Der russische Militärblogger und Hardliner Igor Girkin hat in einem Beitrag Spekulationen darüber angeheizt, dass es in der russischen Kriegsführung schwere Zerwürfnisse gibt. In einem sarkastisch formulierten 12-Punkte-Beitrag auf Telegram geht Girkin auf die russische Regierung, die Geheimdienste und die militärische Führung ein. Sie alle bewiesen «eklatante Inkompetenz» und «völlige Unprofessionalität», meint Girkin.
Die «Kader» würden die realen Gegebenheiten in den Kampfgebieten «völlig ignorieren» und Kampfhandlungen durchführen, um «nicht zu gewinnen», schreibt er. Personal und Ausrüstung würden verheizt. Bemerkenswert dabei: Girkin fordert einen Führungswechsel nicht nur auf politischer und militärischer Ebene, etwa im Verteidigungs- und Aussenministerium und im Generalstab der russischen Streitkräfte. Er fordert diesen auch für den Inlandsgeheimdienst, und genauer im sogenannten 5. Dienst des FSB.
Diese 5. Abteilung ist eine eigenständige, aber dem FSB untergeordnete Einheit, die sich nachrichtendienstlich mit Russlands Nachbarn im postsowjetischen Raum befasst. Die Abteilung war es auch, die unmittelbar vor Beginn des Angriffskrieges auf die Gesamtukraine das Geheimdienstdossier über das Nachbarland zusammenstellte und damit die Grundlage für die Entscheidung lieferte, den grossflächigen Krieg zu beginnen.
Dass Girkin explizit auf diesen Dienst eingeht – und nicht auf den Gesamt-FSB mit dessen Chef Alexander Bortnikow – wertet der US-amerikanische Thinktank Institute for the Study of War (ISW) als Hinweis dafür, dass «Girkin den FSB als etwas anderes betrachtet als den versagenden russischen Militär-, Geheimdienst- und Sicherheitsapparat.»
Das könne darauf hindeuten, dass es erhebliche Spannungen zwischen der russischen Militärführung und dem FSB sowie innerhalb des FSB selbst gibt, schreibt das ISW am Sonntag weiter. «Girkins bissige Kommentare geben weiterhin Aufschluss über die zunehmenden Reibereien im inneren Kreis.»
Former #Russian officer, convicted war criminal, and prominent critical nationalist milblogger Igor #Girkin indicated that there are likely deepening fractures within the top levels of Russian military leadership. https://t.co/e84fWxvjV3 https://t.co/jxGv4KcwKY
— ISW (@TheStudyofWar) March 20, 2023
Girkin kommentiert in den zwölf Punkten ausserdem die russische Aussenpolitik mit Blick auf China und die Regierungspartei Einiges Russland, die aus seiner Sicht ebenfalls eine dringende Erneuerung bräuchte, überhaupt bewege sich in Russland nichts, meint Girkin. «Unsere alten, jahrzehntelang erprobten Kader sind der Schlüssel zu unserer militärischen Niederlage. Die altbewährten Diebe und Korrupten, Bürokraten und Taugenichtse in allen unwichtigen Positionen sind unser festes Rückgrat.» Girking kritisiert bereits häufiger in der Vergangenheit auch Kremlchef Wladimir Putin, den er für zu schwach hält.
Der ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter Girkin, der im Netz unter dem Pseudonym «Igor Iwanowitsch Strelkow» publiziert, wirkte bei der Entfesselung des Krieges im Donbass 2014 mit. Girkin ist ein verurteilter Kriegsverbrecher: Im Zusammenhang mit dem Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges 17 wurde er von einem Gericht in den Niederlanden zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Es wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.
Girkin machte sich in der Vergangenheit auch über den Chef der berüchtigten Söldner-Gruppe «Wagner», Jewgeni Prigoschin, lustig. Unter anderem, weil Prigoschin Medaillen für die Eroberung eines «grossen Dorfes» verleihe. In seinem 12-Punkte-Beitrag kritisiert Girkin nun, dass zu viele unabhängig agierende russische Truppen ein blutiges Chaos herbeiführen würden, weil diese nicht den Befehlen der Armee folgen und sich stattdessen auf eigene Anführer berufen.