Literatur-Nobelpreis geht an Olga Tokarczuk und Peter Handke
Gleich zwei Gewinner des Literatur-Nobelpreises wurden heute bekannt gegeben. Die Polin Olga Tokarczuk wird nachträglich mit dem Preis für das Jahr 2018 ausgezeichnet, der Österreicher Peter Handke erhält den diesjährigen Preis.
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— The Nobel Prize (@NobelPrize) October 10, 2019
The Nobel Prize in Literature for 2018 is awarded to the Polish author Olga Tokarczuk. The Nobel Prize in Literature for 2019 is awarded to the Austrian author Peter Handke.#NobelPrize pic.twitter.com/CeKNz1oTSB
Handke polarisiert seit Jahrzehnten mit seinen Werken und sorgte mit seiner Pro-Serbien-Haltung immer wieder für Kopfschütteln und Proteste. Der Literaturnobelpreis 2019 geht an einen zornigen Autor.
Handke werde für sein «einflussreiches Werk» ausgezeichnet, das mit «sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung untersucht», erklärte die Akademie in Stockholm am Donnerstag.
Peter Handke seinerseits findet Zorn besser als Wut. Zorn wecke die kreativen Geister, Wut liesse sie nur kurz aufflammen, bekannte der 76-Jährige einmal in einem Interview der Wochenzeitung «Die Zeit». Handke, 1942 in einem kleinen Ort im österreichischen Bundesland Kärnten geboren, war selbst Ziel wütender Attacken.
Umstrittene Haltung im Balkan-Konflikt
Bei der Vergabe des Ibsen-Preises in Norwegen wurde er vor einigen Jahren von Bosniern und Albanern wüst beschimpft. Seine Kritiker haben ihm seine Haltung im Balkan-Konflikt nicht verziehen. Handke stand auf der Seite Serbiens, verurteilte die Nato für ihre Luftschläge und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawischen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede.
Nach einem abgebrochenen Jura-Studium startete Handke mit Verve ins Autorenleben. 1966 erschien sein Debütroman «Die Hornissen». Im selben Jahr wurde er fast über Nacht bekannt: In einer Schmährede warf er dem legendären Literatenzirkel Gruppe 47 «Beschreibungsimpotenz» vor. Die einen sahen es als furiose Selbstinszenierung, andere als Beginn einer kometenhaften Karriere.
Dass Handkes Literatur gewürdigt und seine politische Haltung sowie die «gewisse Macho-Komponente» in den Hintergrund gerückt wurden, rechnet der Büchnerpreisträger Muschg dem Komitee hoch an. Das Zeichen, welches die Juroren damit setzten, habe ihn «sehr gefreut». Überrascht sei er kaum, Handke habe schon lange auf der Liste gestanden. Der Nobelpreis für Herta Müller 2009 habe ihn seinerzeit viel eher erstaunt.
Mit der zweiten Preisträgerin Olga Tokarczuk erwischte ihn die Radiointerviewerin unmittelbar nach Bekanntgabe in Stockholm auf dem linken Fuss: Er kenne ihre Arbeit nicht. Aber das sei ja auch das Gute an diesem wichtigsten Literaturpreis: «dass man Sachen entdeckt, die man übersehen hat».
Er selber, hätte er entscheiden dürfen, hätte den Preis vielleicht einem Amerikaner gegeben, sagte Muschg - schon allein, um die langjährige, leidige Diskussion über die angebliche Missachtung der US-Literatur durch das Nobelpreis-Komitee zu beenden.
Über die Wirkung, die ein grosser Preis auf einen Laureaten hat, kann er nur aufgrund seiner Erfahrung mit dem Büchnerpreis mutmassen: «Ich habe mich ein bisschen geniert.» Bei Preisverleihungen würden stets zu viele Leute, die es verdient hätten, übergangen. (sda)
Seine Bekanntheit festigte Handke mit der Uraufführung von «Publikumsbeschimpfung» in Frankfurt. Die damals sehr elegant gekleideten Theaterbesucher wurden darin von den Schauspielern provokativ als «Glotzaugen», «Rotzlecker» und «Nichtsnutze» bezeichnet.
Theatergeschichte geschrieben
Mit seinen Theaterwerken - etwa mit «Kaspar», «Die Reise zum sonoren Land» oder «Untertagblues» - blieb Handke präsent. 2011 sorgte die fünfstündige Uraufführung von «Immer noch Sturm» bei den Salzburger Festspielen über den Freiheitskampf der Kärntner Slowenen für Aufsehen. Weggefährte Claus Peymann inszenierte 2016 am Wiener Burgtheater Handkes «Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstrasse».
Mit seinen mehr als 20 Stücken habe er Theatergeschichte geschrieben, urteilte die Jury des österreichischen Nestroy-Preises, die ihn 2018 für sein Lebenswerk ehrte. «Du bist im wahrsten Sinn des Wortes ein Unvergleichlicher, und manchmal sind deine Texte einfach zu gross für das Theater - aber von Dauer», sagte Schauspieler Klaus Maria Brandauer in seiner Laudatio.
Vertraut ist vielen Schülern das später von Wim Wenders verfilmte Werk «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» (1970) über das Schicksal eines entwurzelten Ex-Sportlers. Das Buch avancierte zum klassischen Lesestoff für Oberstufen-Schüler. 2012 nahm er im Buch «Versuch über den Stillen Ort» die Toilette zum Gegenstand philosophischer Betrachtungen.
Handke, der zweimal verheiratet und einige Jahre mit der deutschen Schauspielerin Katja Flint liiert war, lebt seit vielen Jahren in Paris. (aeg/sda/dpa)