Vor seiner geplanten Videoschalte beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau in Bayern hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj abermals schnellere Waffenlieferungen an sein Land gefordert. «Wir brauchen eine schlagkräftige Luftverteidigung – modern, voll wirksam», sagte er in der Nacht zum Montag in seiner täglichen Videoansprache. Allein am Samstag seien 62 russische Raketen in seinem Land eingeschlagen. Derweil ist die Stadt Lyssytschansk in der Ostukraine weiterhin heftig umkämpft.
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Jede Verzögerung von Waffenlieferungen an die Ukraine sei eine Einladung an Russland, weiter zuzuschlagen, meinte Selenskyj. Die G7-Länder, zu denen Deutschland, die USA, Kanada, Grossbritannien, Frankreich, Italien und Japan zählen, verfügten gemeinsam über so viel Potenzial, «um die russische Aggression gegen die Ukraine und Europa zu stoppen» sagte Selenskyj. «Es gibt bereits einige Vereinbarungen. Die Partner müssen sich schneller bewegen.»
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow forderte konkret moderne Raketenabwehrsysteme mit hoher Reichweite vom Westen. Diese müssten schnell stationiert werden, um so auch die Sicherheit für europäische Städte zu gewährleisten, schrieb er bei Facebook. Er bezeichnete Raketenangriffe auf «friedliche ukrainische Städte» als heimtückisch, weil sie entweder vom russischen Territorium aus oder von Belarus oder vom Kaspischen und Schwarzen Meer aus abgefeuert würden. Resnikow schlug zudem eine Entmilitarisierung von Teilen Russlands vor als Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen.
Auch in der Nacht zum Montag gab es wieder einen schweren Raketenangriff. Im Gebiet Odessa im Süden der Ukraine sind sechs Menschen dabei zu Schaden gekommen. Die Rakete sei von einem russischen strategischen Bomber des Typs Tu-22 abgefeuert worden, teilte das ukrainische Wehrkommando Süd am Montag mit.
Nach der Einnahme der Stadt Sjewjerodonezk in der Ostukraine durch russische Truppen gehen die Kämpfe um die Stadt Lyssytschansk weiter. Der Feind versuche verstärkt mit Unterstützung der Artillerie, die strategisch wichtige Stadt aus südlicher Richtung zu blockieren, teilte der ukrainische Generalstab am Sonntagabend mit. Dabei seien auch zivile und militärische Infrastruktur getroffen worden. Das liess sich nicht unabhängig überprüfen. Laut ukrainischen Angaben gab es zudem Kämpfe auf der von Russland eroberten Schlangeninsel im Schwarzen Meer. Details lagen zunächst nicht vor.
Im Schwarzen Meer ist erneut eine Gasförderplattform angegriffen worden. Das teilten Vertreter der von Russland einverleibten Halbinsel Krim am Sonntagabend mit, wie die russische Staatsagentur Tass meldete. Sie machten die Ukraine für den Angriff verantwortlich. Das liess sich nicht überprüfen. Es habe keine Verletzten gegeben, hiess es. Unklar war, ob ein Feuer ausbrach. Erst am Montag waren drei Bohrinseln im Schwarzen Meer mit Raketen attackiert worden. Die ursprünglich ukrainischen Anlagen waren im März 2014 im Zuge der Annexion der Krim besetzt worden.
Russland hat abermals Verhandlungen mit der Ukraine an die Bedingung geknüpft, dass Kiew die Forderungen Moskaus akzeptiert. Das sagte die Vorsitzende des russischen Föderationsrats, Valentina Matwijenko, wie die Staatsagentur Tass meldete. Die in der Öffentlichkeit geäusserten Forderungen Moskaus zu Beginn des Kriegs bestanden etwa in der Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten sowie der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisches Staatsgebiet.
Selenskyj rief die Menschen im Nachbarland Belarus dazu auf, sich nicht in den russischen Angriffskrieg hineinziehen zu lassen. «Der Kreml hat bereits alles für Euch entschieden», sagte er am Sonntag mit Blick auf Moskau. «Aber Ihr seid keine Sklaven und Kanonenfutter. Ihr dürft nicht sterben.» Am Samstag hatte sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko abermals mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen. Dabei kündigte der Kremlchef die Lieferung von Raketensystemen vom Typ Iskander-M nach Belarus an, die auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.
Am Rande des G7-Gipfels sprach sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegen einen Boykott des G20-Gipfels im Herbst aus - auch wenn Putin am nächsten Treffen teilnehmen sollte. «Wir müssen sehr genau überlegen, ob wir die gesamte G20 lahmlegen, da plädiere ich nicht dafür», sagte von der Leyen aus Bayern dem ZDF-«heute journal». «Meines Erachtens ist G20 zu wichtig, auch für die Entwicklungsländer, die Schwellenländer, als dass wir uns dieses Gremium kaputt machen lassen sollten auch wieder von Putin.»
Der Gipfel der sieben führenden demokratischen Industriestaaten auf Schloss Elmau in den bayerischen Alpen wird fortgesetzt. Erwartet wird, dass Präsident Selenskyj per Videoschalte zu den Teilnehmern spricht. Im Mittelpunkt des dreitägigen Treffens, das am Sonntag begann, stehen der Krieg und seine Folgen. (sda/dpa)