Nach dem Debakel bei der britischen Parlamentswahl hat die Labour-Partei mit der Suche nach einem neuen Chef begonnen. Am Dienstag eröffnete die Oppositionspartei das Rennen um die Nachfolge des bisherigen Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn. Die Abstimmung gilt auch als Kampf um die künftige Ausrichtung der Partei, die seit 2010 vier Wahlen in Folge verlor.
Labour-Kandidaten haben noch eine Woche Zeit, sich für die Corbyn-Nachfolge zu bewerben. Vom 21. Februar bis 2. April können die rund 500'000 Parteimitglieder dann ihre Stimmen abgeben. Das Wahlergebnis wird am 4. April bekanntgegeben.
Bislang kündigten sechs Parteimitglieder offiziell ihre Kandidatur an. Als Favorit geht der Labour-Sprecher für den Brexit, Keir Starmer, ins Rennen. Der 57-jährige Ex-Direktor der britischen Staatsanwaltschaft gilt als Kandidat der Mitte. Seine Wahl wäre ein deutliches Signal für eine Neuausrichtung der Partei.
Als natürliche Nachfolgerin Corbyns gilt dagegen die wirtschaftspolitische Sprecherin Rebecca Long Bailey, die von den Gewerkschaften und der Basisorganisation Momentum unterstützt wird.
Die Partei brauche eine Vorsitzende, «die mit unserer sozialistischen Agenda betraut werden kann», erklärte Long Bailey bei der Verkündung ihrer Kandidatur am Dienstag in der Zeitschrift «Tribune».
In dem Beitrag verteidigte Long Bailey auch die Ära Corbyn. «Ich stehe nicht nur hinter seiner Politik, sondern habe die letzten vier Jahre damit verbracht, sie zu erarbeiten», betonte sie.
Weitere Bewerber sind der Schatten-Finanzminister Clive Lewis, die aussenpolitische Sprecherin Emily Thornberry sowie die Unterhaus-Abgeordneten Jess Phillips und Lisa Nandy.
Die Kandidaten brauchen die Unterstützung von mindestens 22 Unterhaus- oder EU-Abgeordneten sowie von fünf Prozent regionaler Labour-Gliederungen oder drei mit Labour verbündeter Organisationen, darunter mindestens zwei Gewerkschaften.
Labour hatte bei der Parlamentswahl am 12. Dezember ihr schlechtestes Ergebnis seit 1935 eingefahren und viele ihrer jahrzehntelangen Hochburgen an die Tories verloren - vor allem im Norden des Landes, wo die Menschen beim Referendum 2016 mehrheitlich für einen EU-Austritt gestimmt hatten.
Der 70-jährige Corbyn, der seit 2015 an der Spitze der Partei steht, kündigte in der Folge seinen Rückzug an. Viele Parteimitglieder machten ihn wegen seiner unklaren Position zum Brexit persönlich verantwortlich für die historische Wahlschlappe.
Im britischen Parlament sollten am Dienstagnachmittag die dreitägigen abschliessenden Brexit-Beratungen beginnen, in denen das von Premierminister Boris Johnson ausgehandelte Austrittsabkommen mit der EU gesetzlich verankert werden soll.
Erwartet wird, dass das Gesetz mit kleinen Änderungen angenommen wird und im Anschluss dem House of Lords vorgelegt werden kann. Am 20. Dezember hatte das Unterhaus mit 358 gegen 234 Stimmen für das Abkommen gestimmt. Vor einer Ratifizierung des Abkommens muss auch das EU-Parlament dem Abkommen zustimmen.
Die Labour-Abgeordneten im Unterhaus wollen für eine Überarbeitung des Austrittsabkommens kämpfen. Ihr Ziel ist vor allem ein Zeitgewinn: Die Oppositionspartei befürchtet, dass die elfmonatige Übergangsphase nicht ausreicht, um ein neues Freihandelsabkommen mit Brüssel auszuhandeln.
Die französische Regierung erklärte am Dienstag, einen möglichen Antrag Grossbritanniens auf Verlängerung der Übergangszeit über 2020 hinaus zu unterstützen. «Frankreich wird die Inhalte eines Abkommens nicht aufgrund von Zeitfragen aufs Spiel setzen», sagte Europastaatssekretärin Amélie de Montchalin vor Journalisten in Paris. (aeg/sda/afp)