Die Ukrainer haben, wie man hört, ein neues Verb: «makronieren». Es bedeutet etwa so viel wie «Reden, ohne viel zu sagen.» Damit meinen die Selenski-Berater unter anderem den Umstand, dass die französische Regierung schon viele Waffen bis zu Leclerc-Panzern liefern wollte, es aber bis heute nicht dazu gekommen ist.
Auch in Peking «makronierte» der französische Präsident an einer Pressekonferenz unlängst so lange, bis Gastgeber Xi Jinping das Gesicht verzog. Der russische Amtskollege Wladimir Putin liess Macron bei den vielen Telefongesprächen, die der Franzose hoffnungsvoll initiiert hatte, ohne mit der Wimper zu zucken abblitzen.
Es wäre allerdings unfair, das Makronieren als Marotte des Namensgebers zu belächeln. Bei Macron lohnt es sich zuzuhören. Meist hat er nämlich recht. Mit einem notorischen Lügner wie Putin in Kontakt zu bleiben, ist mitten im Krieg nie falsch.
Und der Welt zu erklären, warum die Europäer gegenüber China andere Interessen verfolgen als die Amerikaner, ist im Taiwan-Konflikt von Bedeutung. Macron hat auch gute Argumente für die Erhöhung des Rentenalters in Frankreich von 62 auf 64 Jahre - steigende Kassendefizite und Lebenserwartung, dazu der europäische Vergleich.
Bloss schafft es Macron kaum je, seine Landsleute für seine hehren Ideen und Projekte zu gewinnen. Mitte März trat er vors Fernsehpublikum, um ihm einmal mehr den Sinn der Rentenreform zu erklären. Das tat er gut und verständlich - und doch war der Auftritt ein Desaster.
Die Chefin der radikalen Gewerkschaft CGT, Sophie Binet, brachte es auf den Punkt und bezeichnete Macron als «ChatGPT-Präsidenten». Anders gesagt, als Mann der künstlichen Intelligenz. Mit einem versöhnlichen, ausgleichenden, ja gefühlten Auftritt hätte er viele Zweifler umstimmen können. Allein, seine Argumente klingen technokratisch kalt, rechthaberisch - und brachten den Funken des Widerstandes erst richtig zum Zünden: Tagelang gab es in der Folge nächtliche Krawalle mit zahllosen Verletzten.
Inzwischen hat der Verfassungshof Macron in der Sache recht gegeben. Am Montag der vergangenen Woche trat der Präsident erneut vor die Kameras. Diesmal wollte er es besser machen. Bemüht, einen Schlussstrich unter die Rentenreform zu ziehen, kündigte er nun eine Reihe neuer Projekte an, vom Ausbau der Notfallstationen bis zur Bekämpfung der illegalen Immigration.
Das Ganze binnen «100 Tagen», was wohl an die gleichnamige Ära Napoleons erinnern sollte. Sarkastisch erinnerte die Linkspolitikerin Clémentine Autain daran, dass die 100 Tage des Kaisers mit der Schlacht (und Niederlage) von Waterloo geendet hätten.
So wirkt der vermeintliche Sieger des Rentenkonfliktes wie ein Verlierer. Er ist unpopulär wie nie und vor allem politisch isoliert. Sogar langjährige «Macronisten» wie Jacques Attali, Thierry Breton oder Daniel Cohn-Bendit sind auf Distanz gegangen. Wie alle Narzisten hat Macron nie daran gedacht, starke Sekundanten aufzubauen.
Die Partei des Präsidenten, Renaissance genannt, ist nicht mehr als eine leere Hülle. In der Nationalversammlung hat sie seit letztem Jahr keine Mehrheit mehr. Macron, der Strahlemann und Glückspilz, dem der Einzug in den Elysée-Palast bei den Präsidentschaftswahlen 2017 wie in den Schoss gefallen war, hat heute graue Schläfen. Nichts will ihm mehr gelingen.
Seine Hauptfeindin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, ist dagegen im Vormarsch. Während Macron bei den nächsten Elysée-Wahlen nicht mehr antreten kann, ist sie seit der Rentenreform die stille Favoritin. Ausgerechnet er, der flammende Europäer, muss sich fragen, ob er es nicht selber ist, der Le Pens Aufkommen - natürlich ungewollt - unterstützt, indem er landesweit Aversionen weckt.
Seine Landsleute erinnern sich durchaus daran, wie ihnen Macron bei seiner ersten Wahl in Buchform eine «Révolution» versprochen hatte. Einmal im Amt, verwandelte er sich aber, wenn man das Anagramm von «Macron» benützt, in einen «Monarc».
Der selbstgefällige, oft selbstherrliche Wahlmonarch («Ich mache, was ich will») versteht nicht, warum seine Charme-Nummer nicht mehr zieht. Er hat doch gute Argumente, bisweilen sogar Überzeugungen, und zwar nicht nur von rechts, wie die Linke moniert: Nur der starke Staat habe Frankreich über die Pandemie gebracht, erklärt er; Rassismus verabscheut er so aufrichtig wie jede Gewalt.
«Pfannendeckel haben uns noch nie weitergebracht», sagte er diese Woche den Reformgegnern, die ihn mit Lärmkaskaden übertönen wollten. Macron mag oft makronieren und lavieren, aber er glaubt an die Macht des zivilisierten, des intelligenten Wortes, nicht der brachialen Pflastersteine.
Politauguren wie Frédéric Dabi orten allerdings bereits die Stimmung eines «fin de règne», eine Regimeendes. Le Pen sagt, Macron habe drei Möglichkeiten: Neuwahlen, eine Volksabstimmung über das Rentenalter 64 oder Rücktritt. Macron würde in jedem Fall verlieren.
Er könnte auch noch seine Premierministerin auswechseln, doch damit entstünde nur der Eindruck, sie müsse für den Präsidenten den Kopf hinhalten. Denkbar wäre eine Allianz mit den Konservativen, um in der Nationalversammlung auf eine Regierungsmehrheit zu kommen. Die Republikaner wollen allerdings nicht.
Kurz: Macrons Auswege scheinen allesamt verbaut. Anders sieht die Situation seiner Gegner aus: Ihr hartnäckiger Strassenprotest geht weiter, am 1. Mai steht ein neuer Höhepunkt bevor. Im Juni will die kleine Mittefraktion Liot im Parlament zudem eine neue Rentendebatte durchsetzen. Ein Druckmittel werden vielleicht auch die Olympischen Spiele von Paris im Sommer 2024.
Auf Twitter droht bereits ein Hashtag: «Kein Rückzug (der Reform), keine Spiele!» Macron ist sich der Gefahr bewusst, nachdem der britische König Charles III. seine Paris-Visite wegen der Rentenproteste verschoben hat. Er, der französische König, hält bis auf weiteres die Stellung. (aargauerzeitung.ch)
Alle Franzosen wissen das Reformen nötig sind. Nur umsetzen will will sie keiner.
Ist wie mit dem Abnehmen. Kilos verlieren gerne, sich dafür aber einschränken oder sportlich anstrengen?
Da versuchen es viele eben lieber mit einer "Wunder"-Pille.
Macron ist nicht beliebt. Wird wohl seine letzte Amtszeit sein.
Aber man kann es eben nicht allen Recht machen. Also zieht er es durch, und tut was er für das Beste hält.