Bei einer historischen Zeugenaussage hat der Sohn von König Charles III. die britische «tabloid press» scharf kritisiert und den Reportern vorgeworfen, mit illegalen Methoden intime Geschichten ergattert zu haben, die sie dann aufgebauscht hätten. Selbst jetzt würde der Boulevard noch versuchen, seine Ehe mit Herzogin Meghan zu zerreissen, klagte Harry am Dienstag. Gemeinsam mit anderen Prominenten wirft der 38-Jährige dem Verlag Mirror Group Newspapers (MGN) vor, ihn abgehört zu haben.
Alle Bereiche seines Lebens seien betroffen, sagte Harry unter Eid in London. Als erster Royal seit mehr als 130 Jahren stellte sich der Fünfte der britischen Thronfolge einem Kreuzverhör. «Unheimlich sensible und private Informationen» seien seit seiner Kindheit ans Licht gekommen, auch weil Reporter der MGN-Blätter «Daily Mirror», «Sunday Mirror» und «People» seine Voicemail - in den späten 1990ern und frühen 2000ern ein beliebtes Kommunikationsmittel - gehackt hätten. Woher die Infos in den Berichten kamen, habe er lange nicht gewusst. Er sei «paranoid» geworden und habe Freunde verdächtigt, betonte Harry. «Leider sind das keine Freunde mehr.»
Insgesamt 33 Artikel der MGN-Blätter nimmt der High Court unter die Lupe. Der Erste stammt vom 16. September 1996. «Diana so traurig an Harrys grossem Tag», überschrieb der «Mirror» einen Bericht, laut dem Mutter Prinzessin Diana nur wenig Zeit mit ihrem Sohn an dessen zwölften Geburtstag verbracht haben soll. Immer wieder im Fokus: das Liebesleben des Prinzen. So berichtete «People» im April 2009, Harry habe seine langjährige Freundin Chelsy Davy geradezu mit Nachrichten «bombardiert», um sie zurückzugewinnen.
Für Harry gehören seine Aussage und die Klagen gegen insgesamt drei Verlage von Boulevardmedien - in den anderen beiden Fällen steht ein Prozess noch aus - zu seinem erklärten Lebensziel, die Presselandschaft zu reformieren. Er wirft der «tabloid press» seit Langem vor, schuld am Unfalltod seiner Mutter Diana 1997 zu sein.
Bei der zivilen Sammelklage werden exemplarisch Fälle von mehreren Prominenten verhandelt. Geklärt werden soll auch, wie sehr die Führungsebene des Verlags in illegale Praktiken verwickelt war. MGN weist die Vorwürfe zurück. Der Prozess hatte am 10. Mai begonnen und soll Ende Juni abgeschlossen sein. Ein Urteil wird erst im Laufe des Jahres erwartet. Erhalten Harry und die anderen Kläger Recht, dürfte ihnen das Gericht Schadenersatz zusprechen.
Der High Court in London, Saal Nummer 15: Im nachtblauen Anzug, mit lichtem rötlichen Haar, nimmt Harry im Zeugenstand Platz. Vor ihm steht ein Bildschirm, auf dem ihm Dokumente angezeigt werden, neben ihm sind Ordner aufgestapelt. In dem länglichen Raum mit Neonlichtern an der Decke ist lediglich ganz hinten Platz für etwa 50 Zuschauer und Journalisten. Harry spricht leise, in einer Pause bitten die Zuhörer, das Mikrofon näher zu schieben, doch der Ton bleibt schlecht. Immer wieder nippt Harry an einem Wasserglas und schenkt sich aus einer Karaffe nach.
Freundlich und höflich, aber knapp antwortet der 38-Jährige auf die Fragen von MGN-Anwalt Andrew Green. Während der Jurist, von einem Mandanten als «Bestie vor Gericht» gelobt, nach konkreten Beweisen für illegale Informationsbeschaffung fragt, antwortet Harry allgemein. Anfangs etwas nervös wirkend, gewinnt er nach und nach an Sicherheit. Als ihn Green bittet, mehrere Bündel Dokumente herauszuziehen, scherzt Harry: «Sie zwingen mich zum Training.»
Inhaltlich wird der Kläger deutlich. «Sie waren verletzend, gemein und grausam», sagt er über die Reporter und ihre angeblichen Recherchemethoden. Im Gegenzug hält Green ihm vor, dass bestimmte Informationen schon vor der Veröffentlichung in anderen Blättern zu lesen waren. Harrys Antwort: Die Medien, in heftiger Konkurrenz verbunden, hätten mit dem Abhören versucht, Geschichten weiterzudrehen oder noch skandalträchtigere Details zu ergattern.
Pünktlich zu der Befragung veröffentlichte das Gericht Harrys schriftliche Zeugenaussage. Von «50 Seiten voller Wut, Groll und Kindheitstraumata» sprach Sky News. Harry führe einen Rachefeldzug gegen die Presse. «Aber das ist seine Sicht, es sind keine Beweise», kommentierte der britische TV-Sender.
In dem Dokument betont Harry, die Presse weise jedem Royal eine Rolle zu. «Man startet als leere Leinwand, während sie herausfinden, was für ein Mensch man ist und welche Probleme und Versuchungen man möglicherweise hat», heisst es. Dann versuchten die Medien, einen dazu zu bewegen, die Rolle zu spielen, mit denen sie möglichst viele Zeitungen verkaufen könnten. Man werde abgestempelt, in seinem Fall als «Betrüger», «Schwachkopf» oder «minderjähriger Säufer».
Auch die britische Regierung bekommt ihr Fett weg. Sie befinde sich am «Tiefpunkt», schreibt Harry. «Die Demokratie scheitert, wenn ihre Presse es versäumt, die Regierung zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen, und sich stattdessen dafür entscheidet, mit ihr ins Bett zu gehen, damit sie den Status quo sichert.» Das ist ein beispielloser Schritt, denn Mitglieder der Royal Family äussern sich üblicherweise nicht über die Regierung.
Zur Aussendarstellung gehört eigentlich auch, es nicht auf Prozesse ankommen zu lassen. Als letzter Royal stand 1891 der spätere König Edward VII. als Zeuge im Kreuzverhör, es ging um Betrug beim Kartenspiel. Dass ihm die Traditionen bei seinem persönlichen Anliegen egal sind, zeigt Harry nun deutlich. (saw/sda/dpa)