Die Geschichte von Julian Hessenthaler liest sich wie ein Polit-Krimi: Ein Privatdetektiv deckt in einer Villa auf Ibiza die Charakterschwächen österreichischer Politiker auf. Ihren Willen zur Korruption, ihre Idee von der gelenkten Presse, ihre Bereitschaft all das in die Hände einer vermeintlich russischen Oligarchin zu legen, ihren Kokainkonsum.
Der Privatdetektiv war Hessenthaler. Die österreichische Polit-Prominenz: der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und des Abgeordneten Johann Gudenus (FPÖ) auf.
Letztlich kosten die Wellen, die dieser Fall hinter sich herzieht, auch Alt-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sein politisches Überleben. Denn auf die Ibiza-Affäre folgten Ermittlungen und Untersuchungen. Sie zeigten ein mangelndes Rechtsverständnis innerhalb der österreichischen Politik. Bis hin zu Kurz.
Hessenthaler veröffentlicht den Mitschnitt, der als «Ibiza-Video» bekannt geworden ist. Und die Jagd auf den Detektiv beginnt. Seit zwei Jahren sitzt Hessenthaler nun schon hinter Gittern. Der Tatvorwurf: Drogenhandel.
Nun wurde eine Petition gestartet, die fordert, Hessenthaler freizulassen. Und nicht nur das: Die Bittsteller:innen fordern ausserdem, Hessenthaler für seine Verdienste an der österreichischen Demokratie auszuzeichnen. Unabhängig vom Einzelfall soll die Petition die österreichische Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit stärken.
Aber was ist überhaupt passiert in der Alpenrepublik?
Kurz gesagt: Durch das Ibiza-Video und die folgenden Untersuchungen kam heraus, dass weite Teile der österreichischen Politik korrupt sind. Dem österreichischen Altkanzler Sebastian Kurz wurde vorgeworfen, Wahlumfragen manipuliert und positive Berichterstattung gekauft zu haben.
Gleichzeitig lässt der Umgang mit dem Auslöser, Julian Hessenthaler, viele Menschen an der Unabhängigkeit der österreichischen Justiz zweifeln. Zu verworren war das Verfahren, das gegen den Enthüller geführt wurde. Organisiert wurde die Petition, die Hessenthalers Freilassung fordert, aus einer Gruppe rund um einen Universitätsprofessor aus Klagenfurth. Klaus Schönberger.
Auf watson-Anfrage erklärt der Kulturwissenschaftler, dass er persönlich Ungerechtigkeiten nur schwer ertragen könne. Er konnte nicht verstehen, dass sich niemand für den Mann einsetzt, dem das «demokratische Österreich so viel zu verdanken hat». Schönberger sagt: «Ich lebe seit einiger Zeit in Österreich und werde mich nicht damit abfinden, dass jemand im Knast versauert.»
Das grosse Ziel der Organisator:innen: Die politische Kultur Österreichs soll nicht den Feinden der Demokratie überlassen werden. Gemeint sind hiermit Politiker:innen aus FPÖ und ÖVP, sowie weitere politische Kräfte. «Es geht darum, Schluss zu machen mit einer Haltung, alles ist käuflich und wir teilen uns die Pfründe untereinander auf», stellt Schönberger klar.
In der Petition wird der Justiz eine «politisch motivierte Konstruktion eines Straftatbestandes» vorgeworfen. Auch wenn der Prozess nach Aussagen von Richter:innen und Staatsanwaltschaft nichts mit dem Video zu tun hat. Tatsächlich gibt es diverse Zweifel am Verfahren gegen den Hinweisgeber. Das österreichische Justizministerium wollte sich auf watson-Anfrage nicht zu dem Sachverhalt äussern. Die Bewertung des Falles obliege der Staatsanwaltschaft.
Tatsächlich wurde Hessenthaler nämlich wegen eines Beutels voll Kokain in Deutschland festgenommen und nach Österreich überführt. Der Punkt «Suchtgifthandel» taucht als letzter in einer Reihe von Begründungen auf, die die Staatsanwaltschaft Wien anbringt, um auch in Deutschland ermitteln zu dürfen. Davor werden diverse «Verfehlungen» aufgezählt, die direkt mit dem Video von Strache und Gudenus in Verbindung stehen. Auch der Name der Sonderkommission war «Soko Tape».
Gefunden wurde dieser Beutel mit Kokain nicht bei Hessenthaler, sondern bei einer Belastungszeugin. Einen Sachbeweis gegen Hessenthaler selbst gab es bis zum Ende der Ermittlungen nicht. Die Verurteilung stützt sich also auf Zeug:innen – die sich in ihren Aussagen widersprechen.
Wie die «taz» berichtete, traten Hessenthalers ehemaliger Geschäftspartner Slaven K., dessen Ex-Freundin Katharina H. und Edis S. als Zeug:innen auf. Bei den Vernehmungen sollen sie einander der Lüge bezichtigt und sich «Wahnvorstellungen» vorgeworfen haben. Sie gaben ausserdem zu, für die Informationen Geld bekommen zu haben. Und zwar von dem Betreiber einer FPÖ-nahen Informationsplattform.
Auch Schönberger äussert gegenüber watson seine Zweifel wegen dieser Umstände. Er sagt:
Ein angestrebtes Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht in Wien scheiterte. Nun will der Anwalt Hessenthalers laut dem österreichischen Sender Puls24 allerdings vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
Der Umgang mit dem Fall Hessenthaler zeigt laut Schönberger vor allem eins: Man will die aufgedeckten Skandale unsichtbar machen. Dadurch, dass Hessenthaler kontinuierlich als Kokain-Dealer dargestellt würde, während die Enthüllungen wenig beachtet sind, würde die Aufdeckung kriminalisiert – nicht die Korruption und Bestechlichkeit des politischen Personals.
Auch der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak von der Uni Wien beschreibt den Prozess als unverhältnismässig. Es sei viel mehr Energie darauf verwendet worden, Hessenthaler ein Verbrechen nachzuweisen, als sich um Strache zu kümmern. Nowak sagt:
Es sei blauäugig, so zu tun, als handele es sich im Fall Hessenthaler ausschliesslich um einen Drogenprozess. Und das, obwohl der Detektiv einen der grössten Polit-Skandale Österreichs aufgedeckt hat. Natürlich sei es gerechtfertigt, Hessenthaler zu verurteilen, wenn ihm ein Verbrechen nachgewiesen werden kann – aber dann im Rahmen der Verhältnismässigkeit. Das Ibiza-Video spreche den Hinweisgeber schliesslich nicht von jeglichen Straftaten frei, die er womöglich unabhängig davon begangen hat.
Für den österreichischen Rechtsstaat, ist Nowak überzeugt, wäre es sinnvoller gewesen, dasselbe Engagement in die Aufarbeitung und Aufdeckung der Korruption innerhalb der FPÖ zu stecken, wie in die Suche nach einem Fehltritt Hessenthalers. «In einer funktionierenden Demokratie muss ein Platz für Whistleblower sein», stellt Nowak klar. Es sei schlimm, dass Österreich in dieselbe Kerbe schlage, wie die USA im Fall von Edward Snowden. Oder die USA, Grossbritannien und Schweden im Fall von Julian Assange.
Wenn die Korruption der FPÖ nicht aufgefallen wäre, dann wäre die türkis-blaue Regierung – also die Regierung aus ÖVP und FPÖ – wahrscheinlich noch immer intakt, meint Nowak. Und führt aus:
In der Aufarbeitung der Korruption allerdings, meint Nowak, habe Österreich schon einiges getan: «Der Untersuchungsausschuss im Parlament hat vieles aufgedeckt – interessant ist, dass gerade die FPÖ daran interessiert ist, der ÖVP Korruption vorzuwerfen und nicht vor der eigenen Haustüre kehrt.» In diesem Bezug hätte sehr viel mehr passieren müssen. Rechtlich verfolgt wurden die Skandale der FPÖ bisher nicht.
Für die Organisator:innen der Petition hat Hessenthaler die Republik vor grösserem Schaden bewahrt. Für sie ist klar, was der Privatdetektiv verdient: «Staatliche Auszeichnung von Julian Hessenthaler aufgrund seiner Verdienste um die demokratische Kultur in Österreich!»
Noch sitzt Hessenthaler im Gefängnis in St. Pölten. Wie sein persönlicher Krimi weitergeht, wird sich zeigen.
Der korrupte Ex-Kanzler setzt sich in die USA ab, und niemand interessiert es.
Schöne neue Welt