International
Interview

Experte über explodierende Pager: «Wurden kaum in Israel präpariert»

Hisbollah Anschlag 17.09.
Screenshot einer Überwachungskamera, welche festhielt, wie ein Hisbollah-Angehöriger (mit Kappe) während des Besuchs eines Gemüsemarktes durch seinen Pager verletzt wurde. Bild: twitter/sc
Interview

Geheimdienstexperte: «Das ist eine Machtdemonstration auf einem ganz neuen Level»

Über tausend Hisbollah-Pager explodierten gestern gleichzeitig. Die koordinierte Aktion verursacht entsetztes Erstaunen. Wie wird ein solcher Coup organisiert? Wir haben einen Experten dazu befragt.
18.09.2024, 15:4619.09.2024, 08:41
Mehr «International»

Bei einem Sabotageakt gegen die radikalislamische libanesische Terrororganisation Hisbollah explodierten gestern um 15.30 Uhr gleichzeitig über tausend Pager. Dabei wurden fast 3000 Hisbollah-Mitglieder, aber auch Unbeteiligte, verletzt. Mehr als zehn Personen starben, über 200 befinden sich in kritischem Zustand.

Dr. Nehring war bis vor Kurzem Lehrbeauftragter an der Professur Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam
Dr. Nehring war bis vor Kurzem Lehrbeauftragter an der Professur Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdambild: Nehring

Wir sprachen mit dem Spionage- und Geheimdienstexperten Dr. Christopher Nehring, wie eine solche koordinierte Aktion zustande kommt. Er ist Autor diverser Fachpublikationen und des 2022 erschienenen Titels: «Geheimdienstmorde: Wenn Staaten töten – Hintergründe, Motive, Methoden».

Herr Dr. Nehring, wie kommt es zu einer solchen Aktion?
Christopher Nehring: Es gibt zwei Möglichkeiten:

  1. Von langer Hand geplant, basierend auf Informationen der Lieferung der Pager.
  2. Die Durchführenden haben eine kurzfristige Möglichkeit erkannt, nachdem sie von der Lieferung Wind bekamen.

Als Laie tendiert man dazu, zu glauben, das sei alles akribisch und von langer Hand geplant.
Ich erachte die andere Möglichkeit aber als wahrscheinlicher. Geheimdienstoperationen sind oft das Resultat aus sich kurzfristig ergebenden Möglichkeiten.

Das bedingt aber, dass extrem rasch und entschieden eine Möglichkeit gefunden wurde, die Pager zu präparieren.
Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die bestellten Pager werden abgefangen, am Zoll, oder auf einem Schiff, präpariert und wieder deponiert – oder die bestellten Pager werden mit vorgängig präparierten Geräten oder Geräteteilen ausgetauscht. Pager sind ja klein, das sind nur ein paar Kisten. Der entscheidende Faktor ist aber die Zeit. Wurden die Pager zwei, drei Tage zwischengelagert, ist der Zeitdruck geringer, als wenn das nur ein paar Stunden sind. Und dann gibt es noch die Theorie, dass der mögliche Hersteller, aktuell wird eine Firma in Budapest, Ungarn, gehandelt, nur eine Tarnfirma war.

Ich persönlich glaube eher nicht, dass die Herstellerfirma involviert war.

Warum?
Je mehr Personen von der Operation wissen, desto grösser ist die Gefahr, dass sie auffliegt. Man versucht deshalb, den Kreis der involvierten Personen so klein wie möglich zu halten.

Welche Variante scheint Ihnen wahrscheinlicher? Dass die bestellte Ware durch vorpräparierte Geräte ersetzt wurde – oder dass die bestellten Pager abgefangen und präpariert wurden?
Nach dem aktuellen Erkenntnisstand sind beide Varianten möglich – und beides hat seine Vor- und Nachteile. Bei vorpräparierten Geräten muss die Bestellung vorgängig bekannt gewesen sein. Es müssen typengleiche Geräte oder optisch ähnliche beschafft und dann umgebaut werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Sache auffliegt. Der Vorteil dabei ist, dass am Ende einfach ein paar Kisten ersetzt werden müssen – was einfacher ist, als wenn die Ware zuerst entwendet, präpariert und wieder zurückgebracht werden muss.

