In dem Grundlagendokument für politische und militärische Planungen wird Russland als «grösste und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum» bezeichnet.
Das neue strategische Konzept ersetzt die vorherige Version aus dem Jahr 2010. Damals hatten die Alliierten noch gehofft, dass die Zeit der grossen Spannungen mit Russland vorbei sei, und auf eine «echte strategische Partnerschaft» mit dem Land gesetzt.
Im neuen Konzept heisst es nun: «Angesichts ihrer feindseligen Politik und Handlungen können wir die Russische Föderation nicht als unseren Partner betrachten.» Die Beziehungen könnten sich erst dann wieder ändern, wenn Russland sein aggressives Verhalten einstelle und das Völkerrecht in vollem Umfang einhalte.
Russlands Einmarsch in die Ukraine wird als brutal und rechtswidrig bezeichnet. Wiederholte Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht und abscheuliche Angriffe und Gräueltaten hätten unsägliches Leid und entsetzliche Verwüstung verursacht.
Als Bedrohung für die Nato-Staaten werden in dem Konzept unter anderem Russlands Versuche beschrieben, sich über Zwang, Subversion, Aggression und Annexion Einflusssphären zu schaffen. Die erwiesene Bereitschaft des Landes, Gewalt zur Verfolgung politischer Ziele einzusetzen, untergrabe die regelbasierte internationale Ordnung.
In Folge dieser Politik wird die Nato dem Konzept zufolge die «Abschreckung und Verteidigung für alle Verbündeten deutlich stärken» und auch Partner dabei unterstützen, «böswillige Einmischung und Aggression abzuwehren». Zugleich wird festgehalten, dass die Nato keine Konfrontation suche und für Russland keine Bedrohung darstelle.
Die 30 Nato-Staaten haben angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine eine deutliche Verstärkung der Ostflanke beschlossen. Zudem stimmten die Staats- und Regierungschefs am Mittwoch beim Gipfel in Madrid einem neuen Streitkräfte-Modell zu. Man werde die Luftverteidigung stärken und die Kampftruppen im östlichen Bündnisgebiet ausbauen, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Zudem werde man künftig mehr als 300'000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft halten. Dazu werde die bisherige schnelle Nato-Eingreiftruppe NRF durch das neue Streitkräfte-Modell ersetzt. Die NRF hat bisher lediglich eine Grösse von rund 40'000 Soldaten.
An der Ostflanke sollen nach dem am Mittwoch beschlossenen Konzept die existierenden multinationalen Nato-Gefechtsverbände auf Brigade-Niveau ausgebaut werden. Derzeit umfasst beispielsweise der Verband in Litauen 1600 Soldaten. Eine Brigade besteht in der Regel aus etwa 3000 bis 5000 Soldaten.
Die künftig mehr als 300'000 schnellen Eingreifkräfte sollen in Friedenszeiten in der Regel unter nationalem Kommando stehen, könnten dann aber im Ernstfall vom Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa (Saceur) angefordert werden. Für die Truppen würden zudem feste Zeiten für die Einsatzbereitschaft vorgegeben.
Im Gespräch ist, dass manche Einheiten innerhalb von höchstens 10 Tagen verlegebereit sein müssten, andere in 30 oder 50 Tagen. Details für den Ernstfall sollen in neuen regionalen Verteidigungsplänen festgelegt werden, die nächstes Jahr fertig sein sollen.
Die 30 Mitgliedstaaten hätten ein umfassendes Paket vereinbart, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch beim Gipfel des Bündnisses in Madrid. Dazu gehörten sichere Kommunikationsmittel, Treibstoff, medizinische Versorgung, Schutzwesten und Ausrüstung zur Bekämpfung von Minen sowie chemischen und biologischen Bedrohungen. Auch Hunderte tragbare Drohnenabwehrsysteme seien Teil des Pakets.
«Längerfristig werden wir die Ukraine bei der Umstellung von Ausrüstung aus der Sowjet-Ara auf moderne Nato-Ausrüstung unterstützen», sagte Stoltenberg. «Die Ukraine kann so lange auf uns zählen, wie es nötig ist. Die Verbündeten werden weiterhin umfangreiche militärische und finanzielle Hilfe leisten.»
Stoltenberg erhob schwere Vorwürfe gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. «Der Krieg von Präsident Putin gegen die Ukraine hat den Frieden in Europa erschüttert und die grösste Sicherheitskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst», sagte er. «Die Nato hat mit Stärke und Einigkeit reagiert.»
Vor allem auf Druck der USA hin wird im neuen strategischen Konzept auch auf China eingegangen. Es wird dort als Land beschrieben, das versucht, strategisch wichtige Technologie- und Industriesektoren, kritische Infrastruktur sowie Lieferketten unter seine Kontrolle zu bringen. Als Gefahr wird zudem die zunehmende strategische Abstimmung zwischen China und Russland genannt.
