Ein höheres Amt als das des Premierministers hat Grossbritannien nicht zu bieten, und so muss Boris Johnson seine Ambitionen künftig wohl auf ein anderes Ziel richten. Bislang ist nicht bekannt, was der 58-Jährige mit seinem Leben vorhat, wenn er Schloss Balmoral in Schottland am Dienstag verlassen hat.
Der «Guardian» berichtete kürzlich, die Zeitung «Daily Mail» habe ihre Fühler nach Johnson ausgestreckt. Bis kurz vor seiner Amtsübernahme als Premierminister am 24. Juli 2019 hatte Johnson noch als Kolumnist für die konservative Zeitung «Daily Telegraph» geschrieben und dafür umgerechnet etwa 320'000 Euro im Jahr erhalten – für zehn Stunden Arbeit im Monat, wie der «Guardian» süffisant anmerkt.
Leben könnte Johnson sicherlich von seinen Einkünften als Abgeordneter in Höhe von jährlich umgerechnet mehr als 75'000 Euro und seinen Pensionsansprüchen als Ex-Premier. Diese belaufen sich auf die Hälfte des Premiergehalts, so dass Johnson künftig allein knapp 83'000 Euro jährliche Rente erhält. Zudem steht dem Ex-Premier ein «Taschengeld» von maximal 134'000 Euro im Jahr zu, um seine Aufgaben als «herausgehobene Persönlichkeit des öffentlichen Lebens» zu erfüllen.
Ein stattliches Monatseinkommen, könnte der Normalbürger meinen, aber ein Blick auf das «Rentenleben» von Johnsons Vorgängern zeigt: Da geht noch mehr. Als besonders umtriebig gilt Ex-Premier Tony Blair, der das Land von 1997 bis 2007 führte. Schon drei Monate nach seinem Rücktritt unterzeichnete Blair einen Buchvertrag über seine Memoiren und erhielt dafür allein als Vorschuss mehr als neun Millionen Euro. Kurz darauf wurde bekannt, dass der Labour-Politiker einen Beratervertrag mit der US-Grossbank JP Morgan Chase unterzeichnet hatte. Blairs Honorar: umgerechnet 2.3 Millionen Euro jährlich.
Ein Schlaglicht auf das finanzielle Gebaren des Ex-Premiers warfen im Oktober 2021 die sogenannten Pandora Papers. Aus den geleakten Dokumenten ging hervor, dass Tony und seine Frau Cherie Blair 2017 eine Immobilie in London für umgerechnet mehr als 7.6 Millionen Euro gekauft hatten, und zwar über eine Briefkastenfirma auf den Jungferninseln. Anschliessend kauften sie die Briefkastenfirma, liquidierten diese und sparten so mehr als 360'000 Euro Steuern.
Von Blairs Nachfolger Gordon Brown sind solche Machenschaften nicht dokumentiert. Der vorherige Schatzkanzler regierte Grossbritannien von 2007 bis 2010. Brown blieb bis 2015 Abgeordneter im Unterhaus und wurde dann Sondergesandter der Vereinten Nationen für globale Bildung. Brown gilt als unbeliebtester britischer Premierminister aller Zeiten, macht sich in den vergangenen Wochen aber wieder einen Namen als scharfer Kritiker der konservativen Regierung angesichts der massiven Steigerungen der Lebenshaltungskosten.
Die Kostenexplosion in Grossbritannien ist vor allem auf den Brexit zurückzuführen, ein Projekt, das in der Amtszeit von Browns Nachfolger David Cameron zustande kam. Der Konservative regierte Grossbritannien von 2010 bis 2016 und trat nach dem «Ja» der Briten zum Austritt aus der EU zurück. Auf seine Rentenbezüge allein verliess sich Cameron freilich nicht.
Von Mitte 2018 an bis zum Zusammenbruch der Firma 2021 kassierte Cameron mehr als eine Million Euro jährlich bei den Finanzberatern von Greensill Capital. Wie die «Financial Times» berichtete, wurde Cameron für insgesamt 25 Tage im Jahr gebucht – und erhielt dafür jeweils mehr als 40'000 Euro.
Mit seinem Finanzgebaren in die Schlagzeilen geraten war Cameron aber schon zuvor. Nachdem im April 2016 die sogenannten Panama Papers publik geworden waren, räumte Cameron ein, dass er und seine Frau bis Januar 2010 Anteile im Wert von etwa 37'000 Euro am Investmentfonds seines Vaters gehalten hatten. Die habe er aber vor seinem Amtsantritt verkauft, erklärte Cameron. Zuletzt machte Cameron wieder positive Schlagzeilen: Im März organisierte der Politiker eine Fahrt mit Hilfsgütern in die Ukraine.
Tipps zur Aufbesserung seiner Rente kann sich Boris Johnson auch bei seiner direkten Vorgängerin und Parteifreundin Theresa May abholen, die Grossbritannien von 2016 bis Juli 2019 regierte. Als Hinterbänklerin sitzt May bis heute im Unterhaus – und verdient nebenher nicht schlecht mit Vorträgen und Beraterverträgen. Auf diese Weise kassierte May allein im ersten Halbjahr 2022 umgerechnet knapp 833'000 Euro, wie aus der Webseite des britischen Parlaments hervorgeht.
Einen Hinweis darauf, wie sich Johnson seine Zukunft vorstellt, gab er bei seiner Abschiedsrede vor dem Regierungssitz 10 Downing Street: «Wie Cincinnatus kehre ich jetzt an meinen Pflug zurück», sagte Johnson – und beflügelte damit sogleich Spekulationen über mögliche Comeback-Pläne des studierten Althistorikers. Cincinnatus war ein römischer Politiker, der 460 vor Christus zum Diktator berufen wurde, um einen Angriff feindlicher Stämme auf Rom abzuwehren. Anschliessend soll Cincinnatus als einfacher Bauer zu seinem Pflug zurückgekehrt sein.
.@BorisJohnson: "On the subject of [...] future careers, let me say that I am not like one of those booster rockets that has fulfilled its function and I will now be gently reentering the atmosphere and splashing down invisibly in some remote and obscure corner of the Pacific." pic.twitter.com/oAD1j0Frcs
— The Hill (@thehill) September 6, 2022
Damit endete Cincinnatus Geschichte aber nicht. Im Jahr 439 vor Christus wurde er erneut als Diktator berufen, um einen Volksaufstand niederzuschlagen – was er auch tat. Britische Beobachter deuteten Johnsons Äusserung auch als Anspielung auf dessen grosses Vorbild Winston Churchill. Dessen politischer Karriere schien in den 1930er-Jahren schon lange vorbei, bevor er nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 in die Regierung zurückkehrte und am 10. Mai 1940 schliesslich Premierminister wurde.