Der innenpolitische Druck auf den Gesamtbundesrat und den federführenden Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) steigt, in Bezug auf den Gaza-Krieg klare Kante zu zeigen.
Letzte Woche rang sich der Gesamtbundesrat zwar zu einer Stellungnahme zur «Situation in Gaza» durch. Er zeigte sich «tief bestürzt über das unerträgliche menschliche Leid und fordert uneingeschränkten humanitären Zugang sowie eine sofortige Waffenruhe». Der Anstoss zu dieser Positionierung kam nicht vom Aussenminister, wie es in anderen Departementen heisst.
Die SP Schweiz erhöht jetzt den Druck. Sie fordert den Bundesrat zum Handeln auf angesichts «des menschlichen Leidens in Gaza, das ein unerträgliches Ausmass» angenommen habe. Sie deponiert in beiden Räten gleichlautende Motionen unter dem Titel: «Israelische Verbrechen im Gaza-Krieg: Massnahmen zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und zwingenden Völkerrechts».
Der Bundesrat habe zwar «den grausamen Überfall der Hamas auf Israel in aller Schärfe» verurteilt, die Hamas sei vom Parlament verboten worden, so die SP. «Eine Verurteilung der israelischen Verbrechen im folgenden Gaza-Krieg durch den Bundesrat bleibt bis heute jedoch aus», so die SP im Vorstoss.
Israel müsse «unter allen Umständen dazu gebracht werden, seine Militäroperationen in Gaza einzustellen und unverzüglich humanitäre Hilfe nach Gaza zuzulassen», begründet die SP. Der Bundesrat müsse sich «unter Ausnutzung seines vollen aussenpolitischen Einflusses gegen die Begehung schwerster Verbrechen im Gaza-Krieg und für den ungehinderten Zugang humanitärer Hilfe zum Gaza-Streifen sowie für die bedingungslose Freilassung aller Geiseln und politischer Gefangener» einsetzen.
Weitere SP-Forderungen an den Bundesrat:
Betroffen vom Stopp der Militärzusammenarbeit wären unter anderem die sechs Hermes-Drohnen, für die die Schweiz 300 Millionen bezahlt hat und auf die sie seit Jahren wartet. Fabian Molina, Sprecher der SP-Motion zu Gaza im Nationalrat, sagt dazu: «Die Drohnen sind nicht nur völkerrechtlich und moralisch ein Problem, sondern auch militärisch, weil sie bis heute nicht fliegen.»
Bundesrat und Aussenminister Cassis stehen zunehmend unter Druck, sich stärker für die leidende palästinensische Bevölkerung einzusetzen. In einem Schreiben gelangten kürzlich sogar EDA-Mitarbeitende an ihren Departementschef Cassis. Sie forderten ihn auf, die «willkürlichen Operationen der israelischen Armee in Gaza und im Westjordanland aufs Schärfste zu verurteilen». Er solle alle möglichen Massnahmen treffen, um Israel dazu zu bewegen, seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. «Ihr Engagement für die Einhaltung des Völkerrechts ist dringender und notwendiger denn je», so die Mitarbeitenden.
Wie reagierte EDA-Chef Cassis auf den Brief seiner Mitarbeitenden? Die Antwort des Aussendepartements ist einigermassen überraschend: «Von einem angeblichen Schreiben von EDA-Mitarbeitenden hat das EDA aktuell keine Kenntnis», hält eine Sprecherin fest.
Offenbar wurde das Schreiben der internen EDA-Post übergeben, kam aber angeblich also nie beim Chef an.
Sogar der Schweizer Botschafter in Tel Aviv, Simon Geissbühler, forderte in internen Memos laut «SonntagsBlick» von seinem Chef Cassis bereits wiederholt eine härtere Linie gegenüber der Regierung Netanyahu. Auf Geissbühlers Wort in dieser Sache geben EDA-Kenner etwas, denn der Bruder der früheren SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler gilt als israelfreundlich und als loyaler Cassis-Mann.
Aber noch am Dienstag sagte Cassis in einem Interview mit dem Westschweizer Fernsehen: Man müsse «kühlen Kopf bewahren trotz der Gewalt, man kann weder der einen noch der anderen Seite einfach so glauben». Man müsse aber die Tatsache verurteilen, betonte er, dass beide Seiten verhinderten, dass humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen gelange.
Das Aussendepartement hält auf Anfrage fest: «Der Vorsteher des EDA und der Bundesrat haben sich in den letzten Wochen mehrfach und klar zur Situation in Gaza geäussert.» Der Bundesrat habe vorletzte Woche «Israel aufgefordert, den ungehinderten Zugang der humanitären Hilfe zu allen Notleidenden sicherzustellen». Cassis habe am 23. Mai «im Tessin klar gesagt, dass humanitäre Hilfe keine Option, sondern eine Pflicht sei».
Ende letzter Woche habe sich auch der Gesamtbundesrat klar geäussert und eine sofortige Waffenruhe gefordert. Das EDA habe sich zudem schon zuvor auf verschiedenen internationalen Ebenen geäussert und unter anderem auch die israelische Botschafterin einbestellt.
Die SP-Motionen sind auch ein Versuch, den Bundesrat zu zwingen, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Bisher gingen Aussenminister wie auch Gesamtregierung dem aus dem Weg.
Was nützt Betroffenheit, wenn keine Konsequenzen folgen?
Die SP zeigt, was ein Anfang wäre: Sanktionen gegen gewalttätige Siedler, Stopp der Militärzusammenarbeit, Suspendierung des Freihandelsabkommens.
Alles andere ist Schönwetter-Diplomatie angesichts eines Völkerrechtsbruchs historischen Ausmasses.