In der letzten Debatte gegen Hillary Clinton vor vier Jahren hatte Donald Trump zu einem fiesen Trick gegriffen. Er lud die Frauen ein, die ihren Ehemann Bill Clinton der sexuellen Belästigung beschuldigt hatten, und setzte sie in die erste Reihe der Besucher.
Gegen Joe Biden wollte Trump diesen Trick am Donnerstag wiederholen. Diesmal setzte er einen gewissen Tony Bobulinski auf die Tribüne, einen ehemaligen Geschäftspartner von Bidens Sohn Hunter. Trump wollte damit die Aufmerksamkeit auf eine dubiose Laptop-Story lenken. Diese besagt, dass der ehemalige Vize-Präsident von den zweifelhaften Geschäften seines Sohnes in der Ukraine gewusst habe.
Damit jedoch schoss Trump ein klassisches Eigentor. Wer sich nicht permanent in der Fox-News-Bubble bewegt, hatte keine Ahnung, wer besagter Bobulinski ist und wovon der Präsident schwafelte. Sie oder er wusste auch nicht, wovon Trump sprach, als er angebliche Millionenzahlungen aus Russland oder China an die Bidens ins Feld führte – und es interessiert ausserhalb der Fox-News-Bubble längst niemanden mehr.
Umgekehrt spielte Trump mit seiner Hunter-Biden-Obsession seinem Herausforderer einen willkommenen Steilpass zu. Er lenkte die Diskussion auf das Thema Korruption und Steuern. Joe Biden liess sich nicht zweimal bitten, zählte genüsslich auf, dass Trump in China mehr Steuern bezahlt habe als in den USA und wies einmal mehr daraufhin, dass der Präsident sich bis heute weigere, seine Steuererklärung offen zu legen. Mit der lahmen Ausrede, er werde dies tun, sobald die Steuerprüfungen erledigt seien, sah Trump zum x-ten Mal sehr schlecht aus.
Mit der Hunter-Biden-Story konnte Trump seinen Hardcore-Fans einen Happen rohes Fleisch hinwerfen. Vergebliche Liebesmühe. Um wiedergewählt zu werden, braucht er die Stimmen der Frauen in den Vorstädten. Diese sprechen jedoch auf das emotionale Thema der Kinder von Immigranten an, die an der Grenze gewaltsam von ihren Eltern getrennt und in Käfige gesperrt wurden. Mehr als 500 wissen bis heute nicht, wo ihre Eltern sind. Mehr als oberflächliche Ausreden hatte Trump bei diesem Thema nicht zu bieten.
Auch nicht beim alles dominierenden Thema, der Coronakrise. Einmal mehr liess Trump mit seiner Lüge «Ich habe mehr als zwei Millionen Tote verhindert» die Faktenchecker zu Hochform auflaufen. Und erneut bot er dabei Biden eine Gelegenheit für einen gelungenen Konter. Als Trump erklärte, die Menschen müssten lernen, mit Corona zu leben, erwiderte der ehemalige Vize-Präsident nüchtern: «Wir müssen lernen, mit dem Tod zu leben.» Angesichts von erneuten Rekordzahlen von Infizierten und mehr als 220’000 Toten eine mehr als berechtigte Feststellung.
Trump wollte die Coronakrise nicht nur auf China abwälzen, er wollte sie auch primär den «blauen» – den von Demokraten regierten – Bundesstaaten in die Schuhe schieben. Er erwähnte deshalb New York, New Jersey und Kalifornien. Derzeit wütet die Epidemie jedoch vor allem in den «roten» – von den Republikanern regierten – Bundesstaaten. Anstatt schadenfreudig darauf hinzuweisen, antwortete Biden staatsmännisch: «Es geht hier nicht um rote oder blaue Staaten, es geht um alle Amerikaner.»
Eng verknüpft mit der Coronakrise ist der Zustand des amerikanischen Gesundheitswesens, das wohl wichtigste Thema überhaupt. Trump will Obamacare, ein System, das unseren Krankenkassen nicht unähnlich ist, wieder abschaffen und damit rund 20 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner schutzlos der Epidemie ausliefern.
