Die Schweiz ist wieder mal ganz vorne mit dabei. Nur gerade vier Länder haben es in Donald Trumps Zoll-Ranking noch weiter nach oben geschafft: Brasilien, Syrien, Myanmar und Laos. Dabei hatte sich der Bundesrat bis noch vor kurzem äusserst siegessicher gezeigt. Nun steht das US-Geschäft vor dem Aus.
Sie sind gravierend. Die Frage ist nur noch, wie gravierend. Die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich hat dazu zwei Szenarien durchgerechnet. Beim ersten, milderen Szenario werden alle Schweizer Exporte in die USA mit einem Zoll von 39 Prozent belegt, mit Ausnahme der Pharmaprodukte, die «nur» mit 10 Prozent verzollt werden. Die Folge wäre ein schockartiger Einbruch beim Bruttoinlandprodukt (BIP) um mindestens 0,3 Prozent bis zu 0,6 Prozent pro Jahr, wie KOF-Co-Leiter Hans Gersbach ausführt. Das entspricht mindestens einem Rückgang um rund 2,7 Milliarden Franken oder durchschnittlich um knapp 300 Franken pro Kopf und Jahr. Beim zweiten Szenario würden auch die Pharmaprodukte mit 39 Prozent verzollt. Der potenzielle BIP-Rückgang steigt damit auf mindestens 0,7 Prozent, es drohen Einkommensverluste im Durchschnitt von rund 700 Franken pro Kopf und Jahr. «Er kann aber auch über 1 Prozent betragen», sagt Gersbach. «Hier gibt es das Risiko einer Rezession.»
Das Gros der hiesigen Unternehmen dürfte seine Exporttätigkeit in die USA ganz einstellen. «Mit 39 Prozent Zoll ist der US-Markt für die meisten Firmen der Tech-Industrie tot», sagt Noé Blancpain, Mitglied der Geschäftsleitung beim Branchenverband Swissmem. Denn der Export würde sich schlicht und einfach nicht mehr rechnen: Müssten die Firmen aus der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie den Zoll von 39 Prozent mehrheitlich oder vollständig selbst tragen, würde auch bei guten Durchschnittsmargen von 8 bis 15 Prozent ein Minusgeschäft resultieren. Hinzu kommt, dass nun die Konkurrenten aus der EU und aus Japan mit einem Zoll von «nur» 15 Prozent einen Wettbewerbsvorteil haben.
Schweizer Qualität mag einen Aufpreis wert sein, aber ein zusätzlicher Aufschlag von 39 Prozent lässt sich nicht einfach so an die US-Importeure weitergeben. Damit kommt der Trump-Strafzoll faktisch einem Exportstopp gleich. Ähnliche Überlegungen waren auch aus der EU zu hören, als der US-Präsident Europa kurzfristig mit einem Zoll von – aus Schweizer Sicht vergleichsweise tiefen – 30 Prozent drohte. Plötzlich zeigte sich auch Deutschland offen für Gegenmassnahmen und gezielte Gegenzölle, wie das «Handelsblatt» berichtete. Denn 30-Prozent-Zölle seien fast genauso schlimm wie 100 Prozent, hiess es dort. Die Botschaft der EU-Mitgliedstaaten an die USA: Die Schmerzgrenze ist überschritten.
Peter Fischer, Eigentümer und Verwaltungsratspräsident des Aargauer Unternehmens Fischer Reinach, spricht von einem «K.-o.-Schlag»: Bleiben die Zölle bei 39 Prozent, dann sind jene 5 Prozent seiner Schweizer Produktion Geschichte, die er als Automobil-, Elektronik- und Bauzulieferer direkt in die USA exportiert. «Diese 5 Prozent werden wir nicht mehr produzieren», sagt er und ergänzt: «Jedenfalls nicht in der Schweiz.» Allenfalls lässt sich die Produktion ins deutsche Werk von Fischer Reinach verschieben. Entsprechende Verschiebungspläne werden ausgearbeitet. «Wir in der Industrie können nicht ewig auf die Politik warten. Wir müssen schnell reagieren.»
Weitere 20 Prozent exportiert Fischer Reinach indirekt in die USA – via Deutschland und andere europäische Länder. Das sollte in Zukunft weiter möglich sein, auch wenn das Schweizer Unternehmen Marge verlieren wird wegen des Zollsatzes von 15 Prozent, den die USA auf europäische Produkte erheben. «Das ist auch nicht gut», sagt Fischer. «Aber damit müssen wir arbeiten.»
Wer in den USA Uhren kauft im Wert von über 100'000 Dollar, kann wohl auch ein paar Zehntausende von Dollar mehr bezahlen. So lautet die Rechnung all jener, die hoffen, dass die Luxusbranche mit einem blauen Auge davonkommt. Doch so einfach ist die Sache nicht, wie Yves Bugmann vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH sagt. «Die 39 Prozent Zoll sind eine schlechte Nachricht für die gesamte Branche.» Das treffe auch jene Marken im obersten Preissegment. Preisaufschläge für die Konsumenten in den USA seien wohl unumgänglich, sagt Bugmann.
Vorerst hat Trump die Pharmabranche noch vom 39-Prozent-Zollhammer verschont. Das federt den Schlag gegen die Schweiz etwas ab, immerhin entfällt rund die Hälfte der hiesigen Exporte in die USA auf diese Warengattung (siehe Grafik).
