Tag eins des Flüchtlingspaktes: Seit Mitternacht gelten offiziell die Vereinbarungen zwischen der EU und der Türkei. Sie sehen vor, dass alle Flüchtlinge, die ab Sonntag illegal von der Türkei nach Griechenland übersetzen, ab Anfang April zwangsweise in die Türkei zurückgebracht werden können. Vorher haben die Flüchtlinge jedoch das Recht auf eine Einzelfallprüfung im EU-Land Griechenland. Nur wer nachweisen kann, dass er in der Türkei verfolgt wird, darf bleiben.
In den Tagen nach dem 4. April soll dann im Gegenzug die Umsiedlung von maximal 72'000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen aus der Türkei nach Europa beginnen. Offen ist, wie viele Deutschland aufnimmt. Die wichtigsten Entwicklungen dazu im Überblick:
Der Zustrom von Schutzsuchenden nach Griechenland hielt auch nach Inkrafttreten des Flüchtlingspakts an. 875 Menschen hätten in der Nacht auf Sonntag von der türkischen Küste auf griechische Inseln übergesetzt, teilte der griechische Krisenstab für die Flüchtlingskrise mit. Zum Vergleich: Am Vortag waren 1498 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland gekommen, am Freitag waren es 670, am Donnerstag 239.
Einem Medienbericht zufolge wurden in der Türkei mehr als 3000 Flüchtlinge an der Überfahrt nach Griechenland gehindert. Allein im Bezirk Dikili in der Provinz Izmir seien am Samstag fast 2000 Migranten in Gewahrsam genommen worden, hiess es beim Sender CNN Türk. Ein Teil sei vorübergehend in einer Sporthalle festgehalten worden. Einige Flüchtlinge hätten dagegen protestiert und Scheiben eingeschlagen. Die Migranten stammten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.
Am Sonntag kam es zu zwei Tragödien: Vor der winzigen griechischen Insel Ro im Mittelmeer ertranken zwei kleine Mädchen, die aus einem Boot gefallen waren, auf Lesbos starben zwei Syrer an Herzattacken.
Tausende Menschen werden von den griechischen Inseln auf das Festland gebracht. Allein am späten Samstagabend seien 640 Schutzsuchende in der Hafenstadt Piräus angekommen, berichtete das Staatsradio. Am Sonntag wurden 1170 in die kleine Hafenstadt Elefsina gebracht, und rund 1400 Menschen wurden im nordgriechischen Hafen von Kavala erwartet.
Die Umsetzung des Paktes stellt die griechischen Behörden vor grosse Probleme. «Wir tappen bei den Modalitäten im Dunkeln», sagte ein Offizier der griechischen Küstenwache. Es fehle an Experten wie Asylentscheidern und Sicherheitspersonal, berichteten Medien. Der Sprecher des nationalen Krisenstabs für die Flüchtlingskrise, Giorgos Kyritsis, betonte im griechischen Fernsehen: «So ein Plan lässt sich nicht in 24 Stunden in die Tat umsetzen.»
Noch sind mehrere Fragen offen, vor allem im Umgang mit Neuankömmlingen. In Gesprächen mit Reportern auf den Inseln Chios, Lesbos und Samos wiesen Offiziere der Küstenwache darauf hin, dass etwa unklar sei, wer die Menschen an einem möglichen Verlassen der Lager hindern solle. Auch sei ungeklärt, was geschehe, wenn sich eine grosse Zahl Menschen weigern sollte, an Bord von Schiffen zu gehen, die sie zurück in die Türkei bringen sollen.
Fragt man die freiwilligen Helfer, die an den Stränden der Insel Lesbos Wache schieben, um Flüchtlingsboote rechtzeitig zu entdecken und sicher an Land zu lotsen, spürt man wenig Begeisterung für die EU-Neuerung. «Brüssel ist genauso weit von Lesbos entfernt wie zuvor - wenn nicht weiter», sagte einer der Freiwilligen.
Welche Auswirkungen der Pakt haben wird, darüber können die Hilfsorganisationen nur spekulieren. Schon jetzt aber registrieren sie, dass die Migranten eher mitten in der Nacht übersetzen, anstatt die Morgendämmerung abzuwarten. Sie möchten nicht entdeckt werden, sie möchten auch nicht aus dem Meer gerettet werden, denn vielleicht lässt sich dadurch ja die Rückführung in die Türkei vermeiden, wenn nicht eindeutig klar ist, zu welchem Zeitpunkt sie europäischen Boden erreicht haben.
Aus diesem Grund befürchtet man auf Lesbos eine Art «Drehtüreffekt»: Die Migranten kommen, werden in die Türkei zurückgeschickt und versuchen es wieder, in der Hoffnung, es doch noch irgendwie zu schaffen.
Die griechische Küstenwache nahm zwei mutmassliche Schleuser vor der kleinen Insel Inousses im Nordosten von Chios fest. Wie ein Offizier der Küstenwache von Chios der Deutschen Presse-Agentur sagte, mussten die Beamten mehrere Warnschüsse abfeuern, bevor die Verdächtigen anhielten. Die beiden festgenommenen mutmasslichen Schleuser - zwei Türken im Alter von 20 und 27 Jahren - hätten am Sonntagmorgen 20 Migranten von der nahegelegenen türkischen Küste nach Inousses gebracht.
Nach Angaben des Krisenstabs halten sich in Griechenland derzeit 48'141 Flüchtlinge auf. Auf den Inseln der Ostägäis harren 7316 Menschen aus, im Raum Athen-Piräus sind es 13'000. Der Rest lebt in Lagern in Mittel- und Nordgriechenland. Im Lager von Idomeni an der Grenze zu Mazedonien sollen nach neuesten Angaben des Krisenstabs rund 12'000 Menschen sein. (dpa/afp)