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Unter den Füssen Hunderttausender tickt eine Bombe

In den Phlegräischen Feldern rund um Neapel bebt aktuell Dutzende Male am Tag die Erde.
In den Phlegräischen Feldern rund um Neapel bebt aktuell Dutzende Male am Tag die Erde.Bild: Pedro Emanuel Pereira/Getty

Unter den Füssen Hunderttausender tickt eine Bombe

Vulkane rufen häufig Bilder von Bergen und Lavaströmen hervor. Nahe Neapel droht die Gefahr aus dem Boden. Wie lebt es sich auf den «brennenden Feldern»?
14.11.2023, 14:1114.11.2023, 14:20
Christoph Sator / t-online
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Der Sportplatz von Montefusco Spinesi ist keiner, auf dem die grossen Erfolge gefeiert werden. Ein Kunstrasen in einem Vorort von Neapel, mehr schwarz als grün, hinterm Tor dicke Plastikplanen, die Tribüne einfach nur Beton. Ein Platz, wie viele in Italien. Was Montefusco Spinesi so besonders macht: Hier wird mitten auf Europas wahrscheinlich gefährlichstem Vulkan Fussball gespielt. Auch an diesem Abend steigen in der Nähe wieder Rauchwolken aus der Erde. Es riecht nach faulen Eiern. Die Leute sind das gewohnt. Nur sind ihre Sorgen neuerdings stark gewachsen.

«Ich bin hier aufgewachsen. Aber seit ein paar Wochen spielt die Angst mit.»
GERARDO CERINO, ANWOHNER

Seit Monaten wird die dicht besiedelte Region im Westen der Millionenstadt von kleinen und grösseren Erdbeben erschüttert: allein seit Anfang September mehr als 1'500. Meist nur ein Zittern von einigen Sekunden, manchmal begleitet von einem Rumoren im Untergrund, ohne, dass bislang gross etwas passierte. Aber das heftigste Beben hatte immerhin Stärke 4.2. Viele Anwohner fürchten, dies seien Vorzeichen für einen Ausbruch. Gerardo Cerino (55), der seinen Sohn gerade beim Fussballtraining beobachtet, sagt: «Ich bin hier aufgewachsen. Aber seit ein paar Wochen spielt die Angst mit.»

Die Gegend hier trägt die Gefahr schon im Namen: Campi Flegrei. Wörtlich übersetzt: brennende Felder. Die Wissenschaft hat daraus mit etwas mehr Zurückhaltung die Phlegräischen Felder gemacht. Der hiesige Vulkan ist kein wohlgeformter Berg wie der Vesuv, der seit seinem spektakulären Ausbruch auf Pompeji im Jahr 79 Neapels Panorama so schön beherrscht. Bei den Campi Flegrei schlummert die Gefahr im Boden, man sieht sie nicht: ein insgesamt 150 Quadratkilometer grosses Areal aus Dellen und Kratern, zu grossen Teilen im Meer versteckt.

Explosionsgefahr im Boden

Auf dem Festland lässt sich das Risiko am ehesten in der Hafenstadt Pozzuoli ahnen, ein paar Kilometer vom Fussballplatz entfernt. Auf dem Kraterfeld Solfatara blubbert die Erde vor sich hin, Rauch zieht nach oben, der Wasserdampf ist mit Kohlendioxid und Schwefel versetzt - daher der Faule-Eier-Gestank. Bis vor ein paar Jahren war die Solfatara eine Touristenattraktion. Seit 2017, als ein Paar mit elfjährigem Sohn auf dem Feld ums Leben kam, ist sie Sperrgebiet. Das Spektakel lässt sich jetzt nur noch von einem Hügel aus betrachten. Daneben steht ein Luxushotel mit Blick weit hinaus aufs Meer.

