Drei Wochen nach dem verheerenden Massaker islamistischer Terroristen deuten neue Gegenattacken der israelischen Armee auf eine Intensivierung des Gaza-Kriegs hin. Nach etlichen Luftangriffen in der Nacht zu Samstag mehrten sich Vermutungen, dass die erwartete Bodenoffensive begonnen haben könnte. Israels Armee bestätigte dies zunächst nicht – hatte zuvor aber angekündigt, ihre Bodeneinsätze gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas auszuweiten. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschloss eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Lage und für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen. Dort hat sich die Lage mit dem Zusammenbruch des Kommunikationsnetzes nochmals verschärft.
Die am Freitag (Ortszeit) in New York angenommene UN-Resolution erreichte in der Vollversammlung die notwendige Zweidrittelmehrheit. 120 Länder stimmten dafür, 14 dagegen – Deutschland gehörte zu den 45, die sich enthielten. Resolutionen der UN-Vollversammlung sind nicht rechtlich bindend, ihnen wird eher symbolische Signalwirkung beigemessen - und in diesem Fall gibt das Votum auch Aufschluss über das Stimmungsbild der Weltgemeinschaft im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Der mächtigere UN-Sicherheitsrat, dessen Beschlüsse bindend sind, war zuvor mehrfach an der Verabschiedung einer Resolution mit Fokus auf der humanitären Lage im Gazastreifen gescheitert.
Die nun verabschiedete Resolution verurteilt unter anderem jegliche Gewalt gegen die israelische und palästinensische Zivilbevölkerung, fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller «illegal festgehaltenen» Zivilisten und verlangt ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. Ausserdem wird zu einer «sofortigen dauerhaften und nachhaltigen humanitären Waffenruhe» aufgerufen, die zur «Einstellung der Feindseligkeiten» führen solle.
Aussenministerin Annalena Baerbock begründete die Enthaltung Deutschlands damit, dass das Papier nicht ausgewogen genug sei. «Weil die Resolution den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nennt, die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug fordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt, haben wir mit vielen unserer europäischen Partner entschieden, der Resolution am Ende nicht zuzustimmen», teilte sie nach der Abstimmung mit.
Die Konfliktparteien selbst reagierten wie zu erwarten höchst unterschiedlich auf das Votum in New York. «Wir lehnen den verabscheuungswürdigen Ruf der UN-Generalversammlung nach einem Waffenstillstand entschieden ab», sagte Israels Aussenminister Eli Cohen. «Israel beabsichtigt, die Hamas zu eliminieren.» So sei die Welt auch mit den Nazis und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfahren. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan sprach von einem «dunklen Tag für die UN und für die Menschheit», der mit Schande in die Geschichte eingehen werde. Die Hamas begrüsste die Annahme der Resolution hingegen und forderte die UN auf, sofort Massnahmen zu ihrer Umsetzung zu ergreifen.
Der militärische Arm der Islamistenorganisation behauptete, es habe Bodeneinsätze der israelischen Armee und gewalttätige Zusammenstösse in Beit Hanun im Norden des Gazastreifens sowie östlich des Flüchtlingslagers Al-Bureidsch gegeben. Beide Orte liegen in Grenznähe. Unabhängig waren die Angaben der Al-Kassam-Brigaden vom späten Freitagabend nicht zu überprüfen. Israels Armee hatte zuvor angekündigt, ihre Bodeneinsätze dem dicht besiedelten Küstengebiet auszuweiten.
Unklar war zunächst, ob die Ankündigung den Beginn der erwarteten Bodenoffensive darstellte. Die Armee hatte zuvor vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstösse am Boden gemacht. Jordaniens Aussenministers Aiman Safadi äusserte sich überzeugt: «Israel hat gerade einen Bodenkrieg gegen Gaza gestartet», schrieb er bei X.
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist schon jetzt katastrophal – und könnte sich im Falle einer Bodenoffensive mit blutigen Strassenkämpfen zwischen Wohnhäusern, noch mehr Luftangriffen und möglicherweise auch Artilleriebeschuss nochmals verschärfen. Die Palästinensische Telekommunikationsgesellschaft erklärte zudem, dass nun auch alle Kommunikationsdienste und das Internet flächendeckend ausgefallen seien. Schuld sei die heftige Bombardierung durch die israelische Armee, teilte das im Westjordanland ansässige Unternehmen Paltel mit.
Mehrere Hilfsorganisationen berichteten, den Kontakt zu ihren Mitarbeitern verloren zu haben. Der Palästinensische Rote Halbmond verlor den Draht zu allen Einsatzzentralen und Teams im Gazastreifen. Zu befürchten sei, dass die Einsatzkräfte keine medizinischen Notfalldienste mehr leisten könnten. Auch die Notrufzentrale sei von dem Ausfall betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nach eigenen Angaben ebenfalls keinen Kontakt mehr zu ihren Mitarbeitern und Einrichtungen.
Die Lage im Kampfgebiet ist auch für Journalisten höchst gefährlich, die unter Einsatz ihres Lebens von dort berichten. Das in den USA ansässige Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) sprach von mehr als 29 getöteten Medienschaffenden seit der Terrorattacke der Hamas vor drei Wochen. Zudem warnte die Organisation, dass ein Ausfall des Kommunikationsnetzes auch verhindern könnte, dass weitere Nachrichten von dort verbreitet werden.
In Jordanien protestierten Tausende Menschen aus Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen. In der Hauptstadt Amman zogen die Mengen nach dem Freitagsgebet durch das Stadtzentrum, wie der Fernsehsender Al-Ghad berichtete. Am Abend versammelten sich nach Ankündigung der ausgeweiteten Bodeneinsätze durch Israel auch Demonstranten vor der israelischen Botschaft. Die Polizei setzte Tränengas ein, um sie auseinanderzutreiben, wie auf Videos in sozialen Medien zu sehen war. Auch in anderen arabischen Ländern gab es wieder Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser.
Im Westjordanland protestierten am Freitagabend ebenfalls zahlreiche Palästinenser, wie israelische Medien berichteten. Auch in Ramallah, Hebron und vielen anderen Orten im Westjordanland gingen demnach Menschen auf die Strasse, um ihre Solidarität mit den zu grossen Teilen Bewohnern des Gazastreifens zu zeigen. An der Grand Central Station in New York demonstrierten Hunderte Menschen für eine Feuerpause.
Abzuwarten bleibt, ob und wann die israelische Armee den Beginn ihrer Bodenoffensive offiziell verkündet. Im Gazastreifen harren die Menschen derweil weiter unter miserabelsten Bedingungen aus. Auch in mehreren deutschen Städten sind für dieses Wochenende Kundgebungen zum Nahost-Konflikt angekündigt. Ein Schwerpunkt ist Berlin, wo am Samstag und Sonntag verschiedene Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen angemeldet sind – sowohl pro-palästinensische als auch pro-israelische. (sda/dpa)