In seiner jüngsten Ansprache klingt Wolodymyr Selenkskyj nicht nur gewohnt kämpferisch, sondern fast zuversichtlich: «Innerhalb von 19 Tagen hat die russische Armee grössere Verluste erlitten als in zwei blutigen und jahrelangen Tschetschenien-Kriegen», so der ukrainische Präsident am Dienstagmorgen. Die Verteidiger hätten bereits Tausende Fahrzeuge, Hunderte Hubschrauber und 80 Kampfjets der Invasionsarmee zerstört. Die russischen Soldaten rief Selenkskyj einmal mehr auf, sich zu ergeben.
Steckt dahinter reiner Zweckoptimismus oder könnte die militärische Situation in der Ukraine vor einer Wende stehen? Inzwischen sprechen auch westliche Fachleute davon, dass die russische Armee bald einen kritischen Punkt erreicht haben könnte. «Die Ukraine macht der russischen Armee Beine», zitiert «Daily Mail» eine Quelle aus dem britischen Verteidigungsministerium. Schon in zwei Wochen könnte der Widerstand der Ukraine stärker sein als die Angriffskraft von Putins Truppen.
Ähnlich äusserte sich der US-General Ben Hodges, der ein Zentrum für Osteuropastudien leitet: «Wenn sich die Lage nicht mehr dramatisch verändert, hat die russische Armee diesen sogenannten Kulminationspunkt in zehn bis 14 Tagen erreicht», sagte Hodges dem Sender MSNBC. Die russische Armee befinde sich jetzt in einem Abnutzungskrieg, auf den sie nicht vorbereitet war: «Dafür brauchen sie drei Dinge», so Hodges: «Zeit, Männer und Munition und diese Dinge hat Russland nicht.»
Voraussetzung dafür seien aber beschleunigte Waffenlieferungen des Westens, so Hodges: «Das ist jetzt ein Wettlauf, die Ukraine muss genug Waffen haben, damit sie durchhalten und weiter russisches Kriegsgerät zerstören kann.» Die USA und weitere Länder haben der Ukraine bereits Waffenlieferungen zugesagt. Was ausser Panzer- und Luftabwehrraketen geliefert wird und in welchem Umfang, ist nicht genau bekannt.
Nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums konnten die russischen Truppen auch am Montag, Tag 19 des Krieges in der Ukraine, kaum vorstossen. «Sie bleiben fast überall auf der Stelle», zitierte CNN einen hohen Beamten. Einen russischen Vorstoss in der umkämpften Hafenstadt Mariupol hat die ukrainische Armee nach eigenen Angaben abgewehrt. Dabei seien etwa 150 Angreifer getötet sowie zwei Panzer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden, teilte der ukrainische Generalstab am Dienstagmorgen mit.
Gestützt wird der Eindruck eines erlahmenden russischen Feldzugs von Schilderungen ukrainischer Soldaten, die in Irpin nördlich von Kiew kämpfen. «Im Moment gibt es ein Patt», zitiert die «Washington Post» den 34-jährigen Artiem. «Sie greifen unseren Posten an, dann greifen wir sie an und sie rennen zurück», berichtet der ukrainische Soldat über das russische Vorgehen.
Auch die fehlende Ortskenntnis sei ein Problem für die Invasoren, berichtet Artiem: «Sie kennen Irpin nicht, und dann fahren sie mit ihren Panzern in kleine Strassen und bleiben dort stecken.» Die Ukrainer dagegen könnten sich leicht in Häusern positionieren und auf die Angreifer warten. «Ausserdem haben sie nicht genug Essen, Wasser und Sprit», berichtet Artiem unter Berufung auf Einwohner, deren Häuser von russischen Soldaten geplündert worden seien. «Irgendwann sind sie müde und dann jagen wir sie davon.»
Quellen:
1. Die Russen sind Invasoren ohne Ortskenntnis, die Ukrainer verteidigen ihre Heimat, ihren Grund und Boden und hatten Zeit, um Sprengsätze (sog. IEDs) an Strassenrändern zu platzieren und Hinterhalte zu legen.
2. Bald wird es wärmer, und dann tauen die Böden auf und die mechanisierten Verbände der Russen stecken in ukrainischem Schlamm fest. Wenn es so weit, wird es ein Zielschiessen mit Panzerfäusten und Drohnen geben.
Bis dahin sorgt das Patt leider für enorme Zerstörungen und Leid. In der Ukraine, nicht beim Aggressor.
Zu hoffen ist, dass beide Seiten (natürlich vor allem Russland) erkennen, dass sie eine Einigung finden müssen. Dieser Irsinn muss zu einem Ende kommen.