Nicolas Sarkozy im Hausarrest, Emmanuel Macron im Dauerstress, Marine Le Pen im Umfragetief: Die französische Politik wirkt mächtig durcheinander. Einen aber freut die politische Krisenstimung: Éric Zemmour. Der Autor, der mehrfach wegen Rassenhasses verurteilt worden ist, spielt mit dem Gedanken, seinen Hut in den Ring der französischen Präsidentschaftswahlen im April 2022 zu werfen.
«Wir sind nicht mehr in Frankreich», rief Zemmour kürzlich bei der Vorstellung seines neuen Buches in Toulon in die Menge. Seine Lesung wirkte bald wie ein Wahlkampfauftritt. Ein Mann schwenkte ein Transparent mit der Inschrift «Z 2022», andere skandierten «Zemmour Président».
Und tatsächlich: Ihr Idol kommt in den Meinungsumfragen für den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen vom kommenden April auf 13 Prozent Sympathiestimmen. Das ist mehr als die meisten übrigen Kandidatinnen und Kandidaten – obwohl Zemmour noch nicht einmal offiziell kandidiert. Kleine Details aber verraten seine Ambitionen: Bei seinen Auftritten trägt der 63-jährige Intellektuelle neuerdings eine Krawatte, wie es sich für Elysée-Anwärter ziemt.
Seine Fernsehsendung «Face é l’info», die die Einschaltquoten des rechten Senders Cnews zeitweise auf über eine Million Live-Zuschauer anschwellen liess, hat der Autor und Journalist aufgeben müssen. Der französische Medienrat hat begonnen, Zemmours Wortmeldungen als Sprechzeit einer Wahlkampagne zu zählen. Zemmour spricht von «institutionalisierter Zensur».
Der umstrittene Literat trifft mit seinem Auftreten einen Nerv der Zeit, ähnlich wie vor fünf Jahren Donald Trump in Amerika. In seinen Sendungen setzte er auf rechte Geschichtslektionen voller Nationalhelden und Kolonialismus-Rechtfertigungen. Dem Sender RTL erklärte Zemmour:
Zemmours Masche des «Früher war alles besser» fällt in einem Land, das seiner verflossenen Grandeur nachtrauert, auf fruchtbaren Boden. Vor allem aber vertritt Zemmour, ohne es explizit zu sagen, die rechtsextreme Theorie der «Grossen Ablösung». Damit ist gemeint: die Ablösung des weissen und katholischen Frankreichs durch die Migration aus Afrika. Sogar der Rechtspopulistin Marine Le Pen geht diese These zu weit.
Dass Zemmour, der Sohn algerischer Juden, rechts von Marine Le Pen steht, machte er klar, als er verächtlich erklärte, zwischen Präsident Macron und Le Pen gebe es kaum mehr Unterschiede. Marine Le Pen, die Gründerin der Partei «Rassemblement National», antwortete herablassend, Zemmour habe «null Prozent Wahlchancen». Doch Zemmours Aufwind macht ihr Sorgen. Mit seiner Destruktivität könnte er sie mit sich in den Abgrund reissen: Le Pen ist seit Juni von 28 auf 16 Prozent Umfragestimmen gesunken. Die Differenz hat sie zweifellos an Zemmour verloren.
Ob Macron vom Zemmour-Effekt profitieren kann, ist alles andere als sicher. Der Präsident setzte seit seiner Wahl im Jahre 2017 voll auf ein erneutes Duell mit Le Pen. Wenn die 53-jährige Populistin aber die rechten Wählerstimmen mit Zemmour teilen muss, droht sie nicht einmal in die Stichwahl vorzustossen. Ein starker Kandidat der Konservativen oder die sozialistische Pariser Stadtpräsidentin Anne Hidalgo wären für Macron bedeutend gefährlicher.
Wie auch immer: Zemmour wirbelt die Präsidentschaftswahlen jetzt schon mächtig durcheinander. Ob er ein kurzlebiges Medienphänomen ist oder sich im Rampenlicht halten kann, muss sich noch weisen.
Zemmour schreibt in seinem neuen Buch, Frankreich habe jedesmal, wenn es am Abgrund gestanden sei, einen Mann der Vorsehung wie Napoleon oder de Gaulle oder eine Frau wie Jeanne d’Arc gefunden, «die das Eisen zum Überleben der Nation geschwungen» habe. Frankreichs nächster «Homme de Providence» hat auch schon die Hand am Schwertgriff. (aargauerzeitung.ch)
Traurig ist dass es nicht nur die ältesten Menschen sind sondern auch die Jüngeren die Vergangenheit nicht richtig aufarbeiten mögen.
Positiv ist wohl die Tatsache, dass Zemmour und Le Pen umgleichen Becken fischen gehen.
Aber unterschätzen sollte man diese Nationalisten gar nicht, denn sie könnten in Europa wieder zu unnötiger Spaltung führen.