Am zweiten Kriegstag äusserte Wolodymyr Selenskyj eine Warnung in eigener Sache. «Nach unseren Informationen hat mich der Feind zum Ziel Nr. 1 erklärt, meine Familie zum Ziel Nr. 2», sagte der ukrainische Präsident in einer Videobotschaft. Nun zeigt sich, dass diese Gefahr nicht auf Paranoia beruhte, sondern eine reale Grundlage hatte.
In der Nacht auf Mittwoch sollen tschetschenische Kämpfer versucht haben, Selenskyj zu töten. Die Angreifer seien «eliminiert» worden, erklärte Oleksij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Laut der britischen «Times» soll der Präsident seit Kriegsbeginn sogar mindestens drei Attentatsversuche überlebt haben.
Zwei Einheiten seien beauftragt gewesen, Selenskyj zu töten: Neben den Tschetschenen handle es sich um Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe, die vom Kreml unterstützt wird. Sie soll beträchtliche Verluste erlitten haben und «alarmiert» sein, wie gut die Ukrainer über ihr Vorgehen Bescheid wüssten, sagte eine der Gruppe nahestehende Quelle der «Times».
Die Erklärung lieferte Oleksij Danilow. «Wir haben Informationen vom FSB bekommen», sagte er im ukrainischen Fernsehen. Also vom russischen Inlandsgeheimdienst, dem Nachfolger des sowjetischen KGB, dem einst Wladimir Putin angehörte. Bei den «Maulwürfen» soll es sich um Agenten handeln, die den Ukraine-Krieg ablehnen.
Diese Vorstellung wirkt auf den ersten Blick bizarr, und dennoch ist sie plausibel. Aufgabe von Geheimdiensten ist es, akkurate Informationen zu sammeln und zu liefern. Die englische Bezeichnung lautet nicht zufällig «Intelligence». Der FSB dürfte wissen, dass die Ukraine nicht so schwach ist, wie Putin und sein innerer Kreis geglaubt haben.
Der russische Präsident und Ex-Agent hört offenbar nicht auf die Geheimdienstler. Dies deckt sich mit einer Analyse, die im Magazin «Foreign Affairs» veröffentlicht wurde. Demnach wird die Ukraine-Invasion nicht vom FSB orchestriert, sondern vom Militär und von Verteidigungsminister Sergei Schoigu, einem von Putins engsten Vertrauten.
Knackpunkt war demnach der «Euromaidan» 2014 in Kiew. Damals sei es dem FSB nicht gelungen, den Aufstand niederzuschlagen und den Sturz des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu verhindern. Schoigu hingegen habe die Besetzung und Annexion der Krim orchestriert und ein Jahr später den russischen Einsatz in Syrien.
Seither soll Wladimir Putin der Armee vertrauen, auch bei der Planung der Ukraine-Invasion. Dem FSB hingegen dürfte klar gewesen sein, dass ein schneller Sieg in einem «Blitzkrieg» illusorisch war. Es wäre nicht erstaunlich, wenn frustrierte Agenten Informationen an den «Feind» durchgereicht hätten, und zwar nicht nur an die Ukraine, sondern auch an die USA.
Der amerikanische CIA wusste über die Abläufe schon im Vorfeld der Invasion erstaunlich gut Bescheid. Präsident Joe Biden sagte eine Woche vor Kriegsbeginn, es könne «in den nächsten paar Tagen» zum Angriff kommen. Dies deutet auf Quellen im Umfeld der russischen Führung hin. Der Moskauer Machtapparat hat offensichtlich Risse.
Dies könnte wichtig sein für den weiteren Kriegsverlauf. Die Gefahr für Präsident Selenskyj allerdings besteht weiterhin. Trotz ihrer Verluste sollen mehrere hundert Wagner-Söldner mit einer 24 Personen umfassenden «Todesliste» in Kiew unterwegs sein. «Wenn einer von ihnen Glück hat, gehen alle mit einem Bonus nach Hause», sagte die Quelle der «Times».
Aber wie jeden Tag aufs neue seit dem 24.2., ab sofort gehört nun auch der gute Geist des FSB zu meiner gelebten Realität.
Jeden Tag eine Surrealität mehr😮 😮💨