«Bürgerliche wollen Zivildienst ganz streichen» – diese 5 Dinge musst du wissen
Es ist ein Rekordwert: Fast 1,9 Millionen Diensttage leisteten junge Schweizer im vergangenen Jahr. 27'237 Zivis waren im Einsatz, darunter 57 Frauen.
Bundesrat und Parlament ist das zu viel. Sie wollen die Zulassung zum Zivildienst mit mehreren Massnahmen erschweren.
National- und Ständerat stimmten diesen Verschärfungen in der Herbstsession zu – zum Leidwesen der linken Parteien. Sie haben zusammen mit Verbänden am Mittwochmorgen in Bern das Referendum gegen den erschwerten Zivildienst lanciert.
Was soll sich ändern?
Der Zivildienst wurde in der Schweiz 1996 als «ziviler Ersatzdienst für Personen, die ihre Militärdienstpflicht aus Gewissensgründen nicht erbringen können», eingeführt. Die Anzahl geleisteter Diensttage zeigt seitdem deutlich in eine Richtung: nach oben.
Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments wollen diese Entwicklung nun ausbremsen. Sie argumentieren damit, dass es beim Zivildienst nie darum ging, eine attraktive Alternative für jedermann zum Militärdienst zu schaffen.
Ein Dorn im Auge ist den Bürgerlichen vor allem die vielen Wechsel zum Zivildienst nach bereits absolvierter Rekrutenschule. Im vergangenen Jahr machte diese Gruppe ziemlich genau ein Drittel der Neuzulassungen aus. Für den Bundesrat sind diese Wechsel ein Hinweis darauf, dass viele Wehrpflichtige nicht wirklich aus Gewissensgründen Zivildienst leisten – sondern weil er attraktiv und bequem sei.
Die Antwort darauf: den Zivildienst unattraktiver machen. Neu soll jeder, der von der Armee zum Zivildienst wechselt, nochmals 150 Diensttage leisten müssen – unabhängig davon, wie viel Diensttage im Militär schon absolviert hat.
In einem weiteren Punkt wird der Zivildienst unattraktiver: Zivildienstleistende müssen neu zwingend im Jahr nach der Zulassung den sogenannt «langen Einsatz» von mindestens sechs Monaten leisten. Es soll wie im Militär eine jährliche Einsatzpflicht ab Zulassung gelten.
Der Bundesrat geht davon aus, dass durch diese Verschärfungen die Zulassungen um 40 Prozent zurückgehen werden.
Was sagen die Gegner?
Im Käfigturm in der Berner Innenstadt kämpfen sie dagegen, dass der Zivildienst in Ketten gelegt wird. Hier hat das Komitee «Zivildienst retten» am Mittwoch das Referendum gegen den erschwerten Zivildienst lanciert.
Priska Seiler Graf, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Zürich und Co-Präsidentin des Zivildienstverbandes Civiva, ist gegen die geplante Verschärfung: «Diese Vorlage zielt einzig und allein darauf ab, den Zivildienst unattraktiver zu machen. Das aber macht den Militärdienst noch nicht attraktiver.» Es sei deshalb ein Trugschluss zu denken, dass die Personen, die wegen der Erschwernisse keinen Zivildienst mehr machen würden, neu der Armee zur Verfügung stünden:
Als Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats wisse sie, dass die geopolitische Ausgangslage so angespannt sei wie seit Jahrzehnten nicht mehr, sagt Seiler Graf.
Man beschäftige sich mit Recht wieder vermehrt mit der eigenen Sicherheit, aber, so sagt die SP-Politikerin:
Sie sei sich sicher: Mit der Vorlage stehe die Zukunft des Zivildienstes auf dem Spiel. Das bürgerliche Parlament praktiziere die Salamitaktik: «Es sind auch Vorstösse hängig, die den Zivildienst und den Zivilschutz zusammenlegen und die Gewissensprüfung wieder einführen wollen.» Seiler Graf warnt:
Was sagen die Befürworter?
Ganz anders sieht das die Aargauer SVP-Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Stefanie Heimgartner. Sie sagt auf Anfrage: «Es geht um eine notwendige Korrektur, nicht um eine Abschaffung.»
Der Zivildienst sei zu einem «bequemen Ausweichmodell» verkommen, um sich Verpflichtungen zu entziehen.
Auch Heimgartner betont die aktuelle geopolitische Lage. In dieser könne sich die Schweiz keine Schwächung der Armee erlauben. Genau das sei im aktuellen System aber der Fall:
Was sagen die Einsatzbetriebe?
In der Schweiz gibt es rund 4500 anerkannte Organisationen, die zusammen 16’000 Einsatzplätze für Zivildienstler bereitstellen.
Über die Hälfte der geleisteten Diensttage absolvieren Zivis im Sozialwesen – zum Beispiel in Alters- und Pflegeheimen, Einrichtungen für Behinderte oder Suchtstellen. Das sind allesamt Branchen, in denen schon heute Fachkräfte fehlen. Was geschieht nun, wenn ab nächstem Jahr voraussichtlich 40 Prozent weniger Zivis zur Verfügung stehen?
Gegenüber watson nimmt die Dachorganisation insieme Stellung. In ihm sind die Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung organisiert.
Das funktioniere nur dank des Engagements etlicher Ehrenamtlicher, sagt Pressesprecherin Regula Sandi. Das allein reiche aber noch nicht:
Hätten sie weniger Zivis, bräuchte es mehr Ehrenamtliche. Oder mehr Angestellte. Das eine sei immer schwieriger zu finden, das andere finanziell oft nicht möglich, heisst es bei insieme.
Wann stimmen wir ab?
Das ist noch nicht klar. Das Referendumskomitee hat nun zuerst 100 Tage Zeit, um die notwendigen 50'000 Unterschriften zu sammeln. Von den Parteien unterstützen die SP, die Grünen und die EVP das Referendum. Auch der Dachveband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, der Verband Kinderbetreuung Schweiz und die Kleinbauer-Vereinigung gehören der Allianz an.
Bringt das Komitee die Unterschriften zusammen, stimmt die Bevölkerung frühestens nächstes Jahr darüber ab. Bis dahin bleibt die Frage offen, welche Form des Dienstes die Schweiz in den kommenden Jahren dringender braucht.