Der Zufall will es, dass in dem gleichen Altstadthaus, in dem Maurizio Grossi seit knapp einem Vierteljahrhundert seine Pizzeria betreibt, einst zwei Protagonisten des italienischen Kinos geboren wurden: der Regisseur Giuseppe De Santis und sein Bruder Pasqualino.
Bekannt geworden ist vor allem der jüngere der beiden Brüder, der Kameramann Pasqualino. Er hatte während der Hochblüte des Neorealismus in Italien unter anderem mit Regisseuren wie Visconti, Zeffirelli und Bresson zusammengearbeitet. Für den Zeffirelli-Klassiker «Romeo und Julia» erhielt Pasqualino im Jahr 1969 den Oscar für die beste Kamera. An der Hauswand erinnert eine Tafel an die beiden inzwischen verstorbenen Kino-Brüder. Und natürlich werden sie auch auf Maurizios Menükarte erwähnt.
Was die Pizza mit dem Neorealismus zu tun hat, wird der Pizzaiolo weiter unten erklären. Zunächst einige Basisinformationen: Maurizio Grossis Pizzeria befindet sich in Fondi in der Provinz Latina und trägt den Namen «La Giudea».
Fondi liegt ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Rom und Neapel an der antiken Via Appia; die 40’000 Einwohner zählende einstige Römerstadt ist bis heute ein wichtiges regionales Wirtschaftszentrum geblieben, das hauptsächlich von der Landwirtschaft und immer mehr auch vom Tourismus lebt: Die weiten Sandstrände von Terracina, Lido di Fondi, Sperlonga und Gaeta liegen nur wenige Autominuten entfernt. Nicht zuletzt ist Fondi auch bekannt für seinen Mozzarella-Käse – die «Mozzarelle di Bufala di Fondi» zählen zu den besten des Landes. Gleich drei spezialisierte Molkereien zählt der Ort.
Das Lokal von Maurizio – in Italiens Pizzerien ist man grundsätzlich immer per Du – liegt im früheren jüdischen Viertel, der Giudea, im Herzen der Altstadt von Fondi. Den Eingang zur Gasse, die zur Pizzeria führt, bildet ein grosser Torbogen; die grossen, hellen Pflastersteine aus Kalk sind über die Jahrhunderte vom Kommen und Gehen der Bewohner glänzend poliert worden. Die Gasse mündet in eine kleine Piazza mit der ehemaligen Synagoge, in welcher sich heute das «Museo ebreo» befindet, das vom jüdischen Leben in Fondi erzählt. Die Pizzeria bietet maximal 30 Gästen Platz. In der warmen Jahreszeit, wenn Maurizio einige Tische ins Freie stellen kann, erhöht sich die Kapazität auf etwa 45 Plätze.
Maurizio ist ein «pizzaiolo pluripremiato», also ein mit Preisen mehrfach ausgezeichneter Meister seines Fachs. Im vergangenen Jahr wurde er als «Pizzaiolo des Jahres» mit dem Arcimboldo d’Oro ausgezeichnet, den eine Jury aus Fachjournalisten, Gastrokritikern und Spitzen-Pizzaiolos in Neapel jedes Jahr vergibt. Auch Maurizio selber stammt aus Neapel, der Geburtsstadt der Pizza: «Ich stand schon mit 16 Jahren in der Pizzeria von Bekannten, später arbeitete ich als angestellter Pizzaiolo in verschiedenen Lokalen am Bolsena-See nördlich von Rom, in Parma, in einem Resort des Club Med auf Korfu. Die Pizza war schon immer meine Leidenschaft», sagt Maurizio.
Neben der Arbeit hat er die Hotelfachschule in Neapel absolviert. Ende der Neunzigerjahre arbeitete er dann wieder in einer Pizzeria im oben erwähnten Badeort Sperlonga, wo er seine Frau kennenlernte, die aus Fondi stammt. «So bin ich in Fondi hängen geblieben, der Liebe wegen».
Aber nicht nur deswegen: «In Neapel wäre es damals, um die Jahrtausendwende, schwierig gewesen, eine eigene Pizzeria zu eröffnen, wegen der Camorra und ihrer Schutzgeldforderungen», wie der Pizzaiolo betont. Fondi dagegen sei «tranquillo», also ruhig und gelassen. Seine erste eigene Pizzeria, «La Giudea», hat er im Jahr 2001 eröffnet. «Bei einem Spaziergang mit meiner Frau hatte ich das Lokal zufällig entdeckt, und ich wusste im gleichen Moment, dass ich hier meinen Traum verwirklichen kann», sagt Maurizio.
Sein Leitstern als Pizzaiolo sei immer die Authentizität und die Einfachheit gewesen. Konkret bedeutet dies, dass Maurizio in der «Giudea» ausschliesslich natürliche, hochwertige und frische Produkte verwendet. «Für den Teig nehme ich nur naturbelassenes Mehl, das leichter verdaulich ist als das Industriemehl, generell sind Zusatzstoffe tabu», betont der Pizzaiolo. Die Tomaten bezieht er aus seiner Heimat Kampanien: die San-Marzano-Tomaten von einem Produzenten in der fruchtbaren Ebene von Sarno hinter dem Vesuv und die Sorte Piennolo von den Abhängen des Vulkans. «Ich bin ein grosser Fan dieser Tomaten, für mich sind sie Kult», sagt Maurizio.
