«Goldener Moment für Palästina» – Hamas-Vertreter äussert sich zum 7. Oktober
Am 7. Oktober 2023 drangen Hamas-Kämpfer von Gaza aus in Israel ein und töteten dabei gemäss israelischen Angaben mindestens 1200 Menschen. Weitere 250 wurden als Geiseln nach Gaza verschleppt. Als Reaktion darauf startete Israel eine militärische Offensive in Gaza, um die Hamas zu vernichten und die Geiseln zu befreien. Gemäss palästinensischen Angaben forderte diese Offensive bis jetzt über 65'000 Menschenleben.
Das Ausmass der israelischen Offensive wird von vielen internationalen Akteuren als unverhältnismässig eingestuft. Inzwischen haben deshalb auch mehrere westliche Staaten, wie Frankreich und Grossbritannien, Palästina als Staat anerkannt. Am 12. September wurde zudem die sogenannte «New Yorker Erklärung» an der UN-Vollversammlung verabschiedet. Sie sieht vor, dass ein Palästinenserstaat – ohne Beteiligung von Hamas – neben Israel geschaffen werden soll.
Im Rahmen der UN-Vollversammlung wurde aber nicht nur die israelische Kriegsführung kritisiert, sondern auch der Hamas-Terrorangriff. So erklärte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, dass seine Behörde den Angriff immer abgelehnt habe. Er gibt Hamas zudem eine Mitschuld am Schicksal der Palästinenser in Gaza.
Anders sieht das der hochrangige Hamas-Vertreter Ghazi Hamad. In einem Interview mit CNN in Doha, Qatar, erklärte er den 7. Oktober zu einem «goldenen Moment» für die palästinensische Sache.
Der 7. Oktober als «goldener Moment»
Gemäss Ghazi Hamad habe der Angriff vom 7. Oktober die internationale Wahrnehmung verändert. «Wissen Sie, was der Nutzen des 7. Oktober ist? Wenn Sie auf die UN-Generalversammlung schauen, als 194 Staaten ihre Augen öffneten und die Brutalität Israels sahen. Alle verurteilten Israel. Wir warteten 77 Jahre auf diesen Moment», sagte Hamad gegenüber CNN. Für ihn sei dies ein «goldener Moment, der die Geschichte verändert».
Auf die Frage nach der Verantwortung für die humanitäre Katastrophe in Gaza reagierte Hamad ausweichend. Mitschuld wollte er nicht übernehmen. Stattdessen betonte er, dass Israel allein für das Leid der Bevölkerung verantwortlich sei. CNN konfrontierte ihn zudem mit Videos von Menschen aus Gaza, die die Hamas aufforderten, die Macht abzugeben und damit die Kämpfe zu beenden.
«Israel ist am Leid schuld»
In einem Clip rief ein Demonstrant Hamas dazu auf, «mit dem Spielen aufzuhören», und kritisierte, dass die Hamas-Führung im Ausland lebe, während die Bevölkerung leide. Ghazi Hamad reagierte im Interview sichtlich widerwillig, liess die Aufnahmen nur kurz laufen und schob das Tablet dann beiseite. Er erklärte: «Ich weiss, die Menschen leiden», machte jedoch erneut Israel für das Leid verantwortlich.
Demonstrationen gegen Hamas werden in Gaza kaum toleriert. So sei im April ein 22-Jähriger, nach Angaben der eigenen Familie, von Hamas gefoltert und getötet worden, nachdem er die islamistische und antisemitische Terrororganisation öffentlich kritisiert und an einer Anti-Hamas-Demo teilgenommen hatte.
Menschliche Schutzschilde
Israel beschuldigt die Hamas seit langem, palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Diesen Vorwurf hat Israel nun auch in Bezug auf die verbliebenen Geiseln erhoben. So suggeriert eine Nachricht des militärischen Arms der Hamas, der Al-Qassam-Brigaden, darauf hin, dass die verbleibenden Geiseln in Gaza-Stadt «in den verschiedenen Stadtvierteln verteilt» seien.
In der Mitteilung der Al-Qassam-Brigaden hiess es zudem: «Wir werden uns nicht um ihr Leben sorgen, solange (Israels Premierminister) Netanjahu beschlossen hat, sie zu töten.»
Auf die Frage, ob die Geiseln als Abschreckung gegen die israelische Offensive genutzt würden, wies Ghazi Hamad im Interview den Vorwurf zurück. Er betonte, dass die verbleibenden Geiseln nicht als menschliche Schutzschilde eingesetzt würden und dass sie alle «nach islamischen Prinzipien» behandelt würden.
Kein Zugang für das Rote Kreuz
Einige der freigelassenen Geiseln traten nach ihrer Gefangenschaft erschöpft, abgemagert und geschwächt auf, andere berichteten von sexueller Gewalt – Vorwürfe, die auch von den Vereinten Nationen dokumentiert wurden. Hamad erklärte dazu: «Es gibt keinen Beweis dafür, dass wir solche Dinge gegen Menschen einsetzen. Unsere Grundsätze sind die des Islams.»
Auf die Frage, ob die Hamas den Aufrufen folgen werde, dem Roten Kreuz Zugang zu den Geiseln zu gewähren, wich Hamad aus und bezeichnete die Lage vor Ort als «kompliziert».
«Das Problem mit den Amerikanern»
Am 9. September überlebte Ghazi Hamad einen israelischen Angriff nur knapp. Damals flogen mehrere israelische Kampfjets einen Luftangriff auf das etwa 2000 Kilometer entfernte Doha in Qatar.
Ziel des Angriffs war die Hamas-Führungsriege, die sich in Doha zusammengefunden hatte, um einen US-amerikanischen Vorschlag für einen Waffenstillstand zu besprechen. Der Angriff habe die Verhandlungen abrupt beendet, erklärte Hamad, sein Überleben des Angriffs bezeichnete er als «Wunder».
Die Verhandlungen seien deshalb im Moment «eingefroren». Ein Teil der Schuld liege bei den Vereinigten Staaten, sagte er, und deutete an, dass diese nicht in gutem Glauben handelten, sondern im Interesse Israels agierten. «Das ist das Problem mit den Amerikanern: Sie können nicht beweisen, dass sie ehrliche und neutrale Vermittler sind», so Hamad.
Kein Palästina ohne Hamas
Hamad betonte am Ende des Interviews, dass für ihn ein Palästina ohne Hamas undenkbar sei. Zwar würde man die Waffen bei Schaffung eines palästinensischen Staates der palästinensischen Armee übergeben. Im Moment sei der bewaffnete Flügel der Hamas aber eine legitime und legale Waffe, die ständig gegen eine Besatzung eingesetzt werde, erklärte er.
Hamas könne man aber nicht von der palästinensischen Frage und Situation ausschliessen, führte Hamad im Interview aus, bevor er das Gespräch mit den Worten «Wir werden niemals aufgeben. Wir werden niemals aufgeben» beendete. (ear)
