Alles scheint bereit. Nach dem Terrorangriff der Hamas gegen Israel am 7. Oktober hat die israelische Armee Soldaten, Panzer und militärisches Gerät an der Grenze zum Gazastreifen zusammengezogen. Für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist klar: «Wir werden die Hamas vernichten, aber es wird Zeit brauchen.»
Experten sind sich einig, dass Israel mit Bodentruppen in den Gazastreifen vorrücken wird. Dieses Vorgehen gilt als einzige Möglichkeit, die militärischen Strukturen der Hamas nachhaltig zu zerstören, um künftige Angriffe auf Israel deutlich zu erschweren. Dabei ist die Aussicht auf blutige Häuserkämpfe im Gazastreifen schon jetzt ein strategischer Albtraum für die israelische Armee. Die Hamas nutzt gegenwärtig die Zeit, um sich für diesen Kampf zu rüsten.
Warum zögert Israel also so lange?
Das hat mehrere Gründe: Israel muss seine eigene Bevölkerung vor Terrorismus, aber gleichzeitig auch die Zivilbevölkerung im Gazastreifen schützen. Ein riesiges Dilemma. Im schlimmsten Fall könnte mit einem Blutbad in Gaza das Pulverfass im Nahen Osten explodieren.
Klar ist: Eine Operation im Gazastreifen ist für die israelische Armee ein strategisches Horrorszenario. Viele Jahre schreckte sie genau davor zurück. Es drohen Häuserkämpfe in schmalen Strassen, Hinterhalte, Sprengfallen und Minen.
Der Gazastreifen ist mit seinen 2.2 Millionen Bewohnern eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Enge Gassen, begehbare Dächer, die Gebäude haben kleine Fenster: Hinzu kommt ein unterirdisches Tunnelnetzwerk der Hamas, dessen Eingänge sich unter Schulen, Moscheen und anderen zivilen Gebäuden verbergen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Alles deutet damit darauf hin, dass die Terroristen die israelische Armee in einen Guerillakampf zwingen werden. Die Hamas hat keine Uniformen, die Männer sind nur schwer von Zivilisten zu unterscheiden. Legt einer von ihnen sein Gewehr ab, ist er nicht mehr als Terrorist erkennbar. Die Hamas kann also untertauchen, auch in unterirdische Bunker.
Seit 2007 kontrolliert die Terrororganisation den Gazastreifen und hat immer wieder versucht, Israel in eben diese Häuserkämpfe zu zwingen. Sie konnte sich lange auf diesen Krieg vorbereiten und das macht die Situation für die israelische Armee brandgefährlich. Die Zeit spielt der Hamas also in die Hände.
Israel hat sich trotzdem für eine Verzögerung des Angriffs entschieden. Offiziell gab die israelische Führung am Wochenende an, das Wetter sei zu schlecht für einen Angriff. In der Tat hat es geregnet, was israelische Luft- und Drohnenangriffe erschwert.
Aber das grundlegende Problem liegt eigentlich woanders. Es sind die Zehntausenden Zivilisten, die sich noch im Norden des Gazastreifens aufhalten. Israel hat diese Menschen aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Dabei ist noch unklar, wohin sie überhaupt gehen können. Im Süden hat Ägypten die Grenze zu Gaza geschlossen. Die Menschen sitzen fest. Ausserdem scheint auch die Hamas die Bevölkerung davon abzuhalten, Gaza-Stadt im Norden zu verlassen. Das israelische Militär sprach am Sonntag davon, dass Strassensperren zeigen würden, wie egal Menschenleben der Hamas seien.
Zunächst setzte die israelische Armeeführung Sonntag 12 Uhr als Frist für die Evakuierung. Aber auch danach begann die Bodenoffensive noch nicht. Im Lauf der Zeit wollte Israel den Druck erhöhen, damit Zivilisten den Norden des Gazastreifens möglichst schnell verlassen. Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, begründete die Verzögerung der Gegenoffensive am Sonntag im ARD-Interview damit, dass noch mehr palästinensische Zivilisten den Süden des Gazastreifens erreichen sollten, um sie bei einer Bodenoffensive im Norden des Küstenstreifens nicht in Gefahr zu bringen.
Schon jetzt tobt in Israel ein Kommunikationskrieg. Die Hamas zielt auf internationale Unterstützung, indem sie das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu instrumentalisieren versucht. Eine Täter-Opfer-Umkehr, schliesslich sind die Terroristen am 7. Oktober in Israel eingefallen und haben mindestens 1'300 Menschen – grösstenteils Zivilisten – getötet und Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
«Es wird zivile Opfer geben und es wird eine Herausforderung für Israel werden, dies zu kommunizieren», sagt Christian Mölling, Militärexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), t-online. Aber der Experte macht klar: «Die Bodenoffensive gegen die Hamas ist kein Vergeltungsschlag, sondern Israel möchte künftigen Angriffen vorbeugen.»
Alles, was Israel gegen die Hamas unternimmt, wird immer auch Zivilisten treffen. Schon jetzt fordern viele Staaten von Israel, die palästinensische Bevölkerung zu schützen. Auch die Vereinten Nationen kritisieren, dass Israel die Lieferung von Strom und Lebensmitteln in den Gazastreifen eingestellt hat. Es ist eine humanitäre Katastrophe, von der am Ende wahrscheinlich die Hamas profitieren wird, weil sie die Wut auf Israel nährt. Die Terrororganisation meldete im Gazastreifen bereits über 2'200 Todesopfer durch israelische Luftschläge. Die Angaben können nicht überprüft werden.
Das Zögern Israels, mit der Bodenoffensive zu beginnen, dürfte primär in der Angst der israelischen Führung vor Zehntausenden zivilen Opfern begründet sein, sowie den damit einhergehenden Bildern, die danach um die Welt gehen.
Denn darin liegen für Israel politische und militärische Gefahren. Ein Massaker an Zivilisten könnte die internationale Unterstützung für Israel bröckeln lassen, obwohl die Hamas diesen Krieg begonnen hat. Israel ist der Hamas militärisch deutlich überlegen, was in der internationalen Wahrnehmung zu der Erwartung führt, das israelische Militär müsse massvoll und gezielt vorgehen. Ungeachtet der Tatsache, dass Hamas-Kämpfer Zivilisten zum Schutz nutzen.
Vor allem die Führungen von muslimischen Ländern werden in diesem Krieg innenpolitisch zunehmend unter Druck geraten, den Freiheitskampf der Palästinenser zu unterstützen. Die Unterstützer der Hamas dagegen – die libanesische Hisbollah, das syrische Regime und vor allem der Iran – könnten das Leid der Palästinenser als Legitimation betrachten, mit in diesen Krieg einzusteigen. Ein Krieg an mehreren Fronten könnte Israel zwar militärisch gewinnen, aber das Ausmass an Todesopfern auf allen Seiten wäre katastrophal.
Dieses Szenario könnte das Pulverfass Naher Osten sprengen und das ist der Grund, warum die USA nun wieder als Ordnungsmacht auftreten. Deshalb schickte US-Präsident Joe Biden einen Flugzeugträger samt Flottenverbund in das östliche Mittelmeer. Die klare Botschaft an Israels Feinde, inklusive dem Iran: Haltet die Füsse still.
Doch ob das klappt, ist unklar. In iranischen Medien kursiert schon jetzt ein Aufruf, sich für den Kampf gegen Israel zu melden. Es geht nun also darum, einen Flächenbrand zu verhindern. Deswegen werden die USA auch dringlich an Israel appelliert haben, die zivilen Opferzahlen möglichst gering zu halten. Mit Blick auf die Lage in der Region ist das Verzögern des Bodenangriffs wahrscheinlich ein strategisch-kluger Schritt, doch für die israelischen Soldaten macht es das nicht einfacher. Sie erwarten blutige Kämpfe im Norden des Gazastreifens, in dem dann hoffentlich nicht mehr viele Zivilisten sind. Hoffentlich. Denn für Gaza kommt das Schlimmste erst noch.
Verwendete Quellen:
Es sind insbesondere die Netanjahu-Jahre, die es völlig versäumt haben, das Westjordanland voranzubringen um damit den Einfluss von Hamas /Hisbollah weitgehend zu untergraben.
Es gibt in diesem Konflikt nur Täter auf beiden Seiten und Opfer auf beiden Seiten, wobei die Opfer auf palästinensischer Seite im langjährigen Schnitt 20 mal höher sind.
Israel die Täterrolle absprechen zu wollen ist grundlegend falsch. Kein Land hat je eine vergleichbar hohe Anzahl Resolutionen und Resolutionsetwürfen (die von USA gekippt wurden) gegen sich gehabt.
Dasselbe gilt auch für Hamas die Jahr um Jahr radikaler und extremistischer wurde (und früher auch die PLO).
Den Preis zahlen Zivilisten, die zwischen die Räder kommen.
Und die werfen sich happy in die Kugeln mit dem Ziel 'Paradies' vor Augen.
Pfeiff auf die Zivilisten, Geiseln und Armeen.
Und gegen solch einen Gegner zu kämpfen, mit diesem Wissen und zusätzlich dass ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt kann keine Gewinmer geben.