Die britische Vizepremierministerin Angela Rayner tritt wegen einer Kontroverse über zu geringe Steuerzahlungen zurück. Das meldet die britische Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf ein entsprechendes Schreiben.
Berichten zufolge wollte Premierminister Keir Starmer den Rückzug Rayners für eine umfassende Kabinettsumbildung nutzen.
Für Starmers sozialdemokratische Labour-Partei ist der Rücktritt Rayners ein massiver Rückschlag. Sie galt als Galionsfigur des linken Parteiflügels und als Hoffnungsträgerin einer Partei, die in den Umfragen derzeit schwächelt. Die Regierung ist wegen einer stotternden Wirtschaft, steigender Lebenshaltungskosten und wachsender Unzufriedenheit über hohe Einwanderungszahlen schon länger in der Defensive.
Der Rücktritt Rayners kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgerechnet am ersten Tag der Parteikonferenz der Rechtspopulisten von Nigel Farages Reform-Partei. Der Brexit-Vorkämpfer treibt die Regierung vor sich her und gilt als grösster Profiteur der Labour-Krise.
Reform liegt in Umfragen seit Monaten vor der Regierungspartei und den noch weiter abgeschlagenen Konservativen von Oppositionsführerin Kemi Badenoch. Farage spielt mit der Angst der britischen Bevölkerung, insbesondere beim Thema Migration, und hat Starmers Regierungskurs immer wieder scharf kritisiert oder ins Lächerliche gezogen.
Die Nachricht von Rayners Rücktritt löste bei der Reform-Jahreskonferenz am Freitag in Birmingham grosse Freude aus. Etliche Reform-Unterstützer übernehmen Farages Narrativ einer unfähigen Labour-Regierung, die die Probleme in Grossbritannien angeblich nicht lösen kann.
Rayner war in den vergangenen Tagen erheblich unter Druck geraten. Sie hatte zugegeben, sich bei der Frage nach der Höhe der Grunderwerbssteuer für eine Immobilie auf Rat verlassen zu haben, der sich als falsch herausstellte. Sie hatte selbst um eine Untersuchung gebeten, ob sie damit gegen die Verhaltensstandards für Kabinettsmitglieder verstossen hatte. Diese kam zum Schluss, dass ein Verstoss vorlag. Rayner zieht nun die Konsequenzen.
Rayner gilt als schlagfertige und begabte Politikerin, die keine Auseinandersetzung scheut. Gelegentlich schoss sie übers Ziel hinaus, etwa als sie die politischen Gegner von der Tory-Partei als «Abschaum» bezeichnete - und sich entschuldigen musste.
Als Ministerin war sie unter anderem für die Themen Wohnen und kommunale Angelegenheiten zuständig. Glaubwürdigkeit in der britischen Arbeiterpartei verlieh ihr vor allem ihr bescheidener Hintergrund als Teenager-Mutter, die in einer Sozialwohnung aufgewachsen war und sich mit viel Fleiss in einer Gewerkschaft nach oben gearbeitet hatte. Auch ihr nordenglischer Dialekt trug zu diesem Ruf bei. Sie ist mit 45 Jahren bereits Grossmutter.
Von politischen Gegnern wurde Rayner auch immer wieder zum Ziel sexistischer Vorwürfe. So berichtete die Boulevardzeitung «Mail on Sunday» einmal, Abgeordnete der Konservativen Partei hätten sich darüber beschwert, sie habe versucht, den Premierminister im Parlament mit ihren Beinen zu irritieren. (sda/dpa)