Mit Tränen in den Augen liegen sich vor dem Gerichtsgebäude in der norditalienischen Stadt Genua Menschen in den Armen. Eine Frau trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Foto eines jungen Mannes darauf.
Fast vier Jahre nach dem tödlichen Einsturz der Autobahnbrücke Ponte Morandi in Genua hat vor dem Gericht in der norditalienischen Stadt der Prozess begonnen.
Die erste Verhandlung wurde am Donnerstagvormittag eröffnet. Dabei müssen sich 59 Menschen für das Unglück vom 14. August 2018 verantworten. Damals gab es 43 Tote. Die Anklage will mehr als 170 Zeugen hören. Ausserdem sind über 300 Zivilkläger zugelassen und weitere könnten noch folgen. Ein Problem bei der Suche nach den Verantwortlichen des Unglücks dürfte die lange Prozessdauer sein.
«Es ist die letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit, die wir haben», sagte eine Angehörige, die bei dem Unglück am 14. August 2018 mit 43 Toten ihren Partner verlor, im italienischen Fernsehen. Die Bilder des eingebrochenen Brückenabschnitts mit einem Lastwagen, der kurz vor der Kante zum Stehen kam, gingen damals um die Welt.
«Nach fast vier Jahren Warten haben wir grosse Erwartungen», sagte die Sprecherin des Opferverbandes, Egle Possetti. «Wir haben die Erwartung, dass dieser Prozess Gerechtigkeit bringt, dass er Klarheit über die Gründe und Verantwortlichkeit schafft, die zur Tötung unserer Angehörigen geführt haben, denn ansonsten wird der Tod unserer Lieben unnütz sein, und sie werden nicht in Frieden ruhen können», erklärte sie weiter.
Beobachter gehen davon aus, dass erste Urteile womöglich erst in zwei Jahren feststehen. Angeklagt sind unter anderem Fachleute und ehemalige Führungskräfte der Firma, die für die Wartungsarbeiten zuständig war, sowie Ex-Mitarbeiter des Infrastruktur-Ministeriums und Behörden-Funktionäre. Ihnen werden etwa mehrfache fahrlässige Tötung, Amtsmissbrauch und Unterlassung vorgeworfen.
Zwei Unternehmen – die Wartungsfirma und der Autobahnbetreiber – konnten vor dem Prozess eine Zahlung von rund 30 Millionen Euro aushandeln und befinden sich deshalb nicht unter Anklage.
Nach dem Einsturz 2018 wurden Hunderte Menschen, die unter der Brücke wohnten, obdachlos. Als Grund für den Zusammenbruch werden Schäden vermutet, die wegen ausgebliebener oder mangelhafter Wartungsarbeiten nicht entdeckt wurden. An der Stelle wurde später eine neue Brücke über den Bach Polcevera gebaut, die im August 2020 unter dem Namen San-Giorgio-Brücke eingeweiht wurde.
(yam/sda/dpa)