Auch eine Woche nach den heftigen Überschwemmungen in Libyen ist die Lage im Land katastrophal. Einsatzkräfte suchen nach Tausenden Vermissten. Es gibt immer mehr Tote.
Mehr als 21'000 Tote und Vermisste, gewaltige Zerstörungen und ernsthafte Probleme bei der Trinkwasserversorgung – eine Woche nach der Überflutung von Darna ist die Lage in der libyschen Küstenstadt weiterhin katastrophal.
Es sei damit zu rechnen, dass die Opferzahl im Zuge der unermüdlichen Suche nach möglichen Überlebenden weiter steige, hiess es seitens UNO. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren wegen der Überflutungen mindestens 40'000 Menschen im Nordosten Libyens auf der Flucht.
Ägypten hat einen Flugzeugträger zur medizinischen Versorgung von Opfern der Überschwemmungskatastrophe nach Libyen geschickt. Wie der staatliche Informationsdienst Ägyptens bekanntgab, traf der Flugzeugträger «Mistral» am Sonntag (Ortszeit) in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland ein, wo er die Einsatzkräfte als schwimmendes Krankenhaus unterstützen soll. Auch die libysche Online-Zeitung «The Libya Observer» berichtete unter Berufung auf ägyptische Medien über die Ankunft. Demnach verfügt das Schiff über eine 900 Quadratmeter grosse Klinik samt moderner Operationssäle.
📌Mediterranean storm Daniel leaves over 11,300 dead and thousands missing in Libya, according to UN figures
— Anadolu English (@anadoluagency) September 17, 2023
Egypt sends Mistral aircraft carrier to aid Libya flood victims, declares 3-day of mourning in solidarity with Libya https://t.co/GBPEPdAUdF pic.twitter.com/rApNMNGi7R
Das UN-Nothilfebüro (OCHA) ist besorgt über zwei weitere Dämme, hinter denen sich grosse Wassermengen stauen sollen. Es geht um den Dschasa-Damm zwischen der teils zerstörten Stadt Darna und Bengasi und den Kattara-Damm nahe Bengasi, wie OCHA am Sonntagabend mitteilte. Berichte über die Lage seien widersprüchlich. Nach Angaben der Behörden seien aber beide Dämme in gutem Zustand und funktionierten. Am Dschasa-Damm würden nach Behördenangaben Pumpen installiert, um den Druck auf die Staumauer zu nehmen, so OCHA.
Maltesische Rettungskräfte entdeckten laut der Zeitung «Times of Malta» hunderte Leichen in einer Bucht. «Es waren wahrscheinlich 400, aber es ist schwer zu sagen», sagte Einsatzleiter Natalino Bezzina der Zeitung, ohne den genauen Fundort zu nennen. Die Bucht sei wegen heftigen Winds schwer zugänglich. Sein Team habe aber bei der Bergung einiger Dutzend Todesopfer helfen können.
Ein libysches Einsatzteam auf einem Schlauchboot berichtete in einem in Online-Netzwerken verbreiteten Video, es habe in der Region Om-al-Briket etwa 20 Kilometer östlich von Darna «vielleicht 600 Leichen» im Meer entdeckt. Unklar war, ob es sich um dieselbe Stelle handelte, von der auch die maltesischen Einsatzkräfte sprachen.
OCHA erklärte, die humanitäre Lage in Darna sei weiterhin «besonders schlimm». Es gebe ernsthafte Probleme bei der Trinkwasserversorgung und mindestens 55 Kinder seien durch verseuchtes Trinkwasser vergiftet worden. Bis zum Samstag wurden etwa 150 Durchfallerkrankungen gemeldet. Nach Angaben des UN-Koordinierungsbüros besteht in der Umgebung von Darna ausserdem die Gefahr, durch Landminen verletzt oder getötet zu werden, die durch die Überschwemmungen in Bewegung geraten oder frei gespült worden sind.
Gesundheitsminister Abdeldschalil wies Gerüchte über eine mögliche Evakuierung von Darna zurück. Es würden nur «bestimmte Gebiete» der Stadt «isoliert», um die Rettungsarbeiten zu erleichtern, erklärte er. Als Schutz vor Seuchen würden täglich Wasserproben genommen und analysiert.
Die Hilfsorganisation Islamic Relief erklärte, in Darna bestehe das Risiko einer «zweiten humanitären Krise». Es gebe eine «wachsende Gefahr von durch Wasser übertragenen Krankheiten» wie Cholera. Ausserdem mangele es in Darna an Nahrungsmitteln, Unterkünften und Medikamenten. «Die Stadt riecht nach Tod», sagte Salah Abulgasem von Islamic Relief.
🔴 The death toll in #Libya is now at 11,300 and increasing by the hour. #Derna, the city most heavily affected by the floods, faces a second humanitarian crisis, with growing risk of water-borne diseases and shortages of food, shelter, and medicine now posing a grave risk. pic.twitter.com/JDlArZ0oOy
— Islamic Relief UK (@IslamicReliefUK) September 16, 2023
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen verlegte unterdessen Teams in den Osten des Landes, um dort die Wasser- und Sanitärversorgung zu überprüfen. Bei solch einer Katastrophe «können wir uns wirklich Sorgen wegen wasserbedingter Krankheiten machen», sagte die medizinische Koordinatorin Manoelle Carton.
Sie sprach von einer «chaotischen» Lage in Darna. Angesichts von zahlreichen Freiwilligen aus Libyen und dem Ausland sei eine «Koordination der Hilfe dringend erforderlich». Auf dem Flughafen von Bengasi, mehr als 300 Kilometer westlich von Darna, trafen derweil weitere Einsatzkräfte und 29 Tonnen medizinische Hilfsgüter für die Hochwasseropfer in Darna und Umgebung ein.
Damit können fast 250'000 Menschen medizinisch versorgt werden, wie die WHO mitteilte. Darunter seien lebenswichtige Medikamente für chronische und übertragbare Krankheiten sowie Material zur Wundversorgung und für Notoperationen ebenso wie Leichensäcke. Das Material geht an Kliniken und Praxen in der Region.
Das Sturmtief «Daniel» hatte am Sonntag vergangener Woche heftige Überschwemmungen im Osten Libyens angerichtet. Die Küstenstadt Darna wurde besonders schwer getroffen, da dort zwei Flussdämme brachen. Die Wucht der Wassermassen war mit der eines Tsunamis vergleichbar. Ausserhalb von Darna zählte die UNO weitere 170 Todesopfer.
Bei den Überflutungen waren zahlreiche Menschen ins Mittelmeer gerissen worden. Ein Teil der Stadt wurde unter Schlammmassen begraben. Weiterhin werden täglich Dutzende Leichen aus dem Wasser oder unter Trümmern und Schlammmassen herausgezogen. Eilig vorgenommene Beerdigungen erschweren die Zählung und Identifizierung der Opfer.
(rbu/t-online/sda/dpa)