Den Mozzarella wiederum besorgt er sich, wo denn sonst, vor Ort, in einer der drei Molkereien in Fondi. Er geht die weissen Kugeln persönlich abholen, wenn sie noch warm sind von der Milch der Kühe und der Büffel – und legt sie nicht etwa in den Kühlschrank, sondern lagert sie bis zu ihrer Verarbeitung am Abend bei Umgebungstemperatur in der Küche.
«Mozzarella verliert einen grossen Teil seines Geschmacks und seiner elastischen Konsistenz, wenn man ihn kühlt», betont der 56-Jährige. Das gelte sowohl für den Fior di Latte (Mozzarella aus Kuhmilch) als auch für den Mozzarella di Bufala. Auch die Tomaten gehörten auf keinen Fall in den Kühlschrank: «Der Sugo muss frisch zubereitet werden und am gleichen Tag auf die Pizza kommen», sagt Maurizio.
Bei der Zubereitung einer guten und leicht verdaulichen Pizza müsse man ausserdem berücksichtigen, dass einige Zutaten durch die Hitze des Holzofens leiden würden. So legt Maurizio die «alici» (Sardellen), die er von einem Produzenten seines Vertrauens in Kalabrien bezieht, erst auf die Pizza, wenn er sie wieder aus dem Ofen geholt hat. «Es wäre eine Sünde, wenn die ‹alici› anbrennen würden», betont er.
Auch die Basilikumblätter und den obligatorischen «filo d’olio», also die feine Spur von Olivenöl («natürlich extra vergine», betont Maurizio), gibt Maurizio erst nach dem Backen auf die Pizza. Damit die hitzeempfindlichen Zutaten ebenfalls von oben gewärmt werden, lässt er die entsprechenden Pizzen noch eine Minute vor dem Ofeneingang ruhen. Das bedeute natürlich einen gewissen Mehraufwand – aber die Zufriedenheit der Gäste sei das wert.
«Ich bin ein Traditionalist und sehe einige Entwicklungen, die die Pizza in den letzten Jahren erlebt hat, eher kritisch», betont Maurizio. «Wenn es ein Gericht in Italien gibt, das verfälscht, banalisiert und erniedrigt wurde, dann ist das die Pizza.» Das, was man im Autogrill, in den Supermärkten, am Dönerstand und am Take-away als Pizza vorgesetzt bekomme, sei in 90 Prozent der Fälle «eine Mystifizierung oder eine Hochstapelei», die mit einer echten Pizza wenig bis nichts mehr zu tun habe.
Und daneben gebe es nun auch die Gourmet-Pizza, mit der einige angesagte und in den Social Media sehr präsente Pizzaioli versuchten, «der Pizza ihre Würde und ihre Glaubwürdigkeit wieder zurückzugeben». Damit sei die Pizza aber gleichzeitig zu einem hochpreisigen Lifestyle-Produkt geworden, das sie eigentlich nie gewesen sei.
Eine Pizza mit Hummer, Kaviar und exotischen Früchten kostet eben schnell einmal 20 Euro oder auch deutlich mehr. In der «Giudea» von Maurizio muss man für eine Pizza Marinara (Tomaten, Knoblauch, Oregano) dagegen lediglich volkstümliche 5.50 Euro anlegen, für eine Margherita 7 Euro, für eine Napoli 9 Euro und für eine Capricciosa oder eine Quattro Formaggi 10 Euro.
Wer weniger Hunger hat, kann sich auch einfach eine Focaccia mit Olivenöl und Rosmarin zu 3.50 Euro bestellen. Für seine teuerste Pizza, die selbst kreierte Torre Canneto (piennolo del Vesuvio DOP, stracciatella di bufala, fiori di cappero, alici di Calabria), verlangt Maurizio 15 Euro. Egal, ob 3.50 oder 15 Euro: Was Maurizio aus seinem Ofen holt, sind mehr als Pizzas. Es sind Delikatessen.
«Die Pizza war in Italien wie das Kino schon immer ein Kulturgut, aber sie war gleichzeitig einmal ein Gericht der Armen, was sie heute nicht mehr ist», betont Maurizio. Und wie die Pizza sei auch das italienische Kino besser gewesen, als die Italiener noch ein wenig ärmer gewesen seien. «Eine gute Pizza ist wie ein neorealistischer Film: Sie muss nicht reich sein, um gut zu schmecken. Es genügen einige einfache Zutaten – und Menschen, die es gewohnt sind, mit wenig Mitteln alles zu machen. Das war einmal das italienische Genie.» In der «Giudea» kann man dem italienischen Genie noch bei der Arbeit zusehen. (aargauerzeitung.ch)
Da hat der Autor aber keinerlei Ahnung, wie Mozzarella hergestellt wird. Im heissen Wasser nämlich. Nichts da von der warmen Milch der Kühe.
so sollte es sein, einfach, frisch und wohlschmeckend! 😋😋😋