Hongkongs Regierung hat den Entwurf für das umstrittene Gesetz für Auslieferungen nach China komplett zurückgezogen. Das teilte Regierungschefin Carrie Lam am Mittwoch nach einem Treffen mit Abgeordneten mit. Mit dem formellen Rückzug erfüllt die Regierungschefin eine Hauptforderung der Demonstranten.
Der bereits auf Eis gelegte Gesetzesentwurf war der Auslöser der Demonstrationen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion.
Das Gesetz hätte Auslieferungen von verdächtigten Personen nach China erlaubt, obwohl dessen Justizsystem nicht unabhängig ist und häufig als Werkzeug politischer Verfolgung benutzt wird.
Nach den ersten Protesten hatte die Regierungschefin den Entwurf zunächst ausgesetzt und später für «gestorben» erklärt, ohne ihn aber komplett zurückzunehmen.
Hongkongs Protestführer baten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kurz vor Beginn ihrer China-Reise um ein Treffen. In einem offenen Brief an Merkel, der der «Bild»-Zeitung vorliegt, warnt der bekannte Aktivist Joshua Wong vor einer Eskalation der Gewalt.
«Uns steht eine diktatorische Macht gegenüber, die keine freiheitlichen Grundrechte zulässt und immer mehr gewalttätige Massnahmen anwendet, mit Tendenz zu einem neuen Massaker wie am Tian'anmen-Platz», heisst es in dem Brief. 1989 schlugen Soldaten am Platz des Himmlischen Friedens in Peking Demokratie-Proteste gewaltsam nieder.
Seit mehr als drei Monaten kommt es in Hongkong immer wieder zu Protesten, die oft mit Zusammenstössen zwischen einem kleinen Teil der Demonstranten und der Polizei endeten. Auslöser war das Auslieferungsgesetz, doch gehen die Forderungen heute weiter und reichen bis hin zu demokratischen Reformen.
Die Protestbewegung befürchtet wachsenden Einfluss der chinesischen Regierung auf Hongkong und eine Beschneidung ihrer Freiheitsrechte. Auch fordern die Demonstranten eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt.
In dem offenen Brief sprechen die Protestführer Merkel auf ihre DDR-Vergangenheit an. Da sie aus erster Hand Erfahrungen mit diktatorischen Regimen habe, könne sie sich gut in die Situation der Protestler hineinversetzen. Merkel solle deshalb die Situation in Hongkong bei Gesprächen mit der chinesischen Regierung ansprechen. Die Bundeskanzlerin wird am Donnerstag nach China reisen und am Freitag Gespräche in Peking führen.
Nach den schweren Ausschreitungen am Wochenende in Hongkong kam es in der Nacht zum Mittwoch zu neuen Zwischenfällen. Die Polizei räumte gegen Mitternacht eine Gruppe von Demonstranten von einem Platz vor der Polizeistation im Stadtviertel Mong Kok, wie der Sender RTHK am Mittwoch berichtete. Auch machte die Polizei in der U-Bahn-Station Prince Edward eine Festnahme.
Bei beiden Polizeieinsätzen wurde Pfefferspray eingesetzt. Bei den Protesten und Ausschreitungen sind insgesamt bereits mehr als 1100 Menschen festgenommen worden. (dfr/sda/reu/dpa)