Die Zeichen stehen auf «Ampel», SPD, FDP und die Grünen sondieren fleissig über die mutmasslich nächste Bundesregierung. In der Rolle der Zuschauerin: Die Union aus CDU und CSU. 16 Jahre lang gaben die Konservativen mit ihrer Kanzlerin Angela Merkel den Takt vor. Jetzt riecht es nach Opposition. Ein Desaster für die erfolgsverwöhnte Union.
CSU-Chef Markus Söder allerdings scheint sich mit der Rolle der Union ausserhalb der nächsten Bundesregierung abgefunden zu haben. Der Bayer erklärte ohne Absprache mit der grösseren Schwesterpartei CDU das Projekt einer von der Union geführten Bundesregierung mit FDP und Grünen für quasi gescheitert.
Die Entscheidung der Freien Demokraten und der Ökopartei, zuerst mit der Wahlsiegerin SPD über eine neue Regierung zu verhandeln, wertet der 54-jährige Franke als «De-facto-Absage an Jamaika». Die «Vorentscheidung» sei damit gefallen. Doch das stimmt so nicht: Noch immer könnte die «Ampel» scheitern, FDP und Grüne haben deutlich signalisiert, dass sie in einem solchen Fall spätere Gespräche mit der Union über eine neue Regierung nicht ausschliessen.
Söder weiss das natürlich. Doch es ging ihm mutmasslich vielmehr darum, dem ohnehin bereits taumelnden CDU-Chef Armin Laschet in den Rücken zu fallen. Laschets politisches Überleben ist eng mit einer von ihm angeführten «Jamaika»-Regierung verknüpft. Und der CSU-Chef wollte mit seinem Vorpreschen die Karriere des gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten, der ihm Unions-intern vor dem Licht steht, vorzeitig beenden.
Doch Laschet will sich seinen Rückzug nicht aus München diktieren lassen und will den Übergang an der Parteispitze in den nächsten Wochen und Monaten selbst moderieren. Am Donnerstagabend signalisierte Laschet, dass er Ansprechpartner für ein «Jamaika»-Bündnis bleibe, sollte die «Ampel» nicht zustandekommen. Ein klarer Widerspruch zu Söder. Zugleich machte er aber auch klar, dass er zum Rückzug von der Parteispitze bereit ist und sich nicht an die theoretische Möglichkeit einer Kanzlerschaft klammert.
Was Söder plant, darüber kann nur spekuliert werden. Der bayerische Ministerpräsident ist dafür bekannt, seine eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Dass sich der promovierte Jurist für den besseren Kanzlerkandidaten gehalten hätte, machte er bis kurz vor der Bundestagswahl deutlich, als er den Wahlkampf Laschets mit Sticheleien störte.
Der Machtmensch Söder lässt sich von seinem Weg nach oben kaum abbringen. Seit jeher verfolgte er das Ziel, bayerischer Ministerpräsident zu werden. Am Ende wurde er dies 2018, als er seinen Vorgänger Horst Seehofer vom Sockel stiess. Der heutige Innenminister lästerte gegen Söder und unterstellte diesem «charakterliche Schwächen» und einen «Hang zu Schmutzeleien.» Söder sei «von Ehrgeiz zerfressen».
Der 54-Jährige hat seinen Traum vom Kanzleramt wohl noch nicht begraben. Vielleicht bringt er sich schon im Spätherbst wieder ins Spiel, sollte die SPD kein Bündnis zustandebringen. Doch vermutlich denkt der Franke eher mittel- bis langfristig.
In zwei Jahren stehen in Bayern die Landtagswahlen an. Bereits zwei Mal büsste seine CSU unter seiner Führung in Bayern bei Wahlen ein. Zuletzt verloren die Christlichsozialen auch bei der Bundestagswahl an Wählerzustimmung.
Söder rechnet sich wohl bessere Profilierungschancen in der Opposition aus als als Partner einer Bundesregierung mit einem angeschlagenen Kanzler Laschet an deren Spitze. In der Opposition könnte sich der kraftstrotzende Franke als Gegenkanzler zu einer SPD-geführten Bundesregierung in Stellung bringen - auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2025, bei der er dann endgültig zum Kanzler in Spe aufsteigen könnte.
Eine Theorie, der auch der Passauer Politikwissenschaftler und CSU-Mitglied Heinrich Oberreuter für plausibel hält.