Wie muss man sich das vorstellen? Dass irgendwo, mutmasslich in Israel, ein paar Agenten in einer Garage die tödlichen Bauteile zusammenlöten?
In Israel wurden die Geräte sicher nicht präpariert. Die Transportwege in den Libanon sind beschränkt – und der Zeitdruck vermutlich hoch. Die Operation fand ziemlich sicher ausserhalb von Israel statt.

Irgendwo braucht es eine Schnittstelle. Irgendwo muss es einen Kontakt zwischen einem Agenten und der Hisbollah gegeben haben …
Das muss nicht sein. Im Idealfall – Idealfall für die Durchführenden – hat niemand in der gesamten Lieferkette mitbekommen, dass präparierte Pager geliefert wurden. Ich erachte diese Möglichkeit sogar als realistisch. Wie gesagt: Der Kreis der Eingeweihten muss so klein wie möglich gehalten werden.

Wie viele Leute wissen von einer solchen Aktion?
Offiziell wissen wir nicht, wer dahintersteckt. Man kann aber davon ausgehen, dass es israelische Geheimdienste waren. In diesem Fall wären sicher der Premierminister, der Verteidigungsminister, die Führungsetage des Mossad oder des ausführenden Militärgeheimdienstes informiert. Und dann das durchführende Team. Dabei handelt es sich um Gruppen von 10 bis 20 Leuten. Einem solchen Team wäre so etwas zuzutrauen.

Aber auch die Präparation muss vorbereitet sein. Ich nehme an, da wurden elektronische Bauteile verwendet.
Ich nehme stark an, dass es auch Geräte geben wird, die nicht detoniert sind. Diese werden jetzt vermutlich von der Hisbollah untersucht. Sie werden herausfinden, ob Zeitzünder oder Fernzünder zum Einsatz kamen. Ich tippe auf Fernzünder. Aus der Erfahrung wissen wir, dass Geheimdienste bei solchen Operationen so viel Kontrolle wie möglich behalten möchten. Und das spricht für eine Fernzündung. Ein Zeitzünder, einmal gestellt, lässt sich nicht mehr kontrollieren.

Gab es schon einmal eine Operation in der Grössenordnung?
Ich weiss nicht, ob es jemals etwas Vergleichbares gab: Über 1000 zeitgleiche Explosionen, die Demonstration, dass man so viele Ziele an verschiedenen Orten attackieren kann, dass man die Kommunikationswege kennt. Die Demonstration, dass niemand sicher sein kann, dass man gewillt ist, auch Kollateralschäden wie tote Kinder und Jugendliche in Kauf zu nehmen, dass man eine weitere Eskalationsstufe in Kauf nimmt. Das alles ist schon eine enorme Machtdemonstration auf einem ganz neuen Level.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Angriff auf Israel
1 / 24
Angriff auf Israel
Am Morgen des 7. Oktobers 2023 startete die Terrormiliz Hamas einen grossflächigen Angriff auf zahlreiche Ziele in Israel. Es handelt sich um den grössten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
quelle: keystone / abir sultan
Auf Facebook teilenAuf X teilen
In halb Portugal wüten Waldbrände – und man sieht es aus dem Weltall
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
148 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
mstuedel
18.09.2024 16:20registriert Februar 2019
Dass durch diese Aktion der Iran vorgeführt wurde, macht sie noch einmal erfolgreicher. Der Iranische Botschafter, welcher bei der Aktion verletzt wurde, ist als Befehlsempfänger der Hisbollah blossgestellt.
24829
Melden
Zum Kommentar
avatar
Mari Huhn Ana
18.09.2024 15:55registriert Juni 2019
Günstig zu bekommen und sicher dachten sie ...
1249
Melden
Zum Kommentar
avatar
Meierli
18.09.2024 16:43registriert November 2019
Gestern Pager. Heute Walkie Talkies.

Bond wird neidisch.
574
Melden
Zum Kommentar
148
    Dieser kanadische Minister hat die perfekte Retourkutsche für Trumps Strafzölle

    Rache ist süss Booze! Zumindest in Kanada, wie es scheint. Denn als Antwort auf den von US-Präsident Donald Trump jetzt (nach einem Monat Verzögerung) doch noch losgetretenen Handelskrieg verbannt die kanadische Provinz Manitoba ab sofort amerikanischen Alkohol aus ihren Regalen. Die Art, wie der Premierminister von Manitoba, Wab Kinew, seine Retourkutsche verkündete, war sehr «trumpesk». Schau selbst:

    Zur Story