Ist nach mehr als 13 Jahren eine Aufklärung im Fall Maddie möglich? Gibt es womöglich doch noch Gewissheit über das Schicksal des dreijährigen britischen Mädchens, das 2007 spurlos aus einer Ferienanlage in Portugal verschwand? Seit einem Vierteljahr nähren zumindest Erkenntnisse deutscher Ermittler diese Hoffnung. Ihr Zeugenaufruf von Anfang Juni brachte die Geschichte zurück ins Bewusstsein der weltweiten Öffentlichkeit.
Die Nachricht kam am Abend des 3. Juni. Gemeinsam teilten das Bundeskriminalamt (BKA) und die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit, dass sie gegen einen 43-jährigen Deutschen wegen Mordverdachts ermitteln. Es handele sich um einen mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter. Parallel dazu lief ein neuer Zeugenaufruf in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst». Mehr als 5 Millionen Fernsehzuschauer verfolgten den Beitrag. Plötzlich war der mysteriöse Fall wieder allgegenwärtig, mit einem neuen Fokus in Deutschland.
Am 3. Mai 2007 verschwand die damals dreijährige Madeleine McCann aus einer Appartementanlage im portugiesischen Praia da Luz. Die Eltern assen zu der Zeit in einem nahe gelegenen Restaurant. Das ungeklärte Schicksal des Mädchens sorgte weltweit für Schlagzeilen. Anfangs gerieten auch die Eltern unter Verdacht: Ermittler gingen davon aus, dass ein Unfall passierte und die Leiche versteckt werden sollte. Das Paar selbst liess indes nichts unversucht, um auf das Verschwinden ihrer Tochter aufmerksam zu machen: Privatdetektive, Besuch beim Papst, die Gründung einer Stiftung – alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt.
Vor drei Monaten dann dieser Satz: «Wir gehen davon aus, dass das Mädchen tot ist.» Hans Christian Wolters musste als Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Pressekonferenz mit demselben Inhalt mehrmals wiederholen. Aus mehreren Ländern hatten sich Reporter auf den Weg nach Niedersachsen gemacht, um zu erfahren, was die Ermittler so sicher macht. Das enorme mediale Interesse stellte alles in den Schatten, um das sich die Staatsanwaltschaft bisher zu kümmern hatte, wie Wolters rückblickend sagt.
Schnell wurde klar, dass es sich bei dem Verdächtigen um einen Mann handelt, der 2019 vom Landgericht Braunschweig wegen Vergewaltigung einer 72-jährigen Amerikanerin verurteilt worden war. Als eine der ersten stellte die Gerichtsreporterin der «Braunschweiger Zeitung» diese Verbindung her. Sie hatte den damaligen Prozess verfolgt – und jetzt ging es erneut um den Ort Praia da Luz und beispielsweise den Jaguar des Verdächtigen. Mit dieser Info tauchten die Reporter für eigene Spurensuchen ab in die Vergangenheit des Verdächtigen.
Heimaufenthalt als Kind, Adoption, Hauptschulabschluss, abgebrochene Kfz-Mechanikerlehre – so lässt es sich Gerichtsakten entnehmen. Urteile ergingen in vielen Städten, darunter in Hannover, Braunschweig, Würzburg und Niebüll. Auch in Portugal wurde er verurteilt. Über all das wurde berichtet und jede erkennbare Aktion der Ermittler seither bewacht. Zuletzt gab es Ende Juli Grabungen in einem Kleingarten am Stadtrand von Hannover. Wie erfolgreich diese waren, ist unklar.
Derzeit sitzt der Verdächtige in Kiel wegen Drogenhandels in Haft. Ein Antrag auf vorzeitige Haftentlassung beschäftigte zuletzt auch den Bundesgerichtshof. Ausserdem wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes erwartet, weil der 43-Jährige eine Aufhebung des Braunschweiger Urteils wegen der Vergewaltigung fordert. Er sei ursprünglich auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls für eine andere Straftat ausgeliefert worden.
Zu dem Vorwurf, Madeleine McCann entführt und ermordet zu haben, äusserte sich der Verdächtigte laut seinem Verteidiger zuletzt nicht. Zum aktuellen Stand sagt die Staatsanwaltschaft Braunschweig aber: «Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen gehen wir von der Ermordung des Mädchens durch den Beschuldigten aus.» Ziel der Ermittlungen sei es derzeit, den Tatverdacht zu erhärten.
Mutter Kate und Vater Gerry McCann haben dennoch bis heute die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, ihre Tochter lebend zu finden. «Aber was immer das Ergebnis sein wird: Wir müssen es wissen, denn wir müssen Frieden finden.» Zu dem deutschen Verdächtigen wollen sie sich nicht äussern – alles soll sich auf die Ermittlungen konzentrieren, hatten sie nach dem Bekanntwerden der Mordermittlungen von einem Sprecher ausrichten lassen.
In Portugal gibt es unterdessen keine Spur von Maddie – obwohl die Polizei an der Algarve die Suche nach dem Mädchen auch nach mehr als 13 Jahren unermüdlich fortsetzt. Zuletzt hatte die Kripo dort im Juli mit Hilfe von Tauchern in drei seit Jahren stillgelegten Brunnen in Vila do Bispo gesucht. Die Gemeinde liegt etwa 15 Kilometer westlich jener Ferienanlage des Badeortes Praia da Luz, in der Maddie vermutlich entführt wurde. Zudem werden noch heute immer wieder Bewohner befragt.
In der Region hat man allerdings genug von dem Fall. Maddie ist bei vielen zum Tabuthema geworden. «Kaum jemand will hier darüber sprechen», berichtet ein lokaler Reporter. Manch einer hoffe sogar, der Fall möge in Vergessenheit geraten. Angesichts des weltweiten Interesses dürfte das aber nicht so schnell passieren. Wie Staatsanwalt Wolters berichtet, waren neben den europäischen Medien auch Kamerateams aus Australien, Russland und den USA vor Ort, und es gab eine Videoschalte nach Israel. (sda/dpa)