Der Präsident hofft, dass der Supreme Court in den kommenden Wochen Obamacare als Verstoss gegen die Verfassung verbieten wird. Gleichzeitig beschuldigt er Biden, er stehe unter der Fuchtel von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez und wolle eine sozialistische Einheitskasse einführen. Ein absurder Vorwurf, hat doch der ehemalige Vize die Vorwahlen deswegen gewonnen, weil er genau dies nicht will. Lächelnd wies er daher Trump auf die Tatsache hin: «Hey, dein Gegner heisst Joe Biden.»
War Biden somit der klare Gewinner in einer von der Moderatorin Kristen Welker souverän geleiteten Debatte? Nicht ganz. Das Trump-Lager wird aufgeatmet haben, dass ihr Kandidat diesmal auf Krawall verzichtete und sich für seine Verhältnisse geradezu zivilisiert aufgeführt hat. Natürlich hat er gelogen, dass sich die Balken bogen, aber das gehört bei ihm zum Courant normal.
Dass er auch einen gewichtigen Treffen landen konnte, hat er jedoch einem Unforced Error seines Gegners zu verdanken. Beim Thema Klimaerwärmung wies Biden zwar zu Recht daraufhin, dass sein Wirtschaftsplan zu vielen und gut bezahlten Jobs im Ökobereich führen werde. Er drückte sich jedoch unklar aus, was die Zukunft der Ölindustrie betrifft. Gerade in den umkämpften Bundesstaaten Pennsylvania, Ohio und Texas könnte ihm das schaden.
Insgesamt jedoch hat Biden sein Ziel erreicht. Die Debatte dürfte seinen Vorsprung gegenüber Trump kaum gefährden. Biden wirkte weder senil noch schläfrig, er war jederzeit Herr der Lage und liess sich auch beim Thema seines Sohnes nicht provozieren.
Trump konnte zwar eine Wiederholung seiner peinlichen Vorstellung in der Krawallnacht verhindern. Es dürfte ihm jedoch kaum gelungen sein, Wählerinnen ausserhalb seiner Basis auf seine Seite zu ziehen. Viele haben sich ohnehin schon entschieden. Gegen 50 Millionen Stimmen sind bereits abgegeben worden.
Er kann es ja doch: Donald Trump hat für einmal auf seine Berater gehört und eine für seine Verhältnisse sehr disziplinierte Vorstellung geliefert. Die zweite Debatte mit Herausforderer Joe Biden in Nashville verlief weitaus geordneter als das erste Duell in Cleveland vor drei Wochen, das in ein wüstes Wortgefecht mit gegenseitigen Beschimpfungen ausgeartet war.
Dieses Mal liessen sie sich weitgehend ausreden. Im Ton waren sie relativ moderat. Biden wies Trumps Behauptungen wiederholt als unwahr oder «Malarkey» (ein irischer Ausdruck für Blödsinn) zurück. Er warf ihm nur einmal direkt eine Lüge vor. In der Sache aber schenkten sich die beiden Bewerber für die Präsidentschaft nichts, im Gegenteil.
Der Präsident musste sich zu Beginn der von NBC-Moderatorin Kristen Welker geleiteten Debatte für seinen Umgang mit dem Topthema verteidigen, der Corona-Pandemie. Trump versprach einen Impfstoff «in wenigen Wochen» und behauptete erneut, das Virus werde verschwinden. Er übernehme «die volle Verantwortung», aber schuld am Debakel sei China.
Joe Biden hingegen spielte eine seiner Stärken aus, die Empathie. «Seit der letzten Debatte gab es 1000 Tote pro Tag», sagte der frühere Vizepräsident und sprach wie häufig im Verlauf der Debatte direkt in die Kamera. «Niemand, der für so viele Todesfälle verantwortlich ist, darf Präsident der Vereinigten Staaten bleiben», sagte Biden.
Das Land gehe «einem dunklen Winter entgegen», warnte er. Donald Trump verwahrte sich gegen neue Shutdowns und attackierte demokratisch regierte Staaten und Städte («New York ist eine Geisterstadt»). Amerika müsse lernen, mit dem Virus zu leben, sagte der Republikaner und verwies auf seine eigene Erkrankung.
