Hatten Sie Kardinal Robert Prevost auf der Rechnung?
Michael Meier: Mich hat es vor allem überrascht, dass seine Wahl so schnell erfolgte. Der Amerikaner wurde als Kompromisskandidat gehandelt und gilt als Mann der Mitte. Insofern hat das Konklave eine geschickte Lösung gewählt. Es wird keinen Bruch geben mit dem Kurs von Franziskus, aber Änderungen im Stil.
Was meinen Sie?
Franziskus hatte eine etwas chaotische Regierungsführung, liess sich vom Bauchgefühl leiten, wirkte spontan und sprunghaft. Der neue Papst Leo XIV., ein Kirchenrechtler und Kurienkardinal, wird wieder mehr Ordnung in den Vatikan bringen und eine klare Linie verfolgen. Das ist zum Beispiel bei ganz profanen Dingen wie den Finanzen nötig. Sie sind in Schieflage geraten.
Papst Franziskus galt als Papst der Armen. Erwarten Sie das auch von Leo XIV.?
Der letzte Papst mit diesem Namen, Leo XIII. (1878 bis 1903), galt als Arbeiterpapst. Er lehnte den Sozialismus ab, nahm aber als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche soziale Fragen auf. Ich werte die Namenswahl des neuen Papstes als Zeichen, dass er den sozialpolitischen Kurs von Franziskus weiterverfolgen wird. Das Gleiche dürfte für die Migrations- und Klimafrage gelten. Diese Positionen von Franziskus waren in der Kirche unbestritten.
Wie geht es unter Leo XIV. weiter in der Frauenfrage?
An der Bischofssynode, die letztes Jahr in Rom zu Ende ging, zeigte sich, dass er eher gegen die Frauenordination ist. Zum freiwilligen Zölibat äusserte er sich gar nicht. Leo XIV. ist Augustiner, ein Ordensmann. Mich würde es überraschen, wenn er die Zölibatspflicht lockern würde. Zum Segen für Homosexuelle äussert er sich zurückhaltend. Reformkatholiken und -katholikinnen dürfen sich nicht zu früh freuen. Er wird die angeblichen Reformen von Franziskus kaum vorantreiben.
Ist es denkbar, dass die Kirchen in den Weltregionen mehr Selbstbestimmung erhalten, dass in der Schweiz ein fortschrittlicher Kurs möglich wird?
Ganz und gar nicht. Leo XIV. steht für mehr Zentralisierung, mehr Vereinheitlichung, mehr Tradition. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er grünes Licht geben wird für Sonderlösungen in der Schweiz oder anderen Ländern. Er wird sicher den synodalen Prozess aufrechterhalten, an dem Reformthemen diskutiert werden. Das ist aber auch eine Möglichkeit, die Reformkatholiken bei Laune zu halten und dann doch alles beim Alten zu belassen.
Der neue Papst wurde kritisiert, als Bischof von Chiclayo in Peru und Ordensoberer in Chicago Missbrauchsfälle nicht angemessen untersucht zu haben. Ist das ein Handicap?
Es hat mich erstaunt, dass dies offenbar kein Hindernis für seine Wahl war.
Welches sind die grössten Herausforderungen für Leo XIV.?
Aus westlicher Warte die Reform der Kirche. Und er darf das Erbe von Franziskus bezüglich der vermeintlichen Reformen nicht verraten. Und er muss Ordnung in die Verwaltung des Vatikans bringen.
Leo XIV. hat auffallend oft das Wort Friede verwendet, als er vom Balkon zu den Gläubigen sprach. Kann der neue Papst in der Weltpolitik eine Rolle spielen?
Das Recht des Stärkeren ist weltweit auf dem Vormarsch. Der neue Papst kann ein Gegengewicht setzen zu den Autokraten. Mehr als Frieden und Gerechtigkeit einfordern kann er nicht. Die Aufrufe haben appellatorischen Charakter. Franziskus gelang es nicht, die Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine zu schlichten.
Ich meine was zur Hölle spricht gegen weibliche PriesterInnen, Kardinäle oder Päpstin? Was können die nicht was Männer können?
NICHTS.
Es ist nur die Borniertheit alter Männer.