Vor 39'000 Jahren war dies der Schauplatz der grössten vulkanischen Eruption der letzten Hunderttausend Jahre in Europa. Damals wurde in weiten Teilen des heutigen Süditaliens fast alles Leben vernichtet. Die Asche flog bis aufs Gebiet des heutigen Russlands. Aus diesen Zeiten hat die Bezeichnung Supervulkan für die Campi Flegrei ihre Berechtigung. Supervulkane zeichnen sich durch eine besonders grosse Magmakammer und enorme Gewalt aus: Anders als normale Vulkane explodieren sie regelrecht.

Der letzte Ausbruch auf den Campi Flegrei war 1538. Zuvor hatte sich der Boden über einen Zeitraum von 70 Jahren durch Magmaschübe nach und nach um mehrere Meter angehoben. Das ist auch heute das Szenario: Seit sieben Jahrzehnten wölbt sich der Boden wieder. In Pozzuoli erkennt man das daran, dass die Kaimauer im Hafen um ein paar Meter höher liegt als früher: Die Fischer haben Schwierigkeiten, sie von ihren Booten aus zu erreichen.

«Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt»

Im Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie von Neapel wird das alles genau verfolgt: die Beben, das Auf und Ab des Bodens, die Zusammensetzung des Rauchs. An einem der Bildschirme steht der Geophysiker Giovanni Macedonio. «Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt», sagt der 64-Jährige. Aufgrund der Daten erwarten die meisten Experten, dass sich der Boden weiter wölben wird. Heisst: mehr Spannung, mehr Risse, mehr Brüche, mehr Beben. Bis es irgendwann vielleicht zu viel wird.

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Aber wann, was und ob überhaupt etwas passieren wird, weiss niemand. Es muss keine Eruption sein. Möglich auch, dass es ein schweres Erdbeben gibt oder eine Wasserdampf-Explosion mitten in der Stadt mit schlimmen Folgen. Denkbar ist aber auch, dass sich der Supervulkan wieder fast völlig beruhigt. So oder so: Macedonio ist zuversichtlich, dass die Bevölkerung im Fall der Fälle rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden kann. 48 Stunden sollen reichen, um mehr als 360'000 Menschen zu evakuieren, die in der unmittelbaren Gefahrenzone leben.

Die Koffer sind gepackt

Seit 2012 gilt in der Region Alarmstufe Gelb – erhöhte Wachsamkeit. Nach den vielen Beben der letzten Monate wird nun spekuliert, dass sie demnächst auf Orange angehoben wird. Der Zivilschutzminister der italienischen Rechtsregierung, Nello Musumeci, deutete das bereits an. Beschlossen wurde in Rom schon, dass der Katastrophenschutz für die Campi Flegrei 52 Millionen Euro zusätzlich bekommt.

In der Nachbarschaft bereiten sich die Leute sicherheitshalber vor. Die 36-jährige Hausfrau Silvana Di Dio gehört zu denen, die schon einen Koffer gepackt haben. Er steht zu Hause im Flur. «Das Allernötigste nur: Kleidung, Medikamente, Kosmetik. Wir sind in zehn Minuten abfahrbereit», sagt die Mutter von zwei Kindern. Auch die Pfarrei von San Gennaro an der Solfatara hat schon Vorsorge getroffen. Bei Gottesdiensten bleibt die Kirchentür neuerdings offen. So sollen die Gläubigen, wenn etwas passiert, schneller nach draussen kommen.

(mit Material der dpa)

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eifach_öpis
14.11.2023 15:33registriert Februar 2016
48 Stunden um über 360´000 Menschen zu evakuieren ist schon sehr gewagt...

Was mich bei solchen Berichten immer wieder frage:

Warum genau darf auf einem AKTIVEM VULKAN weiter gebaut werden was das Zeug hält!? das ist doch verrückt!
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kaderschaufel
14.11.2023 15:32registriert Juni 2015
Ich finde es als Laie unglaublich schwer einzuschätzen, wie gross die Gefahr wirklich ist. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass sagen wir im nächsten Jahr etwas schlimmes passiert? 90%? Oder weniger als 1%? Würde da gerne mal eine fundierte Analyse von einem Experten lesen, und nicht nur sensationssuchende Artikel.
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