Im Roten Meer liegt einer der grössten Öltanker der Welt. Sein Zustand ist miserabel, dennoch befinden sich über eine Million Barrel Öl an Bord. Die Chancen, dass das Schiff entweder explodiert oder sinkt, sind gross. Die Auswirkungen wären verheerend und wohl auch in der Schweiz spürbar.
Der Öltanker «F.S.O Safer» ist zur Bedrohung für den globalen Welthandel geworden – und ein kürzlich erschienener Artikel des Magazins «The New Yorker» hat den Diskussionen um die Problematik neue Dringlichkeit verliehen.
A new story in @newyorker. It's about an old supertanker moored off the coast of Yemen, and a looming environmental and humanitarian catastrophe. https://t.co/OtQjHIolkF
— Ed Caesar (@edcaesar) October 4, 2021
Das Schiff wurde 1976 in Japan fertiggestellt und war als einer der grössten Tanker in den Weltmeeren unterwegs. Seit 1988 transportiert das Schiff jedoch kein Öl mehr von A nach B. Es liegt vor der jemenitischen Küste, wo es als Öl-Lager dient.
Im Jahr 2014 übernahmen die Huthi-Rebellen die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa und somit auch über die «F.S.O Safer». Vor der Machtübernahme gab die staatliche Firma, der das Schiff gehört, 20 Millionen jährlich für Wartungsarbeiten aus. Über 50 Personen arbeiteten vor dem Krieg auf dem Schiff. Unter den Huthis ist die Besatzung gerade mal auf sieben Personen geschrumpft.
Seit 2017 gilt das Schiff als «tot». Denn der Dampfkessel an Bord, der unter anderem für die Stromversorgung zuständig ist, funktioniert nicht mehr. Strom gibt es seither nur noch von zwei Diesel-Generatoren.
Seit dem Ausfall des Dampfkessels können viele wichtige Systeme an Bord nicht mehr betrieben werden. So wird normalerweise mit Inertgas-Systemen verhindert, dass das Öl sich entzündet. Im Grunde geht es dabei darum, die Sauerstoff-Konzentration in den Öltanks so zu regulieren, dass es keine Explosionen gibt. Seit 2017 funktionieren diese Inertgas-Systeme an Bord der «F.S.O. Safer» jedoch nicht mehr.
Die Konsequenz: Ein kleiner Funke, ein Zigarettenstummel oder ein losgelöster Schuss einer Waffe könnte das Schiff zum Explodieren bringen oder einen Brand auslösen. Dies hätte dramatische Folgen für den Jemen; ein Land, das seit 2014 in einem brutalen Krieg steckt und dessen Bevölkerung es sowieso schon an allem fehlt. Im Jemen ereignet sich gemäss Uno «die schlimmste humanitäre Krise» auf dem Planeten. 13,5 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht.
An Bord der «F.S.O. Safer» befinden sich eine Million Barrel Öl. Das ist etwa vier Mal so viel, wie auf der Exxon Valdez im Jahr 1989 auslief. Ein Unglück auf der «F.S.O. Safer» könnte nochmals weitaus schlimmere Konsequenzen haben. Wie brenzlig die Lage ist, zeigen die folgenden vier Punkte:
Lange Zeit war die «F.S.O. Safer» ein gut gewartetes Schiff. Jetzt arbeiten gerade mal noch sieben Personen an Bord. Der Koch und der Putzmann gehören auch dazu. Sie schuften unter schier unerträglichen Bedingungen. Es gibt keine Klimaanlage, keine Ventilation und dies bei Temperaturen, die sich um die 40 Grad Celsius oder mehr bewegen. Bewacht werden sie durch bewaffnete Huthi-Milizen.
«The New Yorker» hatte Einblick in einen Rapport, den Chefingenieur Yasser al-Qubati seinen Vorgesetzten schrieb. Und dieser verheisst nichts Gutes. al-Qubati beschreibt ein Schiff, dass sich «jeden Tag immer mehr zum Schlechtesten entwickelt». Er und seine Crew würden jeden Tag eine verzweifelte Entscheidung nach der anderen treffen, um zu verhindern, dass das Schiff sinkt. «Wissenschaft, Geist, Logik, Erfahrung ... alles bestätigt, dass ein Desaster unmittelbar bevorsteht. Aber wann es passiert, das weiss nur Allah.»
