Israel hat mit seiner Offensive im Gazastreifen nach eigenen Angaben die militärische Struktur der islamistischen Terrororganisation Hamas im Norden des Küstengebiets demontiert. Bei den Einsätzen gelangte das Militär ausserdem in den Besitz wichtiger geheimdienstrelevanter Informationen. Unterdessen arbeiten westliche Chefdiplomaten mit Ländern in der Region weiter an einer Deeskalation des Konflikts. Ein Deal über die noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln könnte aus Sicht des vermittelnden Golfemirats Katar nach der Tötung eines wichtigen Hamas-Anführer im Libanon schwieriger werden, wie es in einem Bericht heisst.
In der Nacht zum Sonntag veröffentlichte Israels Armee auf X Videos zu dem Einsatz im Norden des Gazastreifens. Sprecher Daniel Hagari sagte, die Hamas habe vor Kriegsbeginn im Norden über zwei Brigaden mit zwölf Regimentern verfügt. «Insgesamt waren es etwa 14'000 Terroristen», sagte er. Seitdem seien zahlreiche Kommandeure getötet sowie Waffen und Munition zerstört worden. Die Soldaten hätten unterirdische Tunnel gefunden und demoliert.
Allein im Flüchtlingsviertel Dschabalia wurden laut Hagari acht Kilometer unterirdischer Tunnel sowie 40 Eingänge gefunden. In dem Bereich funktioniere die Hamas nicht mehr auf organisierte Weise. «Es gibt in Dschabalia immer noch Terroristen, aber jetzt agieren sie ohne Rahmen und ohne Kommandeure.» Er erwarte aber weiter sporadische Raketenangriffe auf Israel aus diesem Bereich. Die Armee will sich nach eigenen Angaben nun darauf konzentrieren, die Hamas-Strukturen im Zentrum und Süden des Gazastreifens zu zerstören. Nach Israels Darstellung sind bisher rund 8000 Terroristen getötet worden.
Im Zuge der Offensive scheint Israel auch neue Erkenntnisse zu einem untergetauchten Hamas-Führungsmitglied erlangt zu haben. Die Armee veröffentlichte ein Foto, das den Chef des bewaffneten Arms der Hamas, Mohammed Deif, zeigen soll. Darauf ist ein grauhaariger, bärtiger Mann zu sehen, der in der linken Hand mehrere Geldscheine und in der rechten Hand einen Plastikbecher mit einer Flüssigkeit hält. Bis Kriegsbeginn hatte Israel nur sehr alte Fotos von dem Mann, der als einer der zentralen Drahtzieher des Terrorangriffs gilt. Im Dezember tauchte ein neueres Bild von Deif auf. Jahrelang galt er als Phantom und überlebte bereits zahlreiche Tötungsversuche Israels.
Israel war lange davon ausgegangen, dass Deif mehrere Gliedmassen verloren hatte. Im Dezember berichteten israelische Medien aber, die Armee habe ein Video gefunden, das Deif mit beiden Armen und beiden Beinen zeige. «Gemeinsam mit (dem Inlandsgeheimdienst) Schin Bet haben wir Terroraktivisten verhört», sagte Hagari. «Das Ergebnis war, dass wir Informationen über ranghohe Hamas-Anführer erlangt haben, darunter auch Dokumentation von Mohammed Deif und auch Informationen über Hamas-Anführer, die sich ausserhalb des Gazastreifens aufhalten.»
Neben den Gefechten in Gaza wurde auch an Israels Nordgrenze zum Libanon wieder geschossen. Die Schiitenmiliz Hisbollah feuerte am Samstag nach eigenen Angaben insgesamt 62 Raketen auf Israel und damit mehr als sonst. Die mit dem Iran und der Hamas verbündete Miliz visierte demnach eine Militärbasis nahe Meron in Nordisrael an. Der Angriff sei eine «erste Reaktion» auf die Tötung des zweithöchsten Anführers der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, am Dienstag in Beirut gewesen, erklärte die Hisbollah. Sie vermutet Israel hinter der Tat.
Wegen der Tötung Al-Aruris geht das Golfemirat Katar davon aus, dass ein weiterer Deal zur Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas schwierig werden könnte. Das berichtete das Nachrichtenportal «Axios» in der Nacht zum Sonntag unter Berufung auf eine israelische Quelle und einen katarischen Beamten. Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani habe dies mehreren Familien israelischer Geiseln, die ihn in der Hauptstadt Doha trafen, gesagt.
Im Gazastreifen sterben bei israelischen Angriffen unterdessen weiter Menschen: Die Zahl getöteter Bewohner stieg auf 22'722, wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde am Samstag mitteilte. Das waren 122 mehr als am Vortag. Zudem seien insgesamt 58'166 Verletzte registriert worden, 256 binnen 24 Stunden. Die israelische Armee setzte ihren Kampf gegen die Hamas in verschiedenen Teilen des nur etwa 40 Kilometer langen und zwischen 6 und 12 Kilometer breiten Küstenstreifens fort. In der schwer umkämpften Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens sei eine ungenannte Zahl von Gegnern getötet sowie Eingänge zu Hamas-Tunneln und Waffenlager zerstört worden.
In der Hoffnung, eine Deeskalation des Konflikts voranzutreiben besuchte US-Aussenminister Antony Blinken Jordaniens Hauptstadt Amman. «Jordanien ist ein entscheidender Partner, um dabei zu helfen, eine Ausweitung des Konflikts in der Region zu verhindern», schrieb Blinkens Sprecher Matthew Miller in der Nacht zum Sonntag auf X. Blinken wollte noch Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien sowie Israel, das Westjordanland und Ägypten besuchen. Parallel setzte sich EU-Chefdiplomat Josep Borrell im Libanon für eine Deeskalation ein.
Bundesaussenministerin Annalena Baerbock reist erneut nach Israel. Zum Beginn ihres Besuchs wollte die Grünen-Politikerin ihren neuen Amtskollegen Israel Katz treffen. Geplant war auch ein Gespräch mit Präsident Izchak Herzog. Es dürfte darin um Bemühungen zur Freilassung der von der islamistischen Hamas verschleppten Geiseln gehen. Zudem dürften die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen sowie eine mögliche Zweistaatenlösung nach Ende des Gaza-Krieges Thema sein. US-Aussenminister Blinken befindet sich ebenfalls auf einer Nahost-Reise und wird in den kommenden Tagen unter anderem auch in Israel erwartet. (sda/dpa)