Doch wie lange diese Ausnahme hält, ist äusserst ungewiss. Schliesslich hat der US-Präsident auch schon gedroht, er wolle Medikamente ausländischer Pharmakonzerne mit Sätzen von 200 Prozent verzollen, sollten sie ihre US-Produktion nicht schnell genug aufbauen. Die Zahl mag überrissen sein, doch ganz verschont werden dürfte die Pharma nicht. Das zeigt Trumps «Deal» mit der EU, bei dem der 15-Prozent-Zoll auch für die Arzneimittelhersteller gilt.
Eine mögliche Zollerhöhung dürfte zulasten der Schweizer Pharmakonzerne gehen, ein Abwälzen auf die US-Konsumenten scheint angesichts von Trumps Furor gegen die Branche wohl kaum angebracht. In einem Drohbrief, den auch Roche und Novartis erhielten, forderte er die Pharmakonzerne auf, ihre Medikamentenpreise auf das Niveau von vergleichbar wirtschaftskräftigen Ländern anzupassen. Die Firmen haben nun bis am 29. September Zeit, eine «bindende Verpflichtung» abzugeben. Ansonsten droht Trump, «alle verfügbaren Mittel zu ergreifen, um amerikanische Familien vor der missbräuchlichen Preispolitik zu schützen».
Nein, dafür ist es nun zu spät. Die Swiss jedenfalls rechnet angesichts der sehr kurzen Frist bis und mit Mittwoch bei der Nachfrage im Cargo-Geschäft «nicht mit grösseren Ausschlägen», wie Sprecher Michael Stief auf Anfrage festhält. Bei Bedarf könnte die Swiss, die keine eigenen Frachtflugzeuge betreibt, kurzfristig Frachtkapazitäten auf den Passagierflügen erhöhen. Das sei aber «nur begrenzt möglich». Zusätzlich könnte sie «unter Umständen» auch zusätzliche Kapazitäten über ihr konzerninternes Schwesterunternehmen Lufthansa Cargo bereitstellen.
Offenbar haben aber die Schweizer Firmen ihre Lager in den USA bereits gut gefüllt – oder sie waren zuversichtlich, dass die Schweiz einen guten Zolldeal für sie herausholen würde. Jedenfalls gab es im Vorfeld des Zollstichtags vom 1. August laut Swiss nur «einige zusätzliche Anfragen». Insgesamt sei die Nachfrage nicht stark angestiegen.
Grundsätzlich stammen die meisten Anfragen bei der Swiss aus jenen Branchen, die auch am meisten Exporte in die USA zu verzeichnen haben: also aus der Pharmaindustrie, dem Maschinen-, Elektro- und Metallbau sowie aus dem Bereich der Luxusgüter. Auch hochwertige und verderbliche Waren unterschiedlichster Art seien häufig vertreten.
Der Schweizer Leitindex, welcher die 21 grössten, börsenkotierten Firmen umfasst, startete den Tag zwar mit einem Abschlag von 1,8 Prozent, erholte sich aber wieder und lag zuletzt noch bei einem Minus von rund 0,5 Prozent. Damit halten sich die Einbussen des SMI im Vergleich zu den europäischen Indizes vom Freitag in Grenzen.
Weder die schwindenden Pharmagewinne noch der drohende Exportstopp in die USA scheinen die Börsianer allzu fest zu beunruhigen. Entweder vertrauen sie auch hierzulande auf die derzeit beliebte Börsenweisheit «Taco», ein Akronym für «Trump always chickens out», also dafür, dass der US-Präsident dann letztlich doch immer kneift. Oder sie glauben, dass der aus dem Sommerschlaf erwachte Bundesrat noch einen besseren Deal herausholen kann. So, wie es auch der EU gelungen ist, nach dem 30-Prozent-Drohbrief einen 15-Prozent-Zoll «auszuhandeln».
Für Gersbach kommt die Aufgabe einer «Quadratur des Kreises» gleich. «Wir können versuchen, Trump anzubieten, dass während seiner Amtszeit unser Überschuss im Warenverkehr mit den USA um einen gewissen Prozentsatz im Vergleich zu 2024 zurückgeht», sagt der KOF-Ökonom. «Das müssten wir aber so tun, dass dabei unser erfolgreiches Schweizer Wirtschaftsmodell nicht kaputt geht und unsere Exportindustrien geschützt werden.»
Einfach sei das nicht, aber machbar. Der Überschuss im Warenverkehr werde ohnehin abnehmen – wegen der Zölle und wegen der stagnierenden oder sinkenden Pharmapreise in den USA. Dann gibt es eine Reihe weiterer Hebel, und auch bei den Importen gibt es Spielraum. «Grundsätzlich braucht es jetzt etwas Kreativität, aber es ist eine absolute Notlösung, da die ökonomische Vernunft offenbar nicht zum Tragen kommt», sagt Gersbach. (aargauerzeitung.ch)
Nun ist es aber nicht so, dass die Zölle überraschend kamen. Das einzige Überraschende ist, dass die Wirtschaft sich nicht vorbereitet hat.
Ebensowenig überraschend ist, dass die Wirtschaft jetzt zuerst mal um Steuerfranken bettelt, damit die Bossen-Boni ja nicht gefährdet werden.