Um von seinem Versagen abzulenken, versuchte Trump schon früh, die Debatte auf sein derzeitiges Lieblingsthema zu lenken, die «schrecklichen Mails» aus einem angeblichen Laptop von Hunter Biden, dem Sohn des demokratischen Kandidaten. Die Geschichte ist hochgradig dubios, US-Geheimdienstler sprechen von einem russischen Komplott.
Trump liess sich davon nicht beirren. Er versuchte, nicht nur Hunter Biden als korrupt hinzustellen, sondern auch seinen Vater. Joe Biden habe 3,5 Millionen Dollar aus Moskau erhalten, behauptete der Präsident, was seinen Kontrahenten in Rage versetzte: «Ich habe niemals in meinem Leben einen Penny von einem fremden Land angenommen!»
Biden warf Trump einmal mehr zu grosse Nachgiebigkeit gegenüber Wladimir Putin und anderen Potentaten vor. Er forderte den Präsidenten auf, endlich seine Steuern offenzulegen. Er selber habe dies für die letzten 22 Jahre gemacht. Trump wiederholte bloss seine Standardausrede, er werde dies tun, sobald seine Steuererklärung geprüft sei.
«Ich bin kein typischer Politiker, darum wurde ich gewählt», sagte der ehemalige Reality-Star und versuchte damit, einen Kontrast zu Joe Biden zu schaffen, der seit fast 50 Jahren zum Establishment gehört. Er warf ihm die Verschärfung der Strafgesetze in den 90er Jahren vor, die Tausende junge Schwarze wegen geringfügiger Drogendelikte ins Gefängnis brachte.
Er hingegen sei «der am wenigsten rassistische Mensch in diesem Raum», behauptet Trump allen Ernstes und entgegen allen Fakten. Biden räumte ein, die Drogengesetze seien «ein Fehler» gewesen. Gleichzeitig drehte er den Spiess um: Donald Trump habe im Jahr 2000 gesagt, das grösste Problem sei, dass nicht genügend Menschen im Gefängnis seien.
Der Herausforderer musste angesichts seines Vorsprungs in den Umfragen in erster Linie eine solide Performance liefern. Das gelang ihm. Ein Schnitzer unterlief Biden, als er die rechtsextremen Proud Boys als «Poor Boys» bezeichnete. Darüber regen sich jedoch höchstens Politikprofis aus. Den «normalen» Wählerinnen und Wählern sind sie egal.
Beim Thema Klimawandel wurde Joe Biden sogar richtig mutig. Er wolle ein Fracking-Verbot einzig auf bundeseigenem Land, verwahrte er sich gegen Trumps Vorwurf. Langfristig müssten die USA aber von fossilen Energien wegkommen und auf erneuerbare setzen. Dies werde «Millionen gut bezahlte Jobs schaffen», versprach Biden.
Zum Schluss frage Kristen Welker, was sie bei ihrer Vereidigung den Anhängern des unterlegenen Kandidaten zu sagen hätten. Trump sonderte bloss Wahlkampfparolen ab. Biden hingegen versprach Hoffnung statt Angst. Er werde «Wissenschaft vor Fiktion» stellen: «Der Charakter dieses Landes steht zur Wahl», betonte der 77-Jährige.
Who won tonight's debate?@YouGovAmerica:
— Political Polls (@Politics_Polls) October 23, 2020
Biden 54% (+19)
Trump 35%
.@CNN:
Biden 53% (+14)
Trump 39%@DataProgress:
Biden 52% (+11)
Trump 41%
Die Botschaft scheint angekommen zu sein: Laut den Blitzumfragen hat Joe Biden auch diese Debatte gewonnen. Donald Trump hingegen hätte einen klaren Sieg gebraucht, um eine Trendwende zu seinen Gunsten zu bewirken. Er hat dies auf bemerkenswert disziplinierte und zivilisierte Art versucht. Gelungen ist es ihm anscheinend nicht.