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Palästina

Gaza: SP fordert Bundesrat zum Handeln auf

Displaced Palestinians return to retrieve their belongings from their homes in the area where the Israeli army operated in the northern Gaza Strip on Wednesday, June 4, 2025. (AP Photo/Jehad Alshrafi) ...
Anfang Juni, nach einer Militäroperation Israels im nördlichen Gaza-Streifen: Vertriebene Palästinenser kehren zurück, um ihre Habseligkeiten zu suchen, die sie in ihren Häusern zurücklassen mussten.Bild: keystone

Humanitäre Katastrophe in Gaza: SP fordert Bundesrat zum Handeln auf

Der Druck auf Bundesrat Cassis aus Zivilgesellschaft und Politik nimmt zu, Israels Militäroperationen in Gaza klarer entgegenzutreten. Einen Brief, den eigene Mitarbeitende schrieben, will das EDA nicht erhalten haben.
05.06.2025, 08:12
Henry Habegger / ch media
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Der innenpolitische Druck auf den Gesamtbundesrat und den federführenden Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) steigt, in Bezug auf den Gaza-Krieg klare Kante zu zeigen.

Letzte Woche rang sich der Gesamtbundesrat zwar zu einer Stellungnahme zur «Situation in Gaza» durch. Er zeigte sich «tief bestürzt über das unerträgliche menschliche Leid und fordert uneingeschränkten humanitären Zugang sowie eine sofortige Waffenruhe». Der Anstoss zu dieser Positionierung kam nicht vom Aussenminister, wie es in anderen Departementen heisst.

Bundesrat soll sich viel stärker einsetzen

Die SP Schweiz erhöht jetzt den Druck. Sie fordert den Bundesrat zum Handeln auf angesichts «des menschlichen Leidens in Gaza, das ein unerträgliches Ausmass» angenommen habe. Sie deponiert in beiden Räten gleichlautende Motionen unter dem Titel: «Israelische Verbrechen im Gaza-Krieg: Massnahmen zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und zwingenden Völkerrechts».

Der Bundesrat habe zwar «den grausamen Überfall der Hamas auf Israel in aller Schärfe» verurteilt, die Hamas sei vom Parlament verboten worden, so die SP. «Eine Verurteilung der israelischen Verbrechen im folgenden Gaza-Krieg durch den Bundesrat bleibt bis heute jedoch aus», so die SP im Vorstoss.

Israel müsse «unter allen Umständen dazu gebracht werden, seine Militäroperationen in Gaza einzustellen und unverzüglich humanitäre Hilfe nach Gaza zuzulassen», begründet die SP. Der Bundesrat müsse sich «unter Ausnutzung seines vollen aussenpolitischen Einflusses gegen die Begehung schwerster Verbrechen im Gaza-Krieg und für den ungehinderten Zugang humanitärer Hilfe zum Gaza-Streifen sowie für die bedingungslose Freilassung aller Geiseln und politischer Gefangener» einsetzen.

Weitere SP-Forderungen an den Bundesrat:

  • Sanktionen der EU gegen gewalttätige israelische Siedler übernehmen
  • Wie die EU eine Kennzeichnungspflicht für Produkte aus völkerrechtlich illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland und auf den Golanhöhen einführen
  • Jegliche militärische Zusammenarbeit mit Israel umgehend aussetzen und bestehende Bewilligungen für Kriegsmaterial und Dual-Use-Güter widerrufen.
  • Das Freihandelsabkommen mit Israel sistieren, bis dieses seinen internationalen völkerrechtlichen Verpflichtungen wieder nachkomme.

Betroffen vom Stopp der Militärzusammenarbeit wären unter anderem die sechs Hermes-Drohnen, für die die Schweiz 300 Millionen bezahlt hat und auf die sie seit Jahren wartet. Fabian Molina, Sprecher der SP-Motion zu Gaza im Nationalrat, sagt dazu: «Die Drohnen sind nicht nur völkerrechtlich und moralisch ein Problem, sondern auch militärisch, weil sie bis heute nicht fliegen.»

