International
Frankreich

Bauernproteste gegen den epochalen Mercosur-Deal in Frankreich

Traktoren blockieren Paris: Bauernproteste gegen den epochalen Mercosur-Deal in Frankreich

Frankreich und Deutschland streiten sich um ein Freihandelsabkommen mit Südamerika. Der Ausgang des Mercosur-Gerangels wird direkte Folgen für die Schweizer Wirtschaft haben.
21.11.2024, 09:27
Stefan Brändle, Paris / ch media
Mehr «International»

Die «Operation Schnecke» begann am Montagmorgen: Zwei im Schritttempo fahrende Traktoren genügten, um den Autobahnzubringer im Südwesten von Paris, die N118, lahmzulegen. Dann fuhren die Landwirte mit ihren schweren Gefährten an 80 Knotenpunkten in ganz Frankreich in Zeitlupe auf. Seither folgen jeden Tag neue Sperren.

French Farmers Launch Protests Against Mercosur Agreement - Velizy Farmers stage a blockade on the RN118 road at the start of a nationwide protest against EU-Mercosur agreement with farmers feeling th ...
Zahlreiche Bauern am Sonntag bei ihren Protesten.Bild: IMAGO / ABACAPRESS

Die Bauernproteste richten sich gegen das so genannte Mercosur-Abkommen der EU mit Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und neuerdings auch Bolivien. Es schafft mehr Freihandel für europäische Produkte wie Autos, Pharmaprodukte oder Finanzdienstleistungen; Südamerika will Rindfleisch, Geflügel sowie Zucker liefern. Die EU-Kommission rechnet zum Beispiel mit jährlich 99'000 Tonnen «Beef» aus Südamerika.

Deutschland ist als Exportnation hoch interessiert an dem Deal, wie Kanzler Olaf Scholz jüngst beteuerte. Laut dem französischen Bauernverband FNSEA bedroht diese «Billigkonkurrenz» jedoch mehrere tausend Bauernhöfe, die etwa in Sachen Hormonbewirtschaftung an höhere Umweltstandards als die Südamerikaner gebunden sind. Die Grünen monieren zudem, die EU-Normen gegen Abholzung seien gerade im Amazonasgebiet nicht kontrollierbar. Auch die anderen politischen Parteien in Paris sind gegen Mercosur.

Präsident Emmanuel Macron, seit Samstag auf Südamerikatournee, erklärte auf seiner ersten Station in Buenos Aires, Frankreich werde das Abkommen «in der vorliegenden Form» nicht unterzeichnen. 88 Prozent der Franzosen sind laut Umfragen gegen Mercosur. Vor den TV-Kameras sagen die meisten Befragten des Gastronomie-Landes, sie zahlten lieber etwas mehr für ein etwas besseres «Bifteck». Macron, von seinem Naturell her ein Befürworter des Freihandels, kann deshalb gar nicht anders, als sich in Sachen Mercosur querzulegen. Der innenpolitisch angeschlagene Präsident nimmt sogar in kauf, dass die Frage seine gesamte Südamerikatournee von dieser Woche vermasselt.

French Farmers Launch Protests Against Mercosur Agreement - Velizy Farmers stage a blockade on the RN118 road at the start of a nationwide protest against EU-Mercosur agreement with farmers feeling th ...
Die Traktor-Kolonne am Sonntag.Bild: IMAGO / ABACAPRESS

In der EU ist Frankreich so isoliert wie kaum je zuvor. Die meisten Partnerstaaten sehen das bikontinentale Abkommen wie Deutschland als eine Chance für Europa, dem Protektionismus der USA oder Chinas etwas entgegenzusetzen. Peking investiert Milliarden in Südamerika und weihte letzte Woche in Peru einen Megahafen für seine «Neue Seidenstrasse» ein. Südamerika exportiert ferner Minerale wie Lithium oder Kobalt, die eine wichtige Grundlage für die technologische Unabhängigkeit Europas unter anderem bei der Smartphone-Herstellung bilden.

Ein Abkommen auch für die Schweiz?

Um sich innenpolitisch den Rücken zu stärken, hat Macron für kommenden Dienstag eine Debatte in der französischen Nationalversammlung anberaumt – wohlwissend, dass die meisten Parteien aus Rücksicht auf ihre ländlichen Wähler gegen Mercosur stimmen werden. Agrarministerin Annie Genevard versucht derweil in Brüssel eine Sperrminorität gegen den Mercosur-Vertrag auf die Beine zu stellen.

Doch selbst Agrarländer wie die Niederlande, Irland oder Polen halten eher zu Deutschland. Frankreich könnte am Schluss allein dastehen – und müsste sich dem Mehrheitsvotum unterwerfen. Das wäre eine noch nie dagewesene Schmach für die Grande Nation. Von Deutschland und Spanien gedrängt, haben die Verhandlungspartner bereits den 6. Dezember in Montevideo zur Unterschrift festgelegt. Macron könnte die Zeremonie boykottieren, heisst es in Paris.

Die Schweizer Wirtschaft verfolgt das EU-interne Tauziehen mit grossem Interesse. Die EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island haben mit vier Mercosur-Staaten im August ebenfalls ein Freihandelsabkommen ausgehandelt; und sie warten nur noch auf das Mercosur-Abkommen der EU. Die Schweizer Landwirte und Grünen stehen eher auf der Seite Frankreichs, Wirtschaftsvertreter halten dagegen zu Deutschland. Die nächsten zwei Wochen müssen die Entscheidung bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen arbeitet an einem Kompromiss: Als Entschädigung für Mercosur-geschädigte Landwirte bietet sie dem Vernehmen nach einen Hilfsfonds von einer Milliarde Euro an. Ob sich das seit einem Vierteljahrhundert diskutierte Mercosur-Abkommen damit retten lässt, muss sich weisen. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
19 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
insert_brain_here
21.11.2024 12:38registriert Oktober 2019
Obwohl ich dem Ansinnen der Bauern in dem Fall zustimme muss ich mich doch ein wenig wundern dass niemand Gefängnisstrafen fordert für solche Blockaden. Wenn das jemand tut um gegen den Klimawandel zu demonstrieren werden Worte wie Nötigung oder gar Terrorismus verwendet, mit Gewalt gedroht und sich besorgt gefragt ob wohl irgendwo eine Ambulanz aufgehalten wurde 🤷‍♂️
3213
Melden
Zum Kommentar
19
    Rekord gebrochen: Senator Cory Booker protestiert mit unglaublicher Rede gegen Trump
    Mit einer unglaublichen Leistung hat der demokratische Senator Cory Booker im US-Parlament gegen die Trump-Regierung protestiert. Er bediente sich dabei eines Tricks.

    24 Stunden nachdem Cory Booker seine Rede vor dem US-Senat begonnen hatte, kam der Senator aus dem Bundesstaat New Jersey erneut auf einen der berühmtesten Bürgerrechtler der amerikanischen Geschichte zu sprechen. «Es war John Lewis, der mich inspiriert hat», sagte der 55-Jährige. «John Lewis hat mein Leben verändert, sein Mut hat dafür gesorgt, dass ich heute hier stehen und vor Ihnen reden kann.» Und das tat Booker in unglaublicher Weise.

    Zur Story