sie funktioniert.» Es werde nun vor allem weiter an Mechanismen für ihre Festigung gearbeitet.

Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigten unterdessen, dass seit Anfang des Monats die Waffenruhe stabiler sei. Es habe einen Rückgang der Verstösse um 70 Prozent gegeben.

Russland fordert Dialog

Russland fordert in dem seit fast acht Jahren dauernden Konflikt direkte Gespräche der von Moskau unterstützten Separatistenführungen und der ukrainischen Regierung. Kiew lehnt das ab und bezeichnet die Machthaber in Luhansk und Donezk als «Moskauer Marionetten». Deutschland und Frankreich vermitteln in dem Konflikt – im sogenannten Normandie-Format. Ihr verhandelter Friedensplan liegt jedoch auf Eis. Nach UN-Schätzungen wurden bei Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und kremltreuen Separatisten im Donbass seither mehr als 14'000 Menschen getötet.

Die deutsche Seite sprach im Anschluss von intensiven und schwierigen Gesprächen, die noch einmal deutlich gemacht hätten, dass sowohl die Ukraine als auch Russland weiterhin das Minsker Abkommen als Grundlage sehen. Es sei ein nützlicher Austausch gewesen, auch wenn keine substanziellen Fortschritte erzielt worden seien. Erstmals seit längerem habe es aber direkte Kontakte zwischen der russischen und ukrainischen Delegation gegeben und eine Fortsetzung in enger Taktung sei vereinbart worden.

Parteien unterstützen Waffenstillstand

Wie der Élyséepalast nach dem Treffen mitteilte, unterstützen die Teilnehmer an den Beratungen die bedingungslose Einhaltung des Waffenstillstands und die volle Unterstützung der Massnahmen zur Stärkung des Waffenstillstands vom 22. Juli 2020, ungeachtet der Differenzen in anderen Fragen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Sie setzten sich weiterhin dafür ein, die derzeitigen Meinungsverschiedenheiten in der künftigen Arbeit zu überwinden, hiess es. Frankreich wertete das Treffen als schwierig, aber mit gutem Ergebnis. Auch dass es überhaupt zu dem Treffen gekommen sei, sei ein Zeichen, dass Russland sich wieder engagiere.

Russland setzt Aufmarsch in hohem Tempo fort

Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste hat Russland seinen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine zuletzt in hohem Tempo fortgesetzt. Es könne davon ausgegangen werden, dass mittlerweile 112'000 bis 120'000 Soldaten in dem Gebiet seien, sagte ein ranghoher Nachrichtendienstvertreter der Deutschen Presse-Agentur. Nicht miteingerechnet seien dabei die bewaffneten Kräfte der von Russland kontrollierten Separatisten im Donbass. Sie werden auf rund 35'000 beziffert.

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Russland setzt den Aufmarsch fort.Bild: keystone

Zu der Frage, wie viele weitere russische Soldaten sich derzeit noch im Anmarsch befinden, wollte sich der Geheimdienstler nicht konkret äussern. Er betonte allerdings, dass sich die Stärke der russischen Truppe im Grenzgebiet zur Ukraine in den kommenden Wochen noch einmal deutlich erhöhen könnte. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der Aufmarsch weiter gehen werde, sagte er.

Konkret wird unter anderem für wahrscheinlich gehalten, dass die derzeit auf rund 60 geschätzte Zahl der taktischen Bataillonsgruppen (BTG) weiter wächst. So werden hochflexible und schnelle Kampftruppen mit 600 bis 1000 Soldaten genannt.Die Nato-Staaten und zahlreiche andere Länder kritisieren den Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine seit Wochen. Geheimdienstler befürchten einen russischen Einmarsch in das Nachbarland.

Für denkbar wird aber auch gehalten, dass der Aufmarsch vor allem ein Druckmittel sein soll, um die Nato-Staaten dazu zu bringen, russische Vorschläge für neue Sicherheitsvereinbarungen zu akzeptieren. So will Moskau, dass die Nato eine Aufnahme von Ländern wie der Ukraine ausschliesst und den Rückzug von Streitkräften aus östlichen Bündnisstaaten einleitet. Die Bündnisstaaten halten das für inakzeptabel. (sda/dpa)

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