Mehrere tausend geflüchtete Menschen strömen derzeit an die türkisch-griechischen Grenzen. Zu Fuss über den Landweg oder per Boot über die Ägäis versuchen sie, in die EU zu gelangen. Die Lage ist angespannt. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex erwartet in den kommenden Tagen eine weitere Zuspitzung der Krise an den EU-Grenzen zur Türkei.
Es werden «Massenmigrationsströme nach Griechenland erwartet», schrieb die Behörde (Frontex Situation Centre) am Wochenende in einem internen und vertraulichen «Situationsbericht zur griechisch-türkischen Grenze», der dem Nachrichtenblatt «Welt» vorliegt.
Schuld daran ist ein Satz, gesagt vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Am Samstag sagte er in Istanbul: «Wir haben die (Grenz-) Tore gestern geöffnet.» Man werde die Geflüchteten auf dem Weg in Richtung Europa nicht mehr aufhalten, so Erdogan.
Mit dieser Reaktion übt Erdogan Kritik am Abkommen mit der EU. Der mit der Türkei 2016 abgeschlossene Flüchtlingspakt sieht eigentlich vor, dass die Türkei Flüchtlinge und Migranten vom Weg in die EU abhält. Im Gegenzug erhält Ankara unter anderem finanzielle Unterstützung. Doch laut Erdogan habe die EU ihre Versprechen nicht gehalten. Die Türkei könne so viele Flüchtlinge nicht mehr versorgen.
Zahlreiche Geflüchtete, darunter Syrer, Iraner, Iraker, Marokkaner und Pakistaner, versuchen über die türkische Provinz Edirne an der Grenze zu Griechenland in die EU zu gelangen.
Ebenfalls stark betroffen von der aktuellen Situation ist die griechische Insel Lesbos. Allein am Sonntagvormittag sollen gemäss der Nachrichtenagentur ANA-MPA 220 Migranten angekommen sein. Reporter vor Ort berichten, dass weitere Boote auf dem Weg seien.
Anders als in Griechenland sieht die Lage in Bulgarien aus, das ebenfalls eine EU-Aussengrenze zur Türkei hat. «An unserer Grenze (zur Türkei) gibt es null Migration», sagte Regierungschef Boiko Borissow am Samstag gemäss eines Berichts des Staatsfernsehens.
Grenzpolizei-Chef Swetlan Kitschikow bekräftigte am grössten bulgarisch-türkischen Grenzübergang bei Kapitan Andreewo, die Lage unterscheide sich nicht von der der vergangenen Tage. Migranten bewegten sich zwar von Istanbul nach Westen, allerdings nicht in Richtung Bulgariens Grenze.
Seit Freitag seien 18'000 Flüchtlinge über die türkische Grenze in die EU gekommen. Laut der Uno-Organisation für Migration harren zudem rund 13'000 Menschen bei Frost auf der türkischen Seite der Grenze aus.
Der Grenzübertritt ist für die Geflüchteten mit viel Gefahr verbunden. Besonders über den Seeweg bringen sich die Menschen regelmässig in Lebensgefahr. Am Montagvormittag war ein Kleinkind beim Untergang eines Schlauchboots vor der Insel Lesbos ums Leben gekommen, wie das griechische Fernsehen (ERT) unter Berufung auf die Küstenwache berichtete. Das Kind kam an Bord eines Schlauchbootes mit 48 Flüchtlingen aus der Türkei an.
Nebst den Naturgefahren müssen die Geflüchteten auch mit aufgebrachten Reaktionen der griechischen Einwohner rechnen. Ein Video zeigt, wie ein wütender Mob, versammelt am Hafen der griechischen Insel Lesbos, ein Schlauchboot mit einer Stange zurück ins Gewässer zu stossen versucht. «Die Grenze ist geschlossen, warum kommt ihr hierher?», ruft ein Grieche den Geflüchteten im Boot zu.
Auch der Landweg über die Grenze ist mit Gefahren verbunden. So reagiert die griechische Polizei mit Tränengas und Blendgranaten auf die Grenzübertritte. Am Montag versuchten hunderte Menschen, die Grenze bei Kastanies zu passieren.
Griechenland setzte bereits die Schutzvorkehrungen an seinen Grenzen auf die höchste Stufe herauf, wie Regierungschef Kyriakos Mitsotakis am Sonntagabend nach einer Krisensitzung des nationalen Sicherheitsrats mitteilte.
So sollen die Patrouillen an Land und zu Wasser im Nordosten des Landes verstärkt werden, nachdem die Türkei am Wochenende ihre Grenzen zur EU für Flüchtlinge geöffnet hat. Wie der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas ergänzte, will sein Land zudem einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr annehmen. Er sprach von einer «asymmetrischen Bedrohung der Sicherheit unseres Landes».
Petsas kritisierte zudem die Türkei, die mit der Öffnung ihrer Grenzen diplomatischen Druck ausüben wolle. Ankara sei damit «selbst zum Schlepper» geworden. Die Türkei hingegen wirft der EU vor, sich nicht an den 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt zu halten.
Aus der griechischen Regierung hiess es am Wochenende, binnen 24 Stunden seien fast 10'000 Migranten an einem «illegalen» Grenzübertritt gehindert worden. Zudem wurden rund 140 Flüchtlinge festgenommen.
Die griechische Polizei drängte die Flüchtlinge am Grenzübergang Pazarkule am Samstag mit Tränengas zurück, daraufhin warfen einige der Migranten mit Steinen.
EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas wird nach eigenen Worten an diesem Montag in Berlin sein. Er hatte am Wochenende eine baldige Sondersitzung der EU-Innenminister gefordert. Eine EU-Sprecherin erklärte am Sonntag, die Europäische Union sei in stetigem Kontakt mit den türkischen Behörden.
Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow reist an diesem Montag nach Ankara, um mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über die Lage in Syrien und Flüchtlingsbewegungen zu sprechen. Wie die bulgarische Regierung am Sonntag mitteilte, werden die beiden bei einem Abendessen «Handlungen erörtern, die zur Bewältigung der Krise in Syrien und zum Stopp des Migrationsdrucks beitragen werden».
Mit Material von der sda
sind nicht einfach hasserfüllte Menschen, sondern selbst verzweifelt. Der Artikel könnte schon die Gründe für deren Zorn erwähnen.