International
Kommentar

Die Helden der Ukraine machen uns Mut – und die Rechten mundtot

James Shin, of State College, holds a Ukrainian flag during an anti-war protest hosted by the Ukrainian Society at Penn State in front of Old Main on Thursday, March 3, 2022, in University Park, Pa. ( ...
Bild: keystone
Kommentar

Die Helden der Ukraine machen uns Mut – und die Rechten mundtot

05.03.2022, 09:49
Mehr «International»

An diesem Wochenende wird es in der Schweiz zahlreiche Demonstrationen geben. Zehntausende, vielleicht gar Hunderttausende, werden auf die Strasse gehen. Freiheitstrychler eher nicht. Auch keine «Liberté»-Schreihälse, keine esoterischen Impf-Schwurbler und keine Neonazis. Nicht nur bei uns wird demonstriert werden. Weltweit werden es Millionen sein, die gegen das Monster Wladimir Putin protestieren. Was für ein Stimmungsumschlag innerhalb einer Woche.

Dabei war Putin noch bis vor kurzem der Liebling der Rechten. In einem legendären Interview mit der «Financial Times» hatte er vor ein paar Jahren den Liberalismus für tot erklärt. Er spielt sich als dessen Alternative auf, als Retter des christlichen Abendlandes, der hart gegen Homosexuelle und Transgender-Menschen vorgeht und zusammen mit Xi Jinping die liberale Weltordnung begraben wird.

Ukrainian nationals living in Indonesia protest Russia's invasion of Ukraine in front of the Russian Embassy in Jakarta, Indonesia, Friday, March 4, 2022. (AP Photo/Tatan Syuflana)
Selbst in Indonesien wird gegen die russische Invasion protestiert.Bild: keystone

Daraus wird vorerst nichts. Der heldenhafte Widerstand der Ukrainer hat Putin die Maske vom Gesicht gerissen. Er wird nicht als Befreier von «Neonazis und Drogensüchtigen» gefeiert, wie uns die russische Propaganda weismachen will. Er steht da als das, was er immer schon war: ein menschliches Scheusal.

Stattdessen erhält der von Putin und Xi so verhasste Liberalismus eine Frischzellenkur. Das ist auch dringend nötig. Demokratie und Rechtsstaat haben keine gute Zeit hinter sich. Ungebremste Globalisierung und der schrankenlose Neoliberalismus haben schwere Flurschäden hinterlassen. Die Marktwirtschaft wurde zu einem Vehikel, mit dem sich eine masslos gierige Elite in bisher ungeahntem Masse bereichern konnte. Die Demokratie verkam zu einem Sumpf, in dem sich korrupte Politiker endlose und fruchtlose Schlammschlachten liefern.

Die Feinde des Liberalismus nahmen die Steilvorlage dankend an. Rechte Ethno-Nationalisten und linke Amerika-Hasser fanden zu einer unheiligen Ehe. In der Coronakrise gesellten sich noch die angeblichen Querdenker dazu. Entstanden ist daraus eine üble Mischung aus Neo-Faschisten, Alt-Stalinisten und Verschwörungstheoretikern.

Auch die Linke hat teilweise die Orientierung verloren. Die Woke-Welle hat mitunter absurde Züge angenommen. Eine überdehnte Vorstellung von Liberalismus verkehrte sich in ihr Gegenteil, in einen Meinungsterror.

Schliesslich hat die Coronakrise Xi Jinping auch eine willkommene Gelegenheit geboten, die vermeintliche Überlegenheit des chinesischen Staatskapitalismus über den liberalen Westen zu beweisen, denn China hat – verglichen mit dem Westen – nur einen Bruchteil an Covid-Toten zu beklagen.

FILE - Chinese President Xi Jinping, right, and Russian President Vladimir Putin talk to each other during their meeting in Beijing, Feb. 4, 2022. China on Thursday, March 3, 2022, denounced a report  ...
Wladimir Putin und Xi Jinping. Für den chinesischen Präsidenten gilt: mitgegangen, mitgefangen.Bild: keystone

Mit seiner idiotischen Invasion macht Putin auch Xi einen Strich durch die Rechnung. Der chinesische Präsident kann und will seinen «besten Freund» nicht fallenlassen. Deshalb gilt für ihn, was schon die Kleinsten lernen: Mitgegangen ist mitgefangen.

