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Brücke in Baltimore: «Schlepper hätten das Unglück verhindern können

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Hochseekapitän: «Soweit ich das beurteilen kann, trifft die Crew keine Schuld»

27.03.2024, 20:0727.03.2024, 22:13
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Bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Baltimore rammte am Dienstagmorgen ein Container-Schiff aus Singapur eine Autobrücke, welche darauf einstürzte. Mindestens sechs Personen kamen bei dem Unglück ums Leben. Wie es zur Katastrophe kommen konnte, wird derzeit abgeklärt. Im Interview mit watson erklärt der erfahrene Tankerkapitän Maksimilijan Zubanovic, welche Sicherheitsmassnahmen offensichtlich fehlschlugen.

Herr Zubanovic, wissen Sie mehr als wir zum Vorfall in Baltimore?
Maksimilijan Zubanovic:
Vermutlich nicht. Mir ist nur bekannt, dass es auf dem Schiff zu einem kompletten Blackout kam und versucht wurde, das Schiff mit einem Manöver und mit dem Abwerfen des Ankers zu stoppen. Und dass das alles fehlschlug und es danach zur Katastrophe kam.

Die «Dali» rammt einen Pfeiler der Key Bridge in Baltimore

Video: twitter/drericding

Was passiert bei einem Blackout auf einem Schiff?
Sämtliche Systeme fallen aus – für einen solchen Event gibt es einen Notfallplan und ein Notstromaggregat, in der Regel ein Dieselgenerator, der automatisch in Betrieb geht, sobald der Strom ausfällt. Läuft der Generator, kann das Schiff mit allen Systemen neu gestartet werden.

Tanker-Kapitän Maksimilijan Zubanovic befährt seit Jahren die Weltmeere.
Tanker-Kapitän Maksimilijan Zubanovic befährt seit Jahren die Weltmeere.bild: Maksimilijan Zubanovic

Ich denke, das wurde auch in Baltimore versucht. Man kann ja sehen, wie die Lichtmaschine an- und abgeht und schwarzer Rauch aufsteigt. Aber offensichtlich gab es Probleme.

Vom betroffenen Frachter ist bekannt, dass es bereits früher Schwierigkeiten mit dem Antrieb hatte. Das geht aus einem Inspektionsreport hervor, der letztes Jahr in Chile ausgestellt wurde. Ausserdem wurde ein anderes Schiff derselben Betreiberfirma ebenfalls aus dem Verkehr gezogen.

Angenommen, das Schiff kann nicht neu gestartet werden – wäre es auch möglich gewesen, es nur mit Notstrom-Betrieb zu steuern?
Extrem eingeschränkt ist das möglich. Aber wirklich nur sehr eingeschränkt. Manövrieren lässt sich ein solches Riesenschiff nur, wenn die Schiffspropeller drehen und sie Antriebskraft erzeugen. Im Notstrombetrieb tun sie das nicht.

Wie lange dauert es nach einem Blackout im Normalfall, bis man wieder Antriebskraft hat?
Im Normalfall geht das sehr schnell. Es gibt eine Reihe von Tests, die durchgeführt werden müssen, aber das sind nur ein paar Knöpfe, die gedrückt werden müssen. Das geht zack-zack.

Die Dali und was von der Key Bridge übrig blieb

A cargo ship is stuck under the part of the structure of the Francis Scott Key Bridge after the ship hit the bridge Wednesday, March 27, 2024, in Baltimore, Md. (AP Photo/Steve Helber)
Bild: keystone

Wäre dafür genug Zeit gewesen?
Ich denke ja. Diese Abläufe muss jeder Captain und jede Crew kennen und trainiert haben. Und die Geräte dafür müssen getestet werden.

Aber es ist offensichtlich, dass die Probleme hatten. Soweit ich das beurteilen kann, trifft den Captain, die Lotsen und die Crew keine Schuld. Es fehlte schlichtweg an Zeit – die Geschwindigkeitsvorgaben wurden ebenfalls eingehalten. Mir scheint, da verlief eigentlich alles nach Protokoll.

Wer ist in solchen Situationen verantwortlich für das Schiff?
Grundsätzlich ist immer der Captain verantwortlich. Aber in dieser Situation befinden sich lokale Lotsen an Bord. Sie übernehmen für die Zeit der Ausfahrt die Kontrolle – und sind dementsprechend verantwortlich. Gesteuert wird das Schiff von einem sogenannten AB – einem «Able Bodied Seaman», einem dafür ausgebildeten Seemann. Dazu kommt eine Person, die Ausschau hält. Zu keinem Zeitpunkt befinden sich mehr Leute auf der Brücke, als während der Einfahrt in oder Ausfahrt aus einem Hafen.

Kann es sein, dass ausgerechnet die eingeleiteten Rettungsmanöver die Katastrophe verursachten? In Videos kann man erkennen, wie das Schiff plötzlich abbiegt ...
Das glaube ich nicht. Ich glaube viel eher, dass die Verantwortlichen alles versuchten, die Katastrophe zu verhindern. Ich denke, das Schiff wurde von der Strömung erfasst und begann zu driften. Ich weiss nicht, wie tief es dort ist. Je tiefer, desto länger dauert es, bis das Ankerwerfen einen Effekt hat.

Hätte die Katastrophe verhindert werden können, wenn das Containerschiff von Schleppern begleitet worden wäre?
Die Antwort ist nicht so eindeutig. Auf einer rein technischen Ebene lautet die Antwort «ja». Hätten Schlepper das Schiff begleitet, hätten sie die Katastrophe verhindern können. Doch die Frage impliziert, dass dies auch organisatorisch möglich gewesen wäre. Und da ist die Antwort nicht so eindeutig. Für ein solches Containerschiff werden mehrere Schlepper benötigt – können diese dort in Baltimore jedes Containerschiff so lange begleiten? Vermutlich nicht. Ausserdem ist es eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Und was zwischen der Hafenbehörde und den Charterern des Schiffs abgemacht wurde. Das würde mich persönlich in dem Fall extrem wundernehmen.

Klären Sie uns auf.
Die Amerikaner sind extrem restriktiv. Besteht auch nur ein kleines Problem bei einem Frachter, wird es sogleich konfisziert, bis sämtliche Probleme behoben sind. Deshalb würde mich wundernehmen, unter welchen Bedingungen dieses Schiff, das bekanntermassen ein Jahr zuvor in Chile Probleme hatte, für Baltimore zugelassen wurde.

Der Bericht aus Chile wurde von der Hafenbehörde mit Sicherheit thematisiert. Warum das Schiff trotzdem anlegen durfte, wird dann die Untersuchung zeigen. Ich bin auf jeden Fall gespannt.

Das Interview wurde in Englisch geführt.

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quelle: ap/pa / steve parsons
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Einmaliger Gebrauch: Chinesisches Schiff crasht in Brücke
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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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John H.
27.03.2024 20:44registriert April 2019
Ich schätze ja Patrick Toggweiler sehr als Journalist. Aber diese Headline («Mit Schleppschiffen hätte die Katastrophe verhindert werden können») passt jetzt nicht wirklich zum Text ("Die Antwort ist nicht so eindeutig …").
Zum Unfall: Infrastruktur ist verletzlich und wenn wie hier eine Schwachstelle getroffen wird, kann das verheerend sein. Das haben wir auch in Genua gesehen. Sicherheit ist teuer.
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Dave1974
27.03.2024 21:01registriert April 2020
Die Schlagzeile kommt jedenfalls wieder mal eindeutiger daher, als die übersetzten Aussagen im Interview darunter.
Sogar das "Ja" wird relativiert.
Unglücke passieren leider und nicht immer kann man die Schuld einfach so jemandem zuspielen.
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Ismirimmernochegal
27.03.2024 21:15registriert März 2020
Die schlepperpflicht ist in den häfen ganz klar geregelt. Je nach grösse, tonnage und anderen faktoren. Entweder bestand eine schlepperpflicht bis zur durchfahrt der brücke oder nicht. Ich bin nicht ortskundig(der interwiewte kapitän offenbar auch nicht) aber so wie es auf den bildern aussieht war die brückendurchfahrt breit genug um auch ohne begleitung durchzufahren.
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