Der «Tag des Sieges» steht kurz bevor: Am 9. Mai feiert Russland traditionell den Erfolg gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ist es der wichtigste Nationalfeiertag. Experten nahmen an, dass er deshalb auch den Sieg gegen die Ukraine an diesem Datum verkünden wollte – doch der gewünschte Erfolg im Angriffskrieg gegen das Nachbarland blieb aus.
Ukrainische, US- und westliche Beamte glauben inzwischen, dass Putin stattdessen eine neue Eskalationsstufe einleiten könnte: Aus der «Spezialoperation», wie sie vom Kreml fälschlicherweise bezeichnet wird, könnte dann auch für Putin ein «Krieg» in der Ukraine werden.
«Er hat alles dafür vorbereitet, dass er sagen kann: ‹Schaut, das ist jetzt ein Krieg gegen die Nazis, und was ich brauche, sind mehr Leute. Ich brauche mehr russisches Kanonenfutter›», sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace in einem Interview mit dem Radiosender LBC.
Nach Ansicht der ukrainischen Militäraufklärung könnte die Folge einer offiziellen Kriegserklärung dann eine Generalmobilmachung sein. Diese Befürchtung äusserte deren Chef Kyrylo Budanow in der Zeitung «nv».
Doch was bedeutet das – und wie wahrscheinlich ist die russische Generalmobilmachung? Das Wichtigste im Überblick:
Eine formelle Kriegserklärung würde Putin nach russischem Recht ermöglichen, Reservekräfte zu mobilisieren und Wehrpflichtige – auch aus dem Ausland – einzuziehen. «Dann gilt in Russland das Kriegsrecht im eigenen Land, und die Armee kann 900'000 Reservisten einberufen», so CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter in der «Augsburger Allgemeinen».
Wehrpflichtig sind in Russland alle Männer zwischen 18 und 27 Jahren. Die Pflicht zum Reservedienst gilt jedoch bis zum Alter von 50 Jahren. Sollten sich die betreffenden Männer weigern, droht ihnen eine Gefängnisstrafe – im Kriegsfall von bis zu mehreren Jahren.
Russland hat die Gerüchte um eine mögliche Mobilmachung zurückgewiesen. «Das ist nicht wahr. Das ist Unsinn», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.
Auf die Frage, ob Putin der Ukraine am 9. Mai den Krieg erklären könnte, sagte Peskow ebenfalls: «Nein. Das ist Unsinn.» Seit Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar bezeichnet der Kreml die Kämpfe im Nachbarland stets nur als «militärische Spezialoperation».
Die internationalen Befürchtungen sind durchaus begründet: Russland hat im Angriffskrieg gegen die Ukraine – durch Verwundete und Tote – massive Verluste zu verzeichnen. «Wir müssen davon ausgehen, dass ein Fünftel bis ein Viertel der Soldaten, die zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Einsatz waren, ausgefallen sind und durch weitere Reserven ersetzt werden müssen», sagt Wolfgang Richter, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu t-online. Mehr dazu lesen Sie hier.
Dies sei aber nicht ohne Weiteres möglich, da ein grosser Teil der Landstreitkräfte bereits an den Grenzen zum baltischen Raum, in Zentralasien, im Fernen Osten oder im Kaukasus eingesetzt werde – und nicht ohne Sicherheitsrisiken für Russland abgezogen werden könnten. Es bräuchte also eine andere Massnahme, um die russischen Truppen wieder aufzufüllen.
Angesichts der massiven Verluste sind sich Experten weitestgehend einig, dass Kremlchef Putin eine Mobilmachung ankündigen wird. «Es wäre die denkbar nächste Stufe der Eskalation», sagt Militärexperte Gustav Gressel zu t-online.
«Natürlich könnte Putin die Feierlichkeiten auch für ein Signal der Deeskalation nutzen und die sogenannte 'Spezialoperation' für beendet erklären. Ich rechne aber eher mit einer weiteren Eskalation, die dann möglicherweise auch die Ausrufung des Kriegsrechts in Russland bringen könnte», sagt auch Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg zu t-online. Vor allem auf die Begründung des Kremls, der die Bezeichnung der «Spezialoperation» als Krieg bislang strengstens untersagt, sollte dann geachtet werden.
«Ob eine Generalmobilmachung den Krieg in der Ukraine wirklich beeinflussen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Die entsprechenden militärischen Effekte würden wohl erst in einigen Wochen eintreten, wenn überhaupt», sagt Kühn.
Auch Militärexperte Gressel schätzt den Zeitraum, in dem die mobilgemachten Soldaten an die Front geschickt werden würden, auf etwa sechs Monate. Er vermutet, dass der Kreml im ersten Schritt der Generalmobilmachung zunächst auf die Wehrpflichtigen zurückgreifen würde, die im Herbst letzten Jahres eingezogen wurden, um die Truppen in der Ukraine schnellstmöglich aufzustocken.
Einzelne Verbände könnten komplett in die Ukraine verlegt werden – «allerdings eher spärlich, denn auch mobilgemachte Soldaten brauchen Ausbildung und eine Struktur, die sie führt und Material bereitstellt», so Gressel. Ein Grossteil der Armee werde also damit beschäftigt sein, die Reserveeinheiten auszubilden und entsprechend aufzustellen.
«Es müsste dann auch dem Letzten in Russland klar werden, dass sich das Land in einem Krieg befindet, der sich noch lange hinziehen könnte», so Sicherheitsexperte Kühn. Zunächst werde das den Rückhalt Putins in der Bevölkerung wohl nicht erschüttern. «Mit der Zeit und der steigenden Zahl russischer Gefallener könnte sich dies aber durchaus ändern», sagt der Experte.
Die Stimmung in der Bevölkerung könnte sich auch angesichts der sich anbahnenden Wirtschaftskrise verschlechtern – für die nicht nur die Sanktionen des Westens, sondern auch die massenhaften Auswanderungen von Arbeitskräften verantwortlich sind.
Etwa 300'000 Menschen haben Russland seit Beginn des Krieges den Rücken gekehrt, schätzt Olga Gulina, Leiterin des RUSMPI-Instituts, einem Think Tank für Migrationspolitik, im Gespräch mit «ntv». «Das sind vor allem junge, produktive, städtische und besonders gut ausgebildete Leute wie Finanzangestellte, Journalisten und IT-Spezialisten.» Um dem Mangel an Arbeitskräften entgegenzuwirken, hatte Russland bislang beispielsweise IT-Experten von der Wehrpflicht befreit – fraglich ist jedoch, wie lange das so bleibt.
Bisher ist immer eingetreten, was Russland mit Vehemenz abgestritten hat.
Schon bald wissen wir was die Lügenbarone vom Kreml ausgeheckt haben.