Schweiz
Klima

Kritik am Parlament: «Werden Klimaziele 2030 massiv verfehlen»

Un drapeau Suisse est visible devant le glacier du Rhone et la grotte de glace le mercredi 26 juin 2024 entre Gletsch et le Col de la Furka en Valais. Avec la fonte du glacier du Rhone, suite aux chan ...
Die Klimaerwärmung lässt den Rhonegletscher immer stärker schmelzen.Bild: KEYSTONE

«Werden Klimaziele 2030 massiv verfehlen»: Oberster Klimabeamter kritisiert das Parlament

Die Schweiz hat sich mit dem Pariser Abkommen verpflichtet, die Treibhausgasemissionen stark zu reduzieren. Doch unser Land sei nicht auf Kurs und in der Bundespolitik interessiere sich kaum jemand fürs Klima, sagt Reto Burkard, Vizedirektor des Bafu.
08.11.2025, 22:1708.11.2025, 22:17
Annika Bangerter / ch media

Klimaexpertinnen und Klimaexperten warnen schon seit Längerem: Die Schweiz muss sich viel mehr anstrengen, ihre Treibhausgase zu reduzieren, wenn sie ihre Ziele nicht verfehlen will. Mit dem Pariser Abkommen hat sich die Schweiz per 2050 zu Netto-Null verpflichtet. Ein wichtiges Etappenziel stellt das Jahr 2030 dar. Bis dahin sollen die Emissionen gegenüber 1990 halbiert sein. So will es auch das vom Parlament verabschiedete CO₂-Gesetz.

Dass der eingeschlagene Weg nicht zu diesem Ziel führt, bestätigt nun auch der höchste Klimabeamte der Schweiz, Reto Burkard. Er leitet den Direktionsbereich Klima und ist Vizedirektor des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). An der Klimarechtstagung an der Universität Bern sagte er: «Stand heute kann ich Ihnen versichern, wir werden unsere Klimaziele für 2030 verfehlen – und dies massiv.» Der Auftritt erfolgte vergangene Woche, blieb jedoch in der Öffentlichkeit bislang unbeachtet – trotz der teils brisanten Aussagen.

Die Schweiz hat bereits 2020 ihr Ziel nicht erreicht, wenn auch nur knapp. Damals war eine Reduktion der Emissionen um zwanzig Prozent vorgegeben, erreicht wurden jedoch nur 19. In etwas mehr als vier Jahren dürfte das Scheitern dann aber krachend sein. Konkrete Zahlen nannte Burkard nicht, doch er sprach davon, dass die Verfehlung massiv ausfallen werde. «Ausser der Bundesrat hat Lust pro Jahr 400 Millionen Franken aus der allgemeinen Bundeskasse zu nehmen», sagte er.

Doch selbst für diesen unwahrscheinlichen Fall wäre die Zeit zu knapp, um die Vorgaben noch zu erfüllen, hielt Burkard fest. Das Verfehlen der Klimaziele sei dann vielleicht ein Türöffner für eine andere Diskussion. Eine, vor der er sich persönlich fürchte: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir dann darüber diskutieren werden, ob die Schweiz beim Pariser Abkommen noch dabei sein soll oder nicht.»

Schweiz nutzt nicht alle Möglichkeiten

Besonders in der Pflicht, Dinge anzustossen, sieht der Vizedirektor des Bafu das nationale Parlament. Doch dieses scheint ihn desillusioniert zu haben: «Wenn ich sage, wir sollten aktiv sein, dann ist das primär abhängig von der Legislative. Aber im Moment interessiert das Klima in der Bundespolitik kaum jemanden.»

Burkard nimmt die Bundesversammlung auch in die Verantwortung für das Scheitern der Klimaziele 2030. Das Parlament habe über die Massnahmen entschieden, sagt er. «Wir haben immer offengelegt, dass jene fürs Inland nie ausreichen werden, um die Emissionen zu halbieren. Etwas salopp gesagt, hat dann das Parlament entschieden, dass der Bund bei einer sich abzeichnenden Zielverfehlung Zertifikate kaufen soll.»

Der oberste Klimabeamte
Reto Burkard ist Vizedirektor des Bundesamtes für Umwelt. Er leitet den Direktionsbereich Klima und ist Mitglied der Geschäftsleitung des Bafu.
infobox image
Bild: bafu

Gemeint sind damit die CO₂-Kompensationen im Ausland. Diese sind nicht nur umstritten, sondern kommen ebenfalls nicht zum Fliegen. Dabei stellen sie eine bedeutende Säule der angestrebten Reduktionsziele dar. Ein Drittel der beschlossenen CO₂-Einsparungen soll mit Projekten im Ausland erreicht werden. Das sind 34 Millionen Tonnen.