Das heldenhafte Verhalten der Menschen in der Ukraine lässt das Lügengebäude der Rechten zusammenkrachen. In St. Gallen verlässt ein junges SVP-Vorstandsmitglied die Partei, weil er die Demagogie eines Roger Köppel nicht mehr ertragen kann. Der angebliche Friedensforscher Daniele Ganser kann nur noch bizarre Tweets absondern. In den USA fressen derweil die Putin-Bewunderer kiloweise Kreide, von Donald Trump bis Tucker Carlson. Und wer erinnert sich noch an die faschistoiden Trucker in Kanada?

Der Westen hat endlich erkannt, dass sich der Kampf für Demokratie und Rechtsstaat lohnt – und dass er etwas kostet. Neutrale Staaten wie die Schweiz und Schweden verabschieden sich von einer Pseudo-Neutralität. Deutschland lässt die schwarze Null fallen und will mit 100 Milliarden Euro die Armee aufrüsten. Die USA verhängen die schärfsten Sanktionen gegen Russland und schicken Soldaten in die östlichen Nato-Staaten.

In der Ukraine kämpfen die Menschen für ihre Freiheit und das Recht auf Souveränität. Sie haben damit auch uns aufgerüttelt und uns vor Augen geführt, was wir zu verlieren haben. Dafür können wir ihnen nicht genug dankbar sein.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
1 / 14
Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
Durch Russlands Angriff auf die Ukraine in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar, ist die jahrelange Ukraine-Krise von einem blossen Konflikt zum Krieg geworden. Wer die wichtigsten Beteiligten sind, erfährst du hier:

Wladimir Putin ist seit 2000 (mit Unterbrechung von 2008 bis 2012) Präsident von Russland. Er sieht die Stabilität seines Systems seit den frühen Jahren seiner Präsidentschaft durch den Westen bedroht und will verhindern, dass die Ukraine Nato-Mitglied wird und eine westlich orientierte Demokratie aufbaut. Am 24. Februar befahl Putin schliesslich den Angriff auf die Ukraine. Offizielle Leitmotive für den Krieg sind die «Demilitarisierung und Entnazifizierung».
... Mehr lesen
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Russland hat jetzt die Taliban UND die Schweizer verloren»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
251 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Thomas Melone
05.03.2022 10:04registriert Mai 2014
Wenn es denn Freiheitsrychlern langweilig geworden ist, können sie ja mal auf den Roten Platz in Moskaus gehen und dort für Freiheit demonstrieren. Dann können sie wenigstens mal eine echte Diktatur kennenlernen.
43160
Melden
Zum Kommentar
avatar
Liebu
05.03.2022 10:22registriert Oktober 2020
Neutrale Staaten wie die Schweiz und Schweden verabschieden sich von einer Pseudo-Neutralität.

Und wieder sind wir bei der Neutralität.
Wir verabschieden uns aber nicht davon, sondern leben sie, wie sie sein sollte.
Neutralität heisst nicht die Augen verschliessen und mit Aggressoren weiter geschäften. Hier muss aufgezeigt werden, dass das nicht toleriert wird.
Auch ein Schiedsrichter ist Neutral, sanktioniert aber Spieler und Teams, die sich nicht an Regeln halten.
Genau so wird Neutralität gelebt.
35044
Melden
Zum Kommentar
avatar
Chancho
05.03.2022 18:11registriert Februar 2020
Die Geschichte wiederholt sich.
Kein gutes Zeugnis für die Menschheit.
33 brutal ehrliche Karikaturen, die Putin die Zornesröte ins Gesicht treiben\nMörderisches Pack!
873
Melden
Zum Kommentar
251
Trump will Einstellung von Wahlbetrugs-Verfahren in Georgia

Die Anwälte Donald Trumps fordern nach seiner Wiederwahl auch die Einstellung des Verfahrens gegen den designierten US-Präsidenten im US-Bundesstaat Georgia. Amtierende Präsidenten dürften nicht strafrechtlich verfolgt werden, argumentierten die Anwälte in ihrem Antrag an das zuständige Gericht. Trump zieht am 20. Januar wieder ins Weisse Haus ein. Da es sich bei dem Wahlbetrugsverfahren um eine Anklage auf Ebene des Bundesstaates handelt, kann Trump das Verfahren nicht selbst über das Justizministerium einstellen lassen – anders als bei Prozessen auf Bundesebene.

Zur Story