Für viele Menschen auf der Flucht ist Griechenland das Tor nach Europa, eine Welt ohne Angst und Not.
In einer neuen BBC-Dokumentation kommen jetzt Migranten zu Wort, die der griechischen Küstenwache schwere Vorwürfe machen: weggedrängt, geschlagen, über Bord geworfen. Zudem veröffentlicht BBC ein brisantes Geständnis eines Ex-Offiziers.
«Als wir die Insel Samos erreichten, erschien sofort die Polizei», erzählt Ibrahim aus Kamerun. Zwei der Männer seien vermummt gewesen, drei trugen zivile Kleidung. Ibrahim rannte weg, versteckte sich, hörte Schüsse.
Sein Bekannter schickte ihm eine Sprachnotiz und warnte ihn davor, erschossen zu werden.
Später wurde Ibrahim von der Polizei abgefangen und auf ein Boot der griechischen Küstenwache gebracht. «Erst begannen sie, uns zu schlagen, dann warfen sie meinen Freund aus dem Boot. Später stiessen sie auch mich ins Wasser – ohne Schwimmweste.»
Ibrahim überlebte. Er schaffte es, so behauptet er, ans Ufer der türkischen Küste zu gelangen. Die Leichen seiner Freunde – Sidy Keita und Didier Martial Kouamou Nana – wurden an der türkischen Küste geborgen.
Es ist nur eines von zahlreichen Vorwürfen, die in der BBC-Dokumentation Dead Calm: Killing in the Med? (Todesstille: Töten im Mittelmeer?) gegen die griechische Küstenwache erhoben werden.
Zeugenaussagen zufolge war die Küstenwache binnen drei Jahren für den Tod von zahlreichen Geflüchteten im Mittelmeer verantwortlich, mehrere davon seien absichtlich ins Wasser geworfen worden.
Seit Jahren werden europäischen Grenzschutzbehörden immer wieder illegale Praktiken vorgeworfen – etwa Pushbacks, also das Zurückschieben von Geflüchteten, ohne Prüfung der Asylgründe. Doch dass Menschen absichtlich über Bord geworfen werden, stellt eine neue Dimension dar. Ein Mann aus Somalia sagt:
Er habe es geschafft, an Land zu schwimmen, wo ihn schliesslich die türkische Küstenwache entdeckt habe.
Mit «sie» meinen die Zeugen Männer, die offenbar verdeckt agieren – ohne Uniform und oftmals maskiert.
Eine Videoaufnahme eines Investigativ-Journalisten zeigt, wie Maskierte Männer, Frauen und Babys auf dem Meer abfangen. Mehrere Geflüchtete gaben an, dass sie in Schlauchboote ohne Motor oder mit Löchern gesetzt wurden.
Der Film versucht auch die Ereignisse der Bootskatastrophe mit dem Fischerboot Adriana zu rekonstruieren. Das Boot sank im Juni 2023 vor der griechischen Küste und riss mehr als 600 Menschen in den Tod.
Warum kenterte das Boot auf ruhigem Gewässer? Warum konnten so viele Menschen nicht gerettet werden?
Noch immer sind all diese Fragen ungeklärt.
Ausgerechnet an diesem Tag waren alle Überwachungskameras defekt.
Die Überlebenden erzählen BBC, wie ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache das Boot beim Versuch, es abzuschleppen, zum Kentern gebracht hat, was Griechenland abstreitet. Die Schlepper hätten Lebensmittel- und Wasservorräte über Bord geworfen, um so viele Menschen wie möglich in das Boot zu quetschen. Ein Zeuge berichtet:
Sie entschlossen sich dazu, Urin zu trinken.
BBC sprach mit einem ehemaligen Verantwortlichen für Spezialoperationen bei der griechischen Küstenwache. Dieser wies gegenüber BBC alle Vorwürfe zurück. Doch er verplapperte sich, als er dachte, nicht mehr gefilmt zu werden. Auf Griechisch sagte am Telefon: