Im EU-Mitgliedstaat Irland sind am Freitag fast 3,7 Millionen Menschen zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. In letzten Umfragen deutete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der drei grössten Parteien an – den bisherigen Mitte-Rechts-Koalitionspartnern Fine Gael und Fianna Fail sowie der stärksten Oppositionskraft Sinn Féin, die früher als politischer Arm der Terrorgruppe IRA galt.
Premierminister Simon Harris von Fine Gael rief die Menschen auf, bei ihrer Stimmabgabe eine stabile Regierung im Blick zu haben. Sollten Dutzende unabhängige Kandidaten ins Parlament in Dublin gewählt werden, sei dieses Ziel in Gefahr, sagte Harris der britischen Nachrichtenagentur PA.
Die Beliebtheitswerte des Regierungschefs, der das Amt erst im April von seinem Parteifreund Leo Varadkar übernommen hatte, waren zuletzt stark gesunken. Als ein Grund gilt eine Begegnung von Harris mit einer Frau, die ihn nach seinem Einsatz für Behinderte und deren Betreuer fragte. Der «Taoiseach», wie das Amt des Premierministers heisst (gesprochen in etwa «Tie-Schock»), wandte sich brüsk ab. Später entschuldigte sich der 38-Jährige.
Seit der vorigen Wahl 2020 regieren mit Fine Gael und Fianna Fail zwei Mitte-Rechts-Parteien, die eigentlich als Gegner gelten, gemeinsam mit den Grünen. Grund für die historische Kooperation ist vor allem, dass die beiden grossen Parteien die links-nationale Sinn Féin aus der Regierung heraushalten wollen. Als Folge wechselten sich Fianna Fail und Fine Gael zur Mitte der Legislaturperiode im Amt des Regierungschefs ab.
Den Umfragen zufolge ist es möglich, dass sie ihre Koalition in dem Land mit etwa 5,1 Millionen Einwohnern fortsetzen. Beide liegen ebenso wie Sinn Féin um 20 Prozent. Sowohl Regierungschef Harris als auch sein Vize Micheál Martin von Fianna Fail haben eine Zusammenarbeit mit Sinn Féin ausgeschlossen.
Die Partei Sinn Féin unter der Führung von Mary Lou McDonald tritt vehement für eine irische Wiedervereinigung ein. In der britischen Nachbarprovinz Nordirland ist sie die stärkste Kraft, in der Republik Irland hat sie dieses Ziel hingegen noch nie erreicht und auch noch nie regiert. Sinn Féin steht unter Druck, weil die Partei mehrere Fälle von Kindesmissbrauch durch einen ehemaligen Mitarbeiter vertuscht hatte.
Wichtigste Themen bei der Wahl sind soziale Probleme wie Wohnungsnot. Viele junge Leute können sich trotz Jobs keine Unterkunft leisten und wohnen weiter bei ihren Eltern. Zuletzt nahmen Vorwürfe von Rechtspopulisten zu, der Zuzug von Migrantinnen und Migranten verknappe den Wohnraum weiter.
Gewählt werden 174 Abgeordnete in 43 Wahlkreisen. Die Wahllokale öffnen um 8.00 Uhr und schliessen um 23.00 Uhr (jeweils MEZ). Die Stimmauszählung beginnt erst am Samstag um 10.00 Uhr (MEZ). Wegen des komplizierten Wahlrechts ist unklar, wann ein Ergebnis feststeht. Bei der Europawahl dauerte es eine Woche, bis alle Mandate vergeben waren. (dab/sda/dpa)