Im Osten Österreichs ist die Lage dramatisch. Das Bundesland Niederösterreich, das die Hauptstadt Wien umgibt, wurde zum Katastrophengebiet erklärt. Mehrere Menschen kamen ums Leben, Hunderte mussten evakuiert werden. Wien selbst kam glimpflich davon, doch der öffentliche Verkehr war am Montag beeinträchtigt. Und bis Dienstag regnet es weiter.
Die dramatische Hochwasserlage beschäftigt auch die österreichische Politik, denn der grosse Regen fiel exakt zwei Wochen vor der Nationalratswahl. Am Wochenende wurden Wahlkampf-Anlässe abgesagt. Zwei für Montag angesetzte ORF-Duelle, in denen je zwei Spitzenkandidaten der Parteien aufeinandertreffen, wurden verschoben.
Bislang deuteten die Umfragen auf einen Erfolg der Rechtsaussen-Partei FPÖ hin, die unter ihrem Chef Herbert Kickl in zunehmend extreme Gefilde abgedriftet ist. In einer am Samstag veröffentlichten Erhebung für die Gratiszeitung «Heute» kommt sie auf 28 Prozent. Auf Platz zwei liegt mit 25 Prozent die konservative ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer.
Die Fehlermarge liegt bei 3,5 Prozent, weshalb ein Sieg der ÖVP möglich wäre. Dennoch habe die FPÖ «alle Chancen auf Platz eins», analysierte «Heute»-Meinungsforscher Peter Hajek. Zumindest sah es bis Samstag so aus. Denn selbst «Heute» folgerte, dass im Falle schwerer Wetterkapriolen «die Stunde des hemdsärmeligen Kanzlers» schlagen könne.
Bereits am Freitag sagte Nehammer alle Wahlkampfauftritte ab und berief den Krisenstab mit dem Innenminister und der Verteidigungsministerin ein. Fast alle Bundesländer seien von extremen Regenfällen, teils auch von Schneefall, betroffen, warnte das Kanzleramt: «Die kommenden Tage stellen daher eine enorme Herausforderung für alle Einsatzkräfte dar.»
Andreas Babler, der nicht unumstrittene Vorsitzende der SPÖ, meldete sich direkt von der Front. Er ist Bürgermeister des niederösterreichischen Städtchens Traiskirchen und Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Damit wolle er sein Bild vom «Mann der Tat» festigen, «der anpackt und die Bevölkerung seines Orts anhält, nicht rauszugehen», meint «Heute».
FPÖ-Chef Kickl konnte da nicht mithalten. Er nahm in Regenjacke ein Video auf, in dem er «Einsatzkräften und freiwilligen Helfern Respekt und Dank» ausrichtet. Das Unwetter vermasselt ihm den Wahlkampf-Endspurt, denn bislang setzten die Rechtsradikalen ganz auf das Thema Migration. Kickl kündigte nichts weniger an als eine «Festung Österreich».
Die Zahl der Asylgesuche soll auf null heruntergefahren werden, da Österreich von sicheren Drittstaaten umgeben sei. Den anstössigen Begriff «Remigration» verwendet Kickl ungeniert. Er verspricht, ein «Volkskanzler» zu sein – als solcher bezeichnete sich schon Adolf Hitler. Damit verhalf er der nach der Ibiza-Affäre diskreditierten Partei zum Comeback.
Mit seinen aggressiven Auftritten konnte Herbert Kickl die anderen Parteien vor sich hertreiben. Die Klimakrise spielte im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. Die FPÖ spricht von einer «Klimahysterie» und kommt damit an. «Weggespülte Strassen lassen sich offenbar leichter ertragen als ein 100-km/h-Tempolimit auf der Autobahn», meinte «Der Standard».
Wird das Hochwasser dies ändern? Zumindest die Rolle als Krisenmanager könnte Karl Nehammer tatsächlich helfen. Ein Beispiel dafür findet sich beim grossen Nachbarn im Norden. Nach dem «Jahrhunderthochwasser» an der Elbe im August 2002 machte sich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in Gummistiefeln ein Bild vor Ort.
Edmund Stoiber, der Kanzlerkandidat von CDU/CSU bei der Bundestagswahl im folgenden Monat, reagierte spät und unbeholfen auf die Fluten. Bis heute hält sich die Annahme, Schröders zupackender Auftritt habe dazu beigetragen, dass seine rotgrüne Regierung ihren Rückstand auf die Union in den Umfragen aufholen und sich die Wiederwahl sichern konnte.
Das «abschreckende» Gegenbeispiel lieferte vor drei Jahren, als in Deutschland ebenfalls eine Bundestagswahl bevorstand, der Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal wurde er mit einem breiten Grinsen abgelichtet. Die Wahl entschied dieser Fauxpas nicht, aber er liess an Laschets Qualifikation zweifeln.
Herbert Kickl tat folglich gut daran, sich als «Kümmerer» zu inszenieren. Ob er «Volkskanzler» wird, dürften kaum die Unwetter entscheiden. Zwar gibt es in Österreich keine «Brandmauer» gegen Rechtsaussen wie in Deutschland. Kanzler Nehammer schliesst eine Koalition mit der FPÖ nicht aus, aber nur ohne Kickl, den er als «rechtsextrem» bezeichnete.
Offen ist auch, wie sich das Hochwasser auf die anderen Parteien auswirkt, etwa die Grünen, die bislang mit der ÖVP regieren und denen laut den Umfragen starke Verluste drohen. Sie stellen mit Alexander Van der Bellen den Bundespräsidenten, der relativ viel Macht hat. So kann er frei entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragen will.
Beim jetzigen Stand wäre eine FPÖ/ÖVP-Koalition das einzige Zweierbündnis mit einer Mehrheit im Nationalrat. Die katastrophalen Unwetter aber könnten etwas bewegen. In der Analyse der «Heute»-Umfrage wird Niederösterreich als «entscheidender ‹Swing State›» bezeichnet. Also ausgerechnet das am härtesten getroffene Bundesland.
Wenn das keine Ironie ist!