Kürzlich berichtete das Magazin «Beobachter», dass der Bund erst 0,04 Prozent dieses Ziels erreicht habe. Zwei Projekte – eines in Thailand und eines in Ghana – brachten der Schweiz 13'649 Zertifikate ein. Ein Zertifikat gibt es für eine Tonne CO₂-Reduktion. Die Schweiz bräuchte also 34 Millionen davon.

Burkard bestätigte an der Klimarechtstagung diese Zahlen. Und verteidigte sie: «Die Projektprüfung der Schweiz ist vorbildlich.» Das Bafu ist dem Vorwurf ausgesetzt, zu viele Daten zu verlangen und zu viel Zeit für die Überprüfung aufzuwenden. Das lasse sich aber nicht ändern, wenn Greenwashing-Projekte ausgeschlossen werden sollen, sagte Burkard. Bis Ende des Jahres, so hofft er, sollte sich die Anzahl Zertifikate verdreifachen oder vervierfachen.

Lange Diskussionen, verspätete Umsetzung

An der Tagung sassen primär Juristinnen, Klimawissenschaftler und Politologinnen. Burkard stand bei der Panel-Diskussion auf dem Podium. Dort machte er aus seinem Frust keinen Hehl. So sagte er: «Wir befinden uns in einer Delle. Was es nicht braucht, sind weitere Ziele. Die interessieren mich inzwischen nicht mehr. Was mich interessiert, ist ein Massnahmenmix, der gesellschaftsfähig ist. Einer, der tatsächlich eine grosse Wahrscheinlichkeit hat, im Parlament zu überleben.»

Es fehle nicht an Studien – auch das Bafu mache «Studien à gogo». Längst sei bekannt, dass je länger man bezüglich Klimawandel warte, umso teurer dieser einem zu stehen komme. «Aber diese Erkenntnis kommt nicht an. Wie schaffen wir es also, dass die Politiker sie wahrnehmen?», fragt Burkard. Denn grundsätzlich gäbe es gute Entwicklungen, auch in der Schweiz. Etwa im Bereich Elektromobilität und Gebäudesanierung.

«Entscheidend ist aber die Geschwindigkeit der Umsetzung. Es kann nicht sein, dass wir seit zehn Jahren über die Förderung der Elektromobilität und deren Ladestationen diskutieren. Das müsste alles viel schneller gehen», kritisiert Burkard. Zudem befände man sich nicht mehr in der Lage, darüber zu debattieren, ob auf gewisse Ansätze wie etwa die Auslandskompensationen verzichtet werden könne: «Es braucht alles. Und ein jeder muss dranbleiben und vorwärts kämpfen.» Ein Zuspruch, den er wohl auch an sich selbst richtete. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
54 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Hausmeister krause
09.11.2025 00:33registriert Mai 2016
Es ist halt schwierig weil einfach zuviele mitreden können. Bei jedem Krenkraftwerk, Windpark oder Solarpark kommt eine Vögeliverein der Einspruch erheben kann. Und weil das nicht funktioniert, jetzt haltet euch ganz fest, kauft man Bäume in Ghana! 🤣🤣
Ich wünschte das wäre ironisch ist es aber nicht.
5111
Melden
Zum Kommentar
avatar
juergen
09.11.2025 03:27registriert Juli 2025
Das wird den meisten jetzt wahrscheinlich nicht passen, aber die Politik wird uns leider nicht retten... Jeder der darauf wartet, dass jemand kommt und ihm/ihr sagt was er/sie tun soll um das Problem zu lösen, kann bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten. Da wird keiner kommen.
Benutzt mal euren eigenen Fleischkäse. So schwer ist das nicht. Um eine Abkehr von gewissen Verhaltensmustern werden wir nicht herum kommen. Ich spreche hier absichtlich nicht von Verzicht, aber gewisse unserer täglichen Gewohnheiten werden wir anpassen müssen, wenn wir das Problem in den Griff bekommen wollen.
Over and out
4811
Melden
Zum Kommentar
avatar
il dubbioso
09.11.2025 03:46registriert Mai 2025
Und während ich diesen Artikel lese, taucht eine Autowerbung auf. So absurd ist unsere Realität.
4410
Melden
Zum Kommentar
54
Mitte spricht sich klar gegen Senkung der SRG-Gebührengelder aus
Praktisch oppositionslos hat die Mitte am Samstag an ihrer Delegiertenversammlung in Grenchen SO die Nein-Parole zur SRG-Initiative gefasst: Eine weitere Reduktion der TV- und Radiogebühren würde den Zusammenhalt der Schweiz gefährden, brachten die Anwesenden vor.
Zur Story