In Reaktion auf die «systemischen Herausforderungen» durch China wollen die Nato-Staaten nun ihr gemeinsames Lagebild verbessern und die Resilienz und Abwehrbereitschaft erhöhen. Damit will man sich auch gegen Versuche Chinas schützen, das Bündnis zu spalten. Als konkrete Bedrohungen werden eine undurchsichtige militärische Aufrüstung, böswillige Cyberangriffe und Desinformation genannt. Wie auch bei Russland wird allerdings festgehalten, dass die Nato für konstruktive Gespräche zur Wahrung der Sicherheitsinteressen des Bündnisses offen bleibt.
Sich selbst beschreibt die Nato im Vorwort zum Konzept als «ein Bollwerk» der regelbasierten internationalen Ordnung. «Wir bleiben fest entschlossen, unsere eine Milliarde Bürger zu schützen, unser Gebiet zu verteidigen und unsere Freiheit und Demokratie zu sichern», heisst es dort.
Die Nato will zudem ihre Zusammenarbeit mit Partnern im Indo-Pazifik-Raum intensivieren. Generalsekretär Jens Stoltenberg nannte beim Nato-Gipfel in Madrid Themenbereiche wie Cyberabwehr, maritime Sicherheit und Desinformation. «China ist nicht unser Gegner, aber wir müssen uns über die grossen Herausforderungen im Klaren sein», sagte der Norweger. Das Land rüste substanziell auf, auch im Bereich der Atomwaffen. Die auf Zwangsmittel setzende Politik habe Auswirkungen auf die Sicherheit der Allianz und der Partner.
Zudem war Stoltenberg China vor, Taiwan zu bedrohen und russische Lügen und Desinformation zu verbreiten. In der Volksrepublik selbst würden die Bürger durch den Einsatz moderner Technologien überwacht und kontrolliert. Partner der Nato in der Indo-Pazifik-Region sind Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea. Die Staats- und Regierungschefs der vier Länder waren erstmals Gäste eines Nato-Gipfels.
«Heute haben die Staats- und Regierungschefs der Nato die historische Entscheidung getroffen, Finnland und Schweden einzuladen, Mitglieder der Nato zu werden», sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch beim Gipfeltreffen des Bündnisses in Madrid. Dies sei wochenlange harte Arbeit gewesen.
Erst am Vorabend hatte die Türkei ihre Blockade gegen den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden aufgegeben – im Gegenzug für Zugeständnisse der nordischen Länder.
Bis Finnland und Schweden tatsächlich Mitglieder der Allianz sind, dürfte es jedoch noch einige Monate dauern. Die Beitrittsprotokolle sollen nach derzeitiger Planung am kommenden Dienstag unterzeichnet werden. Danach müssen diese noch von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Bis alle 30 Alliierten dies erledigt haben, könnte es Schätzungen zufolge sechs bis acht Monate dauern.
Finnland und Schweden hatten unter dem Eindruck des russischen Kriegs gegen die Ukraine am 18. Mai die Mitgliedschaft in der Nato beantragt. Die Türkei blockierte jedoch wochenlang den Beitrittsprozess und begründete dies unter anderem mit der angeblichen Unterstützung Schwedens und Finnlands von «Terrororganisationen» wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der syrischen Kurdenmiliz YPG und der Gülen-Bewegung – in Stockholm und Helsinki werden diese Vorwürfe zurückgewiesen. Auch forderte die Türkei die Auslieferung mehrerer Menschen, die in der Türkei unter Terrorverdacht stehen.
Den Durchbruch brachte am Dienstag kurz vor Gipfelbeginn ein Treffen Stoltenbergs mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. In einer gemeinsamen Erklärung sicherten die beiden nordischen Länder zu, auf mehrere Forderungen der Türkei einzugehen.
Unter anderem sagten Schweden und Finnland zu, dass es keine Waffenembargos gegen die Türkei geben werde. Zudem versprachen sie ein entschiedenes Vorgehen gegen Terrorismus sowie die PKK. Auch sollten türkische Auslieferungsanträge von Terrorverdächtigen zügig geprüft werden.
Die Nato sieht die von den Menschen gemachten Veränderungen des Klimas als zunehmendes Sicherheitsrisiko.
«Der Klimawandel ist eine bestimmende Herausforderung unserer Zeit mit einer gewichtigen Wirkung für die Bündnissicherheit. Er vervielfacht Risiken», heisst es in einer Erklärung, die der Nato-Gipfel in Madrid am Mittwoch verabschiedete. Beschlossenes Ziel ist es demnach, den Ausstoss von Treibhausgasen im politischen Betrieb und in den militärischen Strukturen zu verringern.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte zuvor angekündigt, die Verteidigungsallianz wolle ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 45 Prozent senken. Bis 2050 solle die Nato klimaneutral werden. (sda/dpa)