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Chaos in den Spitälern nach Erdbeben in Nepal: «Der Ansturm ist einfach zu gross»

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Schweres Erdbeben in Nepal
Menschen suchen in den Trümmern nach Überlebenden. Die Chance schwinden mit jeder Stunde.
quelle: epa/epa / narendra shrestha
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Chaos in den Spitälern nach Erdbeben in Nepal: «Der Ansturm ist einfach zu gross»

Grosse Hilfsorganisationen sind zur Untätigkeit verdammt, dafür helfen Backpacker in den Krankenhäusern aus: Die Lage in Kathmandu ist chaotisch. Zugleich werden immer mehr Tote und Verletzte in die Hauptstadt gebracht.
01.05.2015, 07:0301.05.2015, 12:33
Ulrike Putz, Kathmandu / Spiegel online
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Eine Frau sinkt auf die Knie, «mein Liebling, mein Liebling», wimmert sie. Neben ihr steht ein junges Mädchen wie versteinert. Sie haben gerade in der Lobby eines Hörsaalgebäudes des Teaching Hospitals in Kathmandu ihre Tochter und Schwester identifiziert.

56 Tote, darunter fünf Ausländer, liegen nur notdürftig zugedeckt auf dem Kachelboden des Fakultätsgebäudes, das über Nacht zum zentralen Leichenschauhaus geworden ist. Angehörige werden herumgeführt, schauen in entstellte und inzwischen schwarz aufgedunsene Gesichter. Das Gebäude ist nicht klimatisiert, der Geruchs des Todes nur schwer zu ertragen. «31 Tote hier sind noch nicht identifiziert», sagt Shankar Koirala, der normalerweise im Büro des Premierministers arbeitet. Er und sein Team wirken nervös: Sie ahnen, dass ihnen das Schlimmste vielleicht erst noch bevorsteht.

«In den kommenden Tagen werden wir noch viel mehr Leichen hereinbekommen. Vor allem auch von Ausländern», sagt Koirala in dem leisen Nieselregen, der das Leben der vielen nun obdachlos gewordenen Menschen zusätzlich schwer macht.

Das Militär und Helfer aus Ungarn suchen in den Trümmern nach Opfern.
Das Militär und Helfer aus Ungarn suchen in den Trümmern nach Opfern.Bild: ADNAN ABIDI/REUTERS

Am Tag fünf nach dem schwersten Beben seit 80 Jahren in Nepal kehrt in Kathmandu nur langsam wieder das normale Leben ein. Zwar sind einige Geschäfte und Imbisse wieder geöffnet, Trümmer werden weggeräumt, die Toten der Metropole sind zu grossen Teilen geborgen und verbrannt. Doch wo die Hauptstadt zögerlich anfängt, wieder zu funktionieren, wird sie gleichzeitig mit dem Ausmass des Schreckens konfrontiert, den das Beben über das Land gebracht hat.

Seit endlich immer mehr entlegene Bergdörfer und Nationalparks mit der Hilfe von Bulldozern und Hubschraubern erreicht werden, werden immer neue Verletzte und Tote geborgen und in einem stetigen Strom nach Kathmandu gebracht. Die wahren Folgen des Bebens offenbaren sich so mit einer seltsamen Verzögerung.

Immer neue Patienten aus entlegenen Gebieten

Das Nationale Trauma Zentrum Kathmandus erlebt am Donnerstag seinen hektischsten Tag seit dem Beben. «Es kommen immer neue Patienten aus entlegenen Gebieten mit bereits Tage alten Brüchen und Kopfverletzungen herein», sagt Binda Gimire, sonst Ausbilderin am Krankenpfleger-College. Auf den Stationen des 250-Betten-Hospitals herrscht entsprechendes Chaos, die Zustände sind höchst unhygienisch. In den Ecken liegt schmutzige Bettwäsche, die Böden sind dreckig, die Ärzte und Schwestern überfordert.

«Der Ansturm ist einfach zu gross», sagt Alma Millan. Die gelernte Krankenschwester aus Barcelona war für ein Sabbatical in Nepal, als die Erde bebte. Seitdem hilft sie im Krankenhaus. Auch andere in Kathmandu gestrandete Ausländer versuchen, sich nützlich zu machen. Zwei Rucksacktouristinnen - eine aus Australien, eine aus Grossbritannien - waschen gerade eine verwundete Frau.

Ein Mann schaut nach seiner Rettung aus dem Fenster des Helikopters.
Ein Mann schaut nach seiner Rettung aus dem Fenster des Helikopters.Bild: DANISH SIDDIQUI/REUTERS

Während Einzelne versuchen, das Leid zu lindern, warten viele der grossen Hilfsorganisationen mit brennender Geduld darauf, endlich aktiv werden zu können: Der Flughafen von Kathmandu, auf dem nur sechs grosse Maschinen gleichzeitig abgefertigt werden können, erweist sich als Nadelöhr. So ist das deutsche Team der Malteser International inzwischen vor Ort angekommen, seine Notfall-Ausrüstung aber nicht. Die Katastrophenhelfer vom Johanniterorden verloren zwei Tage, weil ihr Flug keine Landeerlaubnis für Kathmandu bekam.

Die Deutsche Botschaft ist derweil zum Anlaufpunkt für junge Backpacker geworden, die aus eigener Kraft aus den Bergen heruntergekommen sind. Etwa 30 Rucksacktouristen campen im Garten und warten auf ihre Rück- oder Weiterflüge. Es geht gesellig, fast fröhlich zu - man kennt sich aus den Hostels entlang der einschlägigen Wanderwege.

Sorge um Vermisste

In der Botschaft herrscht dagegen Sorge: Am Donnerstagnachmittag galten noch immer 77 Deutsche als vermisst. Aus Botschaftskreisen war zu hören, dass die Zahl zwar noch deutlich sinken, vermutlich aber nicht alle Deutschen gefunden werden würden. Man müsse damit rechnen, dass einige Reisende unter Geröll, Schlamm oder Schnee begraben seien und sich ihr Schicksal nie endgültig klären lassen werde.

Jetzt auf

Botschaftsangehörige appellierten an deutsche Nepal-Urlauber, sich vor ihrer Abreise an die Vertretung zu wenden und sich registrieren zu lassen.

Ursprünglich waren mehr als 300 Deutsche als vermisst gemeldet worden, 239 wurden inzwischen lokalisiert. Bislang gibt es ein bestätigtes deutsches Todesopfer. Ein Göttinger Geologie-Professor starb, als er mit einer Gruppe Studenten in den Bergen vom Beben überrascht wurde. Nach Angaben des Deutschen Reiseverbands wurden seit dem Beben 450 Deutsche ausgeflogen.

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