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Krieg in der Ukraine: Der russische Geheimdienst informiert den Feind

In this photo taken from video provided by the Ukrainian Presidential Press Office, Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy speaks to the nation in Kyiv, Ukraine, Sunday, Feb. 27, 2022. Street fightin ...
Auf Wolodymyr Selenskyj soll es mindestens drei Attentatsversuche gegeben haben.Bild: keystone

Maulwurf in Moskau? Wie der FSB den Ukrainern hilft

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll mehrere Attentatsversuche dank dem russischen Geheimdienst überlebt haben. Offenbar gibt es dort Gegner von Putins Krieg.
04.03.2022, 17:3806.03.2022, 07:58
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Am zweiten Kriegstag äusserte Wolodymyr Selenskyj eine Warnung in eigener Sache. «Nach unseren Informationen hat mich der Feind zum Ziel Nr. 1 erklärt, meine Familie zum Ziel Nr. 2», sagte der ukrainische Präsident in einer Videobotschaft. Nun zeigt sich, dass diese Gefahr nicht auf Paranoia beruhte, sondern eine reale Grundlage hatte.

In der Nacht auf Mittwoch sollen tschetschenische Kämpfer versucht haben, Selenskyj zu töten. Die Angreifer seien «eliminiert» worden, erklärte Oleksij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Laut der britischen «Times» soll der Präsident seit Kriegsbeginn sogar mindestens drei Attentatsversuche überlebt haben.

epa08746758 (FILE) - Alexander Bortnikov, head of the Federal Security Service (FSB) waits for a meeting of the Pobeda (Victory) Organizing Committee in the Kremlin, Moscow, Russia, 11 December 2019 ( ...
FSB-Chef Alexander Bortnikow scheint seinen Laden nicht im Griff zu haben.Bild: keystone

Zwei Einheiten seien beauftragt gewesen, Selenskyj zu töten: Neben den Tschetschenen handle es sich um Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe, die vom Kreml unterstützt wird. Sie soll beträchtliche Verluste erlitten haben und «alarmiert» sein, wie gut die Ukrainer über ihr Vorgehen Bescheid wüssten, sagte eine der Gruppe nahestehende Quelle der «Times».

Informationen vom FSB

Die Erklärung lieferte Oleksij Danilow. «Wir haben Informationen vom FSB bekommen», sagte er im ukrainischen Fernsehen. Also vom russischen Inlandsgeheimdienst, dem Nachfolger des sowjetischen KGB, dem einst Wladimir Putin angehörte. Bei den «Maulwürfen» soll es sich um Agenten handeln, die den Ukraine-Krieg ablehnen.

Diese Vorstellung wirkt auf den ersten Blick bizarr, und dennoch ist sie plausibel. Aufgabe von Geheimdiensten ist es, akkurate Informationen zu sammeln und zu liefern. Die englische Bezeichnung lautet nicht zufällig «Intelligence». Der FSB dürfte wissen, dass die Ukraine nicht so schwach ist, wie Putin und sein innerer Kreis geglaubt haben.

Militär hat FSB verdrängt

Der russische Präsident und Ex-Agent hört offenbar nicht auf die Geheimdienstler. Dies deckt sich mit einer Analyse, die im Magazin «Foreign Affairs» veröffentlicht wurde. Demnach wird die Ukraine-Invasion nicht vom FSB orchestriert, sondern vom Militär und von Verteidigungsminister Sergei Schoigu, einem von Putins engsten Vertrauten.

Russian President Vladimir Putin, left, and Russian Defense Minister Sergei Shoigu visit an military exhibition after attending an extended meeting of the Russian Defense Ministry Board at the Nationa ...
Wladimir Putin vertraut nicht dem FSB, sondern Verteidigungsminister Sergei Schoigu (rechts).Bild: keystone

Knackpunkt war demnach der «Euromaidan» 2014 in Kiew. Damals sei es dem FSB nicht gelungen, den Aufstand niederzuschlagen und den Sturz des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu verhindern. Schoigu hingegen habe die Besetzung und Annexion der Krim orchestriert und ein Jahr später den russischen Einsatz in Syrien.

CIA wusste Bescheid

Seither soll Wladimir Putin der Armee vertrauen, auch bei der Planung der Ukraine-Invasion. Dem FSB hingegen dürfte klar gewesen sein, dass ein schneller Sieg in einem «Blitzkrieg» illusorisch war. Es wäre nicht erstaunlich, wenn frustrierte Agenten Informationen an den «Feind» durchgereicht hätten, und zwar nicht nur an die Ukraine, sondern auch an die USA.

Der amerikanische CIA wusste über die Abläufe schon im Vorfeld der Invasion erstaunlich gut Bescheid. Präsident Joe Biden sagte eine Woche vor Kriegsbeginn, es könne «in den nächsten paar Tagen» zum Angriff kommen. Dies deutet auf Quellen im Umfeld der russischen Führung hin. Der Moskauer Machtapparat hat offensichtlich Risse.

Dies könnte wichtig sein für den weiteren Kriegsverlauf. Die Gefahr für Präsident Selenskyj allerdings besteht weiterhin. Trotz ihrer Verluste sollen mehrere hundert Wagner-Söldner mit einer 24 Personen umfassenden «Todesliste» in Kiew unterwegs sein. «Wenn einer von ihnen Glück hat, gehen alle mit einem Bonus nach Hause», sagte die Quelle der «Times».

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Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
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Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
Durch Russlands Angriff auf die Ukraine in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar, ist die jahrelange Ukraine-Krise von einem blossen Konflikt zum Krieg geworden. Wer die wichtigsten Beteiligten sind, erfährst du hier:

Wladimir Putin ist seit 2000 (mit Unterbrechung von 2008 bis 2012) Präsident von Russland. Er sieht die Stabilität seines Systems seit den frühen Jahren seiner Präsidentschaft durch den Westen bedroht und will verhindern, dass die Ukraine Nato-Mitglied wird und eine westlich orientierte Demokratie aufbaut. Am 24. Februar befahl Putin schliesslich den Angriff auf die Ukraine. Offizielle Leitmotive für den Krieg sind die «Demilitarisierung und Entnazifizierung».
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76 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Salvatore_M
04.03.2022 18:03registriert Januar 2022
Der aktuelle Konflikt bietet die ganze Palette an brutaler oder schmutziger Kriegsführung: Informationskrieg, Krieg der Bodentruppen, Cyberkrieg und halt auch Krieg der Spione. In vielen Jahren wird es dann gute Bücher geben, welche die ganzen Geschehnisse erläutern werden. Bis dahin müssen wir warten. Hoffentlich wird dann die Ukraine jedoch wieder ein freies Land sein.
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Bynaus
04.03.2022 18:21registriert März 2016
Vielleicht gibt es den Maulwurf. Oder es ist genialer Schachzug von Zelensky, um im FSB eine frenetische Suche nach einem imaginären Maulwurf loszutreten. Ein "Ouroburos", also eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beisst und am Ende sich selbst verschlingt.
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Hierundjetzt
04.03.2022 17:59registriert Mai 2015
Wenn das, was aktuell in der Ukraine passiert, im Kino käme, würde ich glatt nur 1 ⭐️ geben, weil die Story absolut unrealistisch wäre.

Aber wie jeden Tag aufs neue seit dem 24.2., ab sofort gehört nun auch der gute Geist des FSB zu meiner gelebten Realität.

Jeden Tag eine Surrealität mehr😮 😮‍💨
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