Wie gefährlich die Situation wirklich ist, zeigte ein Vorfall am 27. Mai 2020. Als an Bord der Alarm losging, rannte Chefingenieur al-Qubati in den Bauch des Schiffes. Mit Schrecken stellte er fest, dass Meereswasser über ein korrodiertes Rohr in den Maschinenraum spritzte. Für al-Qubati war sofort klar: Dieses Leck muss umgehend geschlossen werden. Wenn sich der Maschinenraum mit Meereswasser füllt, sinkt das Schiff.
Die sowieso schon dezimierte Crew arbeitete fünf Tage und Nächte durch, um das Desaster abzuwenden. Mit einer Pumpe, die durch einen Diesel-Generator betrieben wurde, versuchten sie, das Wasser aus dem Maschinenraum zu bringen. Doch der Generator gab den Geist auf.
Glücklicherweise war zufällig ein Elektriker an Bord, der in einer stundenlangen Operation den Generator wieder zum Laufen brachte. Die Crew konnte schliesslich beim Rohr eine rudimentäre Klammer befestigen. Zudem brachte ein Taucher-Team, das keinerlei Erfahrung mit Öltankern hatte, eine Platte am Schiff an, damit das Wasser nicht mehr in gleichem Ausmass in den Maschinenraum gelangt.
Ganz geflickt ist das Leck immer noch nicht. Noch heute dringt Wasser in den Maschinenraum, das mit Pumpen weggeschafft werden muss. Viele Experten schätzen denn das Risiko des Sinkens auch höher als das Risiko einer Explosion ein. Beruhigend ist das jedoch nicht: Wenn das Schiff sinkt, wird die sowieso schon geschwächte Hülle dem Druck und dem Meeresboden nicht standhalten können. Ein Auslaufen des Öls wäre die Konsequenz.
Die Uno will ein Team an Bord schicken, das das Schiff untersucht. Darauf soll ein Entscheid getroffen werden, wie das Öl sicher vom Schiff geschafft werden kann. Wenn man das Öl von der «F.S.O. Safer» auf ein anderes Schiff verlagern könnte, wäre das Problem eigentlich gelöst. Was mit dem Öl und der «F.S.O. Safer» passiert, könnte man immer noch später ausdiskutieren, aber das Risiko einer Öl-Katastrophe wäre behoben.
Laut «The New Yorker» verhindern die Huthi-Milizen jedoch, dass die Uno-Experten an Bord können. Die Uno hatte 2019 bereits ein Team in Dschibuti bereit, welches über das Rote Meer zum Schiff gelangen wollte. Doch wenige Stunden vor der Operation stellten sich die Huthi-Milizen quer. Auch im laufenden Jahr stoppten die Milizen eine geplante Inspektion.
Falls die Huthis einlenken würden, würde es jedoch Wochen dauern, bis wieder ein Team von Inspektoren bereit wäre. Nach der Besichtigung des Schiffs müsste ein anderer Tanker organisiert werden, der das Öl übernimmt. Die Beschaffung eines solchen Schiffes könnte wiederum viel Zeit in Anspruch nehmen.
Momentan sieht es nicht danach aus, als könnten die Huthis die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa demnächst verlieren – trotz jahrelanger und rücksichtsloser Angriffe von Saudi-Arabien und Alliierten. Das Schiff wird also in ihrer Hand bleiben. Doch wenn sie nicht kooperieren, kann das Problem nicht gelöst werden.
Offenbar gibt es durchaus Stimmen innerhalb der Huthi-Regierung, welche das Problem mit der «F.S.O. Safer» so schnell wie möglich aus dem Weg schaffen wollen. Gleichzeitig gebe es aber auch Personen, die das Schiff als Druckmittel für Verhandlungen im Krieg mit Saudi-Arabien verwenden möchten, berichtet «The New Yorker».
Hochrangige Huthis verheimlichen auch nicht, dass das Schiff aus militärischer Sicht interessant ist. Uno-Mitarbeiter vermuten, dass an Bord Minen und weitere explosive Gegenstände installiert sind. Ebrahim Alseraji, der für die Huthis mit der Uno verhandelte, erzählte dem «New Yorker» im Juni, die Huthis würden es erst erlauben, das Öl zu transferieren, wenn es «Frieden» gibt.
Ein Pokerspiel, das fast nicht gut ausgehen kann.