Ignazio Cassis, Federal Councillor and Minister of Foreign Affairs Switzerland, delivers her statement, during the opening of the eighth session of the Global platform for disaster risk reduction (GP2 ...
Bisher keine klare Verurteilung Israels: Ignazio Cassis, Aussenminister.Bild: keystone

Bundesrat und Aussenminister Cassis stehen zunehmend unter Druck, sich stärker für die leidende palästinensische Bevölkerung einzusetzen. In einem Schreiben gelangten kürzlich sogar EDA-Mitarbeitende an ihren Departementschef Cassis. Sie forderten ihn auf, die «willkürlichen Operationen der israelischen Armee in Gaza und im Westjordanland aufs Schärfste zu verurteilen». Er solle alle möglichen Massnahmen treffen, um Israel dazu zu bewegen, seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. «Ihr Engagement für die Einhaltung des Völkerrechts ist dringender und notwendiger denn je», so die Mitarbeitenden.

EDA: «Aktuell keine Kenntnis» vom Brief

Wie reagierte EDA-Chef Cassis auf den Brief seiner Mitarbeitenden? Die Antwort des Aussendepartements ist einigermassen überraschend: «Von einem angeblichen Schreiben von EDA-Mitarbeitenden hat das EDA aktuell keine Kenntnis», hält eine Sprecherin fest.

Offenbar wurde das Schreiben der internen EDA-Post übergeben, kam aber angeblich also nie beim Chef an.

Sogar der Schweizer Botschafter in Tel Aviv, Simon Geissbühler, forderte in internen Memos laut «SonntagsBlick» von seinem Chef Cassis bereits wiederholt eine härtere Linie gegenüber der Regierung Netanyahu. Auf Geissbühlers Wort in dieser Sache geben EDA-Kenner etwas, denn der Bruder der früheren SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler gilt als israelfreundlich und als loyaler Cassis-Mann.

Aber noch am Dienstag sagte Cassis in einem Interview mit dem Westschweizer Fernsehen: Man müsse «kühlen Kopf bewahren trotz der Gewalt, man kann weder der einen noch der anderen Seite einfach so glauben». Man müsse aber die Tatsache verurteilen, betonte er, dass beide Seiten verhinderten, dass humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen gelange.

Das Aussendepartement hält auf Anfrage fest: «Der Vorsteher des EDA und der Bundesrat haben sich in den letzten Wochen mehrfach und klar zur Situation in Gaza geäussert.» Der Bundesrat habe vorletzte Woche «Israel aufgefordert, den ungehinderten Zugang der humanitären Hilfe zu allen Notleidenden sicherzustellen». Cassis habe am 23. Mai «im Tessin klar gesagt, dass humanitäre Hilfe keine Option, sondern eine Pflicht sei».

Ende letzter Woche habe sich auch der Gesamtbundesrat klar geäussert und eine sofortige Waffenruhe gefordert. Das EDA habe sich zudem schon zuvor auf verschiedenen internationalen Ebenen geäussert und unter anderem auch die israelische Botschafterin einbestellt.

Die SP-Motionen sind auch ein Versuch, den Bundesrat zu zwingen, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Bisher gingen Aussenminister wie auch Gesamtregierung dem aus dem Weg.

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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K.A.T.E.R
05.06.2025 10:11registriert Februar 2025
Der Bundesrat verurteilt – aber handelt nicht. Cassis spricht von «Pflicht zur humanitären Hilfe», doch gleichzeitig wartet die Schweiz weiter brav auf Drohnen aus Israel.

Was nützt Betroffenheit, wenn keine Konsequenzen folgen?

Die SP zeigt, was ein Anfang wäre: Sanktionen gegen gewalttätige Siedler, Stopp der Militärzusammenarbeit, Suspendierung des Freihandelsabkommens.

Alles andere ist Schönwetter-Diplomatie angesichts eines Völkerrechtsbruchs historischen Ausmasses.
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Solong
05.06.2025 09:37registriert Februar 2024
Man kann nur einen Bundesrat zu Handeln auffordern wenn er weis was Handel ist. Unser Bundesrat weis das leider nicht und will immer zuerst Beobachten. Unser Bundesrat ist leider ein mutloser Haufen der des regierens nicht willig ist. Dabei wäre auch unser Bundesrat in der Verantwortung Israel zu kritisieren, schließlich betreibt Israel einen Völkermord an den Palästinelsern.
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Thomas Melone
05.06.2025 10:32registriert Mai 2014
Die Schweiz kann sich ja dann 50 Jahre später für das Schweigen und Wegschauen entschuldigen. Das ist erfahrungsgemäss einfacher.
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