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Wie sich die BBC im Interview mit Andrew Tate blamiert

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Wie sich die BBC vor laufender Kamera von Andrew Tate blamieren lässt

Nach vier Monaten Untersuchungshaft und Hausarrest gibt Andrew Tate zum ersten Mal ein Interview – und führt BBC-Reporterin Lucy Williamson an der Nase herum. Die ganze Shitshow hier erklärt.
02.06.2023, 20:0003.06.2023, 12:34
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Unternehmer und Influencer Andrew Tate wurde Anfang Jahres in Rumänien, seiner Wahlheimat, verhaftet; ihm, seinem Bruder und zwei Komplizinnen, wird vorgeworfen, einen Menschenhandel-Ring betrieben zu haben. So sollen einige seiner Camgirls mittels verführerischer Methoden angelockt und anschliessend zur Online-Prostitution gezwungen worden sein. Die ganze Geschichte gibt's hier zu lesen.

Nach rund 3 Monaten im Gefängnis wurde Tate in den Hausarrest entlassen, wo er sich heute noch befindet. Und dort findet auch dieses desaströse Interview statt.

Die gekürzte Version, veröffentlicht von BBC.Video: YouTube/BBC News

Es ist überhaupt schon verwunderlich, dass Tate der BBC ein Interview gibt. Er hat in der Vergangenheit mehrmals betont, dass er nichts von den traditionellen Medien oder, wie er sie nennt, «Legacy Media» hält, da diese alle «fake» seien. Noch verwunderlicher ist es, dass die BBC ihm diese Plattform gibt.

Seine mehr als kontroversen Aussagen in der Vergangenheit und die Tatsache, dass Tates Hype auf diesen aufbaut, könnten als Grund genug gesehen werden, diesem Interview ein fettes Veto aufzuklatschen und es auf keinen Fall durchzuführen. Aber es gab kein Veto, und so findet sich BBC-Korrespondentin Lucy Williamson in seiner Villa im hübschen Bukarester Vorort Voluntari wieder. Sie ist erfahren, arbeitet seit über 20 Jahren bei der BBC.

Das Interview beginnt höflich, man begrüsst sich. Williamson leitet ein, dass man dieses Interview mache, da es grosse Bedenken wegen seiner Aussagen und deren Einfluss auf junge Menschen gebe. Tate erwidert (ja, er erwidert die Einleitung), dass die Bedenken nicht seinem schlechten Einfluss gelten, sondern der Tatsache, dass er so viel Einfluss habe.

Dazu sagt er, dass die Mehrheit der Beiträge in den «Legacy Media» und der «Matrix» sich schlechter auf die Jugend auswirken würden als seine Aussagen. Den Begriff der «Matrix» verwendet Tate gerne und häufig. Die «Matrix» ist derjenigen aus dem gleichnamigen Film nachempfunden und repräsentiert das System, das die Menschen unterdrückt und sie vor dem echten Leben abschirmt. Er selber sieht sich dabei als «Neo», die Hauptfigur aus den Filmen, welche der Matrix entflieht. Seine Fans (vor allem auch diejenigen, die seine Kurse kaufen) folgen ihm dabei auf dem Pfad zur Erleuchtung. Es sind noch keine zwei Minuten vergangen und Tate hat schon seine verschwörerische Rhetorik ins Spiel gebracht: die Welt gegen mich.

Williamson befragt ihn, ob die Anschuldigungen, wegen derer ermittelt wird, stimmten. Nein, er habe niemanden vergewaltigt. Nein, er habe keinen Menschenhandel betrieben. Und nein, er habe keine Frauen ausgebeutet. «Aber sie haben zugegeben, dass sie Frauen emotional ausgenutzt haben, um für ihr Webcam-Business zu arbeiten?» Nein, auch das stimme nicht. Jetzt fängt die Shitshow erst richtig an.

Diese letzte Frage beruft sich auf ein altes Produkt, welches Tate früher auf seiner Seite verkaufte. «PhD», kurz für «Pimping Hoes Degree» (Nutten-Zuhälter-Zertifikat), hiess das Ganze, und war eine Serie an Videos, wie man als Mann Frauen für Sex via soziale Medien anschreiben soll. Die dazugehörige Sparte auf Tates Webseite wurde letztes Jahr gelöscht, aber Screenshots beweisen, dass der entsprechende Text tatsächlich dort stand.

«Mein Job war es, ein Mädchen zu treffen, auf ein paar Dates zu gehen, mit ihr zu schlafen, zu schauen, ob sie etwas taugt, und sie dann dazu zu bringen, sich in mich zu verlieben.»
«Mein Job war es, ein Mädchen zu treffen, auf ein paar Dates zu gehen, mit ihr zu schlafen, zu schauen, ob sie etwas taugt, und sie dann dazu zu bringen, sich in mich zu verlieben.»bild: reddit/cobratate

Als sie ihn konfrontiert, dass dies seine Worte seien, verneint er. Nein, das habe er nicht gesagt. Nur weil sie das im Internet gefunden habe, hiesse das nichts. Sie entgegnet, dass dies trotzdem auf seiner Website, die «mittlerweile gelöscht wurde», stand. Tate wiederum behauptet, seine Seite sei nie gelöscht worden. Wobei er nicht Unrecht hat: Es ist nur die eine Unterseite, die es nicht mehr gibt. Es ist ein kleines Detail, eine kleine Unachtsamkeit in der Vorbereitung, aber für Tate eine Angriffsfläche.

Williamson habe nicht recherchiert, sie setze sich überhaupt nicht mit ihm auseinander, sondern wolle bloss ihre «Agenda» pushen und ihn in Misskredit bringen. Die Spirale des «ihr gegen mich» hat begonnen, und die BBC-Frau kann nichts dagegen tun. Sie hat keinen Ausdruck der Webseite dabei.

Das Thema wechselt zu «Sophie», eines der mutmasslichen Opfer des Menschenhandel-Rings. Sie hatte der BBC ein anonymes Interview gegeben und über ihre Erlebnisse berichtet, insbesondere die emotionale Manipulation, mit der Tate sie nach Rumänien gelockt und zum Cammen gebracht hatte. Tates Antwort darauf:

«Sophie existiert nicht.»

Eine simple, dumme, aber effektive Antwort. Tate behauptet vehement, dass «Sophie» bloss von der BBC erfunden worden sei, um ihm zu schaden. Und überhaupt gebe es keine einzige Frau, die ihm etwas vorwerfe. Er sei «actually such a nice person», er schade niemandem. Tausende Frauen würden ihm täglich schreiben, wie froh sie seien, dass er traditionelle Rollenbilder wieder zurückbringe und ihre Söhne, Brüder und Freunde zu richtigen Männern mache. Tausende.

Er verlangt, dass man zum nächsten Thema übergehe. Williamson will nicht, sie sagt, dass es Sophie sehr wohl gebe. «Es gibt keinen Beweis, dass diese Sophie existiert. Next.»

Lucy Williamson kann seinen offensichtlichen Falschaussagen nichts entgegenwerfen. Sie hat keine Beweise dabei, keine Screenshots, keine Ausdrucke. Man könnte ihr mangelnde Vorbereitung vorwerfen, doch es ist fraglich, ob das überhaupt etwas gebracht hätte. Tate fällt ihr ins Wort, wiederholt sich so oft, bis sie nicht mehr weiterredet, übertönt sie. Er sagt, sie könne so viele Gegenfragen stellen, wie er wolle, denn:

«Das hier ist mein Haus, ich bin hier der Boss.»

Mit so jemandem kann man kein seriöses Interview führen. Jemandem zu erlauben, Falschaussagen ungekontert herauszuhauen, ist fragwürdig. Die Aktion ist ein Eigentor der BBC. Die Kommentare unter dem geschnittenen Video auf YouTube sind sich einig – das Interview habe gezeigt, dass die BBC wertlos sei und Tate ein toller Mensch. Unter dem ungekürzten Video, das Tate selber aufgezeichnet und hochgeladen hat: dasselbe. Es sei ein trauriger Versuch der «Matrix», Andrew in den Dreck zu ziehen.

Für den britischen Sender eine Schmach, für den mutmasslichen Menschenhändler ein mächtiger PR-Coup.

Der Kontext:

Andrew Tate ist ein ehemaliger Kickbox-Weltmeister, der sich zum erfolgreichen Influencer und Geschäftsmann hochgearbeitet hat. Seine Zielgruppe: junge Männer, die sich von der Gesellschaft verlassen fühlen und von seinen Weisheiten und Sprüchen motiviert werden.

Dieser Teil seines Contents ist gratis und auf allen grösseren Social-Media-Seiten abzurufen, wenn auch nicht von ihm gepostet – er ist nämlich auf den meisten Plattformen aufgrund seiner teils hetzerischen und misogynen Aussagen gesperrt. Es sind dann meist seine Fans, die Ausschnitte seiner Podcasts oder Videos teilen und verbreiten.

Ein anderer Teil seines Contents ist käuflich. An der sogenannten «Hustler University» verkauft er Kurse, wie man auf eigene Faust an Geld kommt. Für rund 50 Franken pro Monat werden Basic-Skills in Affiliate-Marketing, Copywriting, Kryptoanlage und so weiter vermittelt. Aber nichts, was man nicht auch kostenfrei via Google erlernen kann.

Das zweite Produkt, welches Tate anbietet, ist der sogenannte «War Room», ein Telegram-Chat, welcher als Networking-Plattform für erfolgreiche Unternehmer dienen soll. Beitrittspreis Stand Juni 2023: 7979 US-Dollar. Tatsächliche Networking-Events in Person kosten noch einmal zwischen 1000 und 3000 USD.

Tates Haupteinnahmequelle liegt jedoch im Camgirl-Business. Er unterhält eine Plattform, auf der man blutte Frauen anschauen kann. Und dabei Geld spenden, welches dann mehrheitlich an Andrew geht. Und genau dieses Business hat die ganze Causa Tate, die schlussendlich das Interview hervorgebracht hat, ausgelöst.

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117 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kanzo
02.06.2023 20:56registriert Mai 2022
Tate verdummt die Jugendlichen und sorgt dafür das sie zu Frauen verunglimpftenden dauer Singles werden. Auf meine dauer Apfall Menschen Liste steht er in einer Stufe mit Giga Karen taylor greene. Wenn der angeblich Top ist warum rennt er, wie eine kleine Pussy, von den US Behörden weg.
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M. mit Stil
02.06.2023 22:10registriert September 2022
Ich mir nicht sicher, ob es wirklich so ein Fail ist für BBC, wenn ich sehe, wie verzweifelt und aggressiv sich Tate zu rechtfertigen versucht. Souverän ist definitiv anders!
Ach, und wenn Tate Neo ist, bin ich die Prinzessin von Fantasialand 😄
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Litten
02.06.2023 22:49registriert Oktober 2020
Wir haben es mit einem 36-jährigen Mann zu tun, der von einer angeblichen "Matrix Attack" gegen sich spricht. Traurig ist, dass ihn nicht nur Kinder, sondern zum Teil auch Erwachsene nach solchen Aussagen noch